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Unerkannt Surfen im Bunker

Internet.- Der Nichtregierungsorganisation "Reporters sans frontières" (RSF) ist die Zensur des Internets ein sprichwörtlicher Dorn im Auge. Mit ihrem Antizensur-Bunker steuert die Gruppierung nun dagegen. Dort wird es regimekritischen Journalisten und Bloggern ermöglicht, das WWW anonym zu nutzen.

Von Suzanne Krause | 31.07.2010
    Das Pariser Hauptquartier von "Reporters sans frontières" besetzt eine Etage im gutbürgerlichen Altbau. Im Seitenflügel: Der "Antizensur-Bunker". Ein verglaster Raum von 30 Quadratmetern, drei schlichte Computerarbeitsplätze vor einer Regalwand. Da stapeln sich Leitfäden zum Aushebeln von Internet-Zensurprogrammen. Daneben ein kleines Multimedia-Studio mit Kamera zur Online-Video-Produktion. Lucie Morillon, bei RSF zuständig für Neue Medien, eilt zur Fensterfront:

    "Wenn jemand hier arbeitet, lassen wir die Jalousien herunter, damit niemand von draußen reinsehen kann."

    Lucie Morillon hat sich an einen Computer gesetzt. Hier bringt die Endzwanzigerin ausländischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten bei, wie sie unerkannt im Web recherchieren und verschlüsselte E-Mails senden können. Als erste kamen drei iranische Blogger auf Durchreise, eine Gruppe aus Sri Lanka ist angemeldet. Drei Wochen nach der Eröffnung des Anti-Zensur-Bunkers hat Lucie Morillon schon zwei Dutzend Anfragen erhalten, von Regime-Kritikern aus China über Blogger aus Saudi-Arabien bis hin zu Online-Journalisten aus Südamerika. Jetzt loggt sie sich mit einem Doppelklick auf eine kleine Ikone in ein privates Netz, ein VPN, ein.

    "Jetzt wähle ich die Verbindungsroute aus. Sagen wir mal, von den Vereinigten Staaten nach Kanada. Dabei wechsele ich automatisch die IP-Nummer und laut der neuen Identifikation nutze ich nun einen Computer in den Vereinigten Staaten. Dabei sitze ich vor meinem Rechner in Paris. Genauso kann es auch ein Nutzer in Birma machen. Wenn er von zu Hause aus ins Internet geht, lässt sich das dank der neuen ausländischen IP-Nummer nicht mehr aufspüren und damit umgeht er die Filter, die der birmanische Staat installierte."

    Die Technik stammt von einem Experten für Sicherheit im Internet: von Xerobank. Das multinationale Unternehmen mit Sitz in Panama hat im Internet sein eigenes privates Netz aufgebaut. Eine einmalige Struktur, sagt Bruno Delpeuc’h, beim Unternehmen verantwortlich für den Sektor Europa.

    "Die Architektur unseres Netzwerks fußt auf mehreren dezentralisierten Standbeinen: Die Knotenpunkte sind auf eine gewisse Anzahl Länder verteilt. Und somit stützen wir uns gleichzeitig auf unterschiedliche Rechtssysteme. Das bedeutet: will uns die Justiz an einem Standort mittels der dort gültigen Gesetze an den Kragen, funktioniert das restliche Netz trotzdem weiter."

    Die Mitarbeiter des Unternehmens kommen allesamt aus der Hackerszene. Für ihr Anti-Zensur-Programm haben sie Poen-Source-Software weiterentwickelt: den Internetbrowser Firefox und Open-VPN, als Zugang zum firmeneigenen Netz. Banken, diplomatische Missionen und große Firmen zahlen dafür, dass der Dienstleister ihre sensiblen Daten rund um den virtuellen Globus schickt. Cyber-Dissidenten, die RSF bekannt sind, können die Anwendung nun kostenlos nutzen. Geplant ist auch, sie auf USB-Stick zugänglich zu machen, von überall aus.

    "In unserem Backbone wird der gesamte Verkehr mithilfe von mehreren Chiffrier-Programmen automatisch verschlüsselt. Wir setzen auf Multiplexing: wir injizieren mehrere Kommunikationsströme in einen einzigen Übertragungskanal. Der Verkehr wird per Zufallsprinzip über mehrere Knotenpunkte geleitet. Am Austrittsknotenpunkt wird der Kommunikationsstrom mit anderen vermengt, crowding heißt das. Wenn nun irgendjemand überwachen wollte, was aus unserem VPN austritt, kann er nur mehrere Kommunikationsströme identifizieren, aber keinen einzigen davon einem bestimmten Nutzer zuordnen."

    Selbst Xerobank kann keine Kunden-E-Mail dechiffrieren. Ausspionieren lässt sich da nichts. Nur kontrollieren, dass kein User Tonnen Spams verschickt oder als Pirat agiert. Wer gegen den strengen Ehrencodex des Unternehmens verstößt, fliegt raus. "Cyber-Dissidenten" wird nun eine Zuflucht im Internet geboten.

    "Ein Staat kann einem Regimekritiker angeblich illegale Aktivitäten im Internet nur noch dann nachweisen, wenn er selbst es von den Dächern schreien würde."