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Unerwünschte Kommunen im Untergrund

Umwelt. - Bakterien lieben es gesellig - oft raufen sich verschiedene Arten zusammen oder gehen sogar Wohngemeinschaften mit Pilzen ein, wenn die Umgebung für Einzelgänger zu rau ist. Um sich gegen widrige Bedingungen zu schützen, entwickelten verschiedene Arten einen regelrechten Schleim-Kokon aus Zuckern und Eiweißen, so genannte Biofilme. Weil die Keime so im Wasserleitungsnetz gut ausharren können, beschäftigen sie auch Experten auf der Wasserchemischen Tagung in Bad Wildungen bei Kassel.

    Biofilme sind quasi allgegenwärtig, konstatiert Professor Hans-Curt Flemming: "Beispielsweise entfernen Sie jedem Morgen beim Zahnbürsten Biofilme von den Zähnen." Doch die schleimigen Bakterien-Siedlungen verdrecken nicht nur Feuchträume, sondern besitzen durchaus auch ihre guten Seiten. "Im Boden und in den Sedimenten besorgen solche Biofilme die Selbstreinigung der Natur", so Flemming. Allerdings entdeckte der Wissenschaftler die Keimkulturen jetzt in einer ökologischen Nische, aus der sie tunlichst verschwinden sollten - dem Trinkwasserleitungsnetz. Der Grund für die Besorgnis sind Angehörige solcher Bakterienkommunen, die selbst als Indikatoren für Wasserverschmutzung gelten, so genannte coliforme Bakterien. "Tauchen derartige Escherichia Coli-Keime im Trinkwasser auf, muss die Quelle aufgespürt und das Trinkwasser über Chlorzusatz desinfiziert werden", erklärt der Mikrobiologe.

    Eine besonders beliebte Wohnlage der schleimigen Wohngemeinschaften sind offenbar Absperr-Armaturen, von denen rund 100 pro Quadratkilometer Leitungsnetz montiert sind. Weil viele der Klappen und Riegel aus elastischem Kunststoff bestehen, um dicht zu schließen, bilden sie eine gute Grundlage für die Keimbesiedelung: Denn mit der Zeit treten Weichmacher aus dem Plastik aus und hinterlassen eine poröse Oberfläche, an denen die Bakterien gut anhaften. Nach dieser Entdeckung geht Flemming jetzt der Frage nach, ob es möglicherweise von geheimen Keim-Reservoirs im Trinkwassernetz wimmelt: "Zwar könnten die Messungen quasi die Spitze eines Eisberges darstellen, doch ergaben die Untersuchungen andererseits auch, dass Bakterien auf den unterschiedlichen eingesetzten Kunststoffen nicht immer gleich gut gedeihen", erläutert Professor Flemming.

    Einerseits sucht der Forscher derzeit nach einem Weg, coliforme Keime im Trinkwasser schneller zu identifizieren, denn seine alarmierende Entdeckung war ein Zufallsergebnis einer wochenlangen Untersuchung an einem neuinstallierten Rohrnetz. Normalerweise werden solche Qualitätskontrollen nach nur wenigen Tagen abgeschlossen. Überdies wandte sich Hans Curt Flemming auch an die Hersteller der Dichtungsklappen aus keimfreundlichem Material, um in Zusammenarbeit neue Werkstoffe mit geringerem Siedlungsanreiz für Bakterien zu entwickeln - allerdings bislang ohne positive Reaktionen aus der Industrie.

    [Quelle: Volker Mrasek]