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Unerbittliches Wachstum

Das Wachstum der Wüsten gehört zu den größten ökologischen Problemen der Erde. Experten schätzen, dass bis zu einem Drittel der Erdoberfläche von Verödung und Austrocknung bedroht ist. Klimawandel und Treibhauseffekt, aber auch Abholzung und Überweidung sind der Grund. Susanne Babila schildert, wie die Menschen im Tschad versuchen, etwas gegen die Ausbreitung der Wüste zu tun.

18.06.2005
    Früh am Morgen in der Nähe von Massenya, einer kleinen Stadt im Tschad, einem Land in der Sahel-Zone, am Südrand der Sahara. Noch ist die Luft kühl. Leichter Wind weht über die sonnenverbrannte, karge Landschaft. Kaum Bäume, nur Sand, Steine und ein paar Akaziensträucher. Ödnis, soweit das Auge reicht. Ein paar alte Männer sitzen auf einer Strohmatte. "Mein Gaumen ist trocken", sagt Mourba Ngarmajdjimer und zieht aus seiner Hosentasche eine Bitter-Kola: "Diese Nuss hemmt den Durst und ist gut für die Zähne".

    Er schaltet ein altes batteriebetriebenes Kofferradio ein: Den vibrierenden Lautsprecher klemmt er sich zwischen Schulter und Ohr. Im Takt der Rhythmen wiegt er seinen kahlen Kopf. Seine Augen sind geschlossen. "Ich träume vom Regen", sagt er. "Wasser ist Leben, und das haben wir hier kaum noch".

    Im Tschad dehnt sich die Wüste unerbittlich aus. Der tschadische Ingenieur und Agrarökonom Djibrine Ngarmig-Nig kämpft gegen die wachsende ökologische Krise. In Massenya haben schon seine Urahnen gelebt. Doch der jahrzehntelange Krieg und die immer schlechter werdenden Lebensbedingungen trieben seine Eltern in die Hauptstadt, nach N’Djamena. Damals war der heute knapp vierzigjährige Unternehmer noch ein Kind:

    "Vor rund vierzig Jahren gab es hier jede Menge Bäume, man musste sich sogar den Weg frei schlagen, denn es wuchsen auch viele Büsche. Und viele kleine Tiere haben sich zwischen den Büschen versteckt. Heute gibt es hier so gut wie keine Bäume mehr und die Tiere sind auch verschwunden. Weil sie Schutz brauchen. Das heißt wir sind hier in einer völlig schutzlosen Region. Früher ist man hier gelaufen, und man war überall gegen die Sonne geschützt. Heute müssen Sie hier nach einem Baum suchen, der Ihnen ausreichend Schatten spendet. "

    Diese Entwicklung begann im Tschad mit den Dürrekatastrophen Anfang der siebziger Jahre. Seither wird das Wasser jedes Jahr knapper. Denn die Regenzeit hat sich drastisch verkürzt. Die Erde ist vollkommen ausgetrocknet und die dünne, fruchtbare Bodendecke wird vom Wind weggeweht. Die Landwirtschaft tut ein übriges: Durch einseitige Bepflanzung entziehen die Bauern dem Boden wichtige Nährstoffe. Die Ernten werden immer schlechter und es gibt immer weniger Feldarbeit für die hier lebenden Bauern, erklärt Djibrine Ngarmig-Nig:

    "Da es hier überhaupt keine anderen Arbeitsmöglichkeiten gibt, sitzen die Bauern bis zu sechs Monate herum und haben nichts zu tun. Also ziehen sie entweder in die Stadt, um dort als Bauarbeiter oder Hausangestellte zu arbeiten oder sie beuten die natürlichen Ressourcen aus, was zumindest ein bisschen Geld einbringt. Mit einem Karren voller Holz kann man maximal 4000 CFA, also 6 Euro verdienen. Und ein voller Karren, das ist schon ein Baum. Das heißt Bäume, die 30 oder 40 Jahre alt sind, bringen rund 5 oder 6 Euro ein. Die Bäume werden in der Region verkauft. Zum Beispiel in die Stadt. Große Lastwagen kommen aus N’Djamena um Holz zu kaufen und es in die Stadt zu bringen. Und der Verbrauch der Haushalte ist dort enorm."

    Es ist ein Teufelskreis: Die Armut beschleunigt die Wüstenbildung und diese verursacht wiederum Armut. Dieses Jahr war die Ernte besonders schlecht, erzählen einige Frauen aus Massenya, denn im letzten Jahr fiel hier neun Monate lang kein einziger Regentropfen. Die Folge sind steigende Preise:

    "Das Leben wird immer teurer und wir sind hier sehr arm, deshalb sind wir gezwungen, Bäume abzuholzen. Wir sind zwar nicht unmittelbar schuld an der Wüstenbildung, aber wir tragen dazu bei."
    "Wir selbst leiden unter den Folgen: Unser Land wird mehr und mehr zur Savanne, der Wind bläst immer stärker und das verursacht Krankheiten. Zunächst Husten und Schnupfen. Dann Asthma. Es gibt sehr viele Bronchialkrankheiten, weil der Wind Sand und Staub aufwirbelt. Man hat uns gesagt, dass das Abholzen nicht gut sei, aber was sollen wir machen, wir haben keine andere Möglichkeit."

    Abholzung oder Überweidung, also hausgemachte Umweltzerstörung, sind aber nicht die Hauptursachen für Armut und Wüstenbildung. Der Treibhauseffekt, und damit die Industrienationen, sind letzten Endes verantwortlich – da sind sich viele Klimaforscher einig. Der Klimawandel hat aber noch andere Konsequenzen: Im Tschad müssen viele Frauen bis zu 20 Kilometer laufen , um Wasser zu holen.

    Bei 48 Grad im Schatten schöpfen Viehhirten Wasser aus einem Brunnen: Er liegt rund zehn Kilometer von Massenya entfernt. Ein Ochse zieht den mit Wasser gefüllten Ziegenlederbeutel an einer Seilwinde aus dem 30 Meter tiefen Schacht. Das Wasser wird in eine Mulde geschüttet, die als Viehtränke dient. Eine große Rinderherde hat sich unter einen Baum gedrängt, den einzigen, der in dieser unwirtlichen Region noch ausreichend Schatten spendet. Nacheinander werden die Tiere zur Tränke geführt. Zuerst die Rinder, dann die Esel, dann Schafe und Ziegen – sie sind der Reichtum der Wüstenbewohner. Der Brunnen ist die einzige Wasserstelle in der dürren fahlgelben Mondlandschaft. Wir sind ungefähr 200 Männer, Frauen und Kinder. Und wir haben viele Tiere, ungefähr 5000 Rinder und 15 Tausend Schafe, erklärt ein Viehhirte:

    Es ist sehr schwierig mit nur einem einzigen Brunnen so viele Menschen und Tiere mit Wasser zu versorgen. Viele Nomaden kommen jetzt immer weiter in den Süden und bleiben hier. Das sind arabischstämmige Nomaden, aber auch afrikanischstämmige Halbnomaden wie die Guran oder Fulbe. Manche von ihnen ziehen wieder nach Norden, doch jedes Jahr werden es weniger. Sie bleiben hier, weil die Regenzeit kürzer wird und dadurch wird auch für sie das Überleben in der Wüste immer schwieriger.

    Nicht selten kommt es zwischen Nomaden und sesshaften Bauern zu Konflikten. Denn es gibt kaum noch freie Siedlungsräume. Die Menschen weichen vor den Folgen der Klimaveränderung, der Überbevölkerung und der Überweidung aus, in Gebiete, die noch bewohnbar sind. Über eine Milliarde Menschen leben bereits in Halbwüsten. Doch diese Regionen halten eine hohe und weiter wachsende Bevölkerungsdichte nicht lange aus, denn ihr Ökosystem ist außerordentlich fragil. Deshalb hat Djibrine Ngarmig-Nig eine Baumschule gegründet. "Meine Eltern, Grosseltern und Urgrosseltern sind in Massenya begraben. Das verpflichtet", sagt der Umweltaktivist.:

    Idriss Nagre Hadji gießt ein paar heranwachsende Sprösslinge. Er ist seit knapp zwei Jahren hier angestellt und verdient fünf Euro im Monat. Der Wind weht ihm bei seiner Arbeit Sand ins Gesicht:

    "Das ist die Akazie Senegalais, früher gab es sehr viele in Massenya, heute müssen wir den Leuten zeigen, wie man sie pflanzt und wie man sie wirtschaftlich nutzen kann. Der Baum ist sehr robust, er produziert hasel- bis walnussgroße Harztropfen, den sogenannten Gummi Arabicum und überlebt auch unter schwierigen Bedingungen. Das wird zur Entwicklung unserer Region beitragen, " erklärt der junge Tschader. Denn das Harz wird in den Industrieländern als eine Art Bindemittel für Lebensmittel, in der Kosmetikindustrie oder als Klebstoff verarbeitet. Stolz zeigt er auf kleine Mango, Dattel- und Zitronenbäume. "Das sind die Früchte unserer Arbeit, hier in unserer Baumschule", sagt er.

    Mit diesen kleinen Erfolgen wollen die Umweltschützer die Bewohner in Massenya sensibilisieren. Sie sollen lernen, nachhaltig zu wirtschaften, erklärt Djibrine Ngarmig-Nig. Doch um Kriege oder Massenwanderungen zu vermeiden, reichen lokale Hilfsmassnahmen mit kleinem Budget nicht aus, so engagiert sie auch sein mögen, klagt er. Denn um die Wüstenbildung zu stoppen, bedarf es einer großangelegten Wiederaufforstung. Und das kostet viel Geld. "Na ja", fügt er hinzu: "Da schaut der Rest der Welt dann eben weg."