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Unfall in luftiger Höhe

Schleswig-Holstein deckt inzwischen 30 Prozent seines Strombedarfs aus den 2700 Windenergieanlagen zwischen Nord- und Ostsee. Muss einer der Dreiflügler gewartet oder repariert werden, kommt der Techniker. Was aber, wenn ihm in luftiger Höhe etwas zustößt? Im nordfriesischen Husum steht Deutschlands einzige Übungsanlage für solche Situationen. Im Bildungszentrum für Erneuerbare Energien lernen angehende Windkrafttechniker, sich selber und andere zu retten.

Von Jasper Barenberg |
    Es ist ein beschwerlicher Weg nach oben. Er führt im Inneren des Übungsturms über eine Leiter aus Metall. Über 200 Sprossen müssen die acht Kursteilnehmer die enge Röhre hinaufklettern, bevor sie das Motorhaus in 63 Meter Höhe erreichen. Dabei sind sie wie Bergsteiger ausgerüstet: mit Helm, Hüft- und Schultergurt. Zudem sind sie fest mit einer Gleitschiene verbunden. Sollte einer der angehenden Windkrafttechniker ausrutschen, verhindert ein Stopper den Absturz in die Tiefe. Die ausrangierte Windkraftanlage wurden vor drei Jahren in Husum wieder errichtet. Sie steht auf dem Gelände des Bildungszentrums für erneuerbare Energien, einem von den Unternehmen der Windbranche getragenen Verein. Hier organisiert Nils Peters Lehrgänge und Weiterbildungsmaßnahmen, darunter auch das Sicherheits- und Rettungstraining. Das Thema Arbeitssicherheit, so Peters, werde inzwischen groß geschrieben. Ganz anders als bei Unternehmen im Ausland. Die hätten im Vergleich mit Deutschland noch Nachholbedarf:

    " Da gibt es noch immer eine Wildwest-Mentalität. Da macht noch jeder, wie er meint, aber nicht wirklich organisiert. Und das ist der ganz große Unterschied: Auch kleinere Firmen, die nur Service machen oder Getriebereparaturen, die wollen und müssen sich jetzt den Standards anpassen - oft auch, weil die Hersteller sie dazu zwingen. Die sagen: Wir haben uns diese Standards gesetzt und Ihr müsst bitte auch danach arbeiten! "

    Von denen, die hierzulande an, in und auf Windrädern zu tun haben, ist inzwischen jeder zweite geschult, schätzt man in Husum. Zwei Tage dauert der Grundkurs im Bildungszentrum. Einen Tag verbringen die Teilnehmer im Klassenzimmer. Am Tag darauf klettern sie im Turm bis ganz nach oben. Das Motorhaus, auch Gondel genannt, ist ein Raum von der Größe einer Garage. Zwei kleine Fenster bieten einen weiten Ausblick über Husum. Türen gibt es keine, nur zwei enge Ausstiege. Einer führt zurück in den Turm, der andere hinaus in den freien Fall, eine quadratische Öffnung im Fußboden. Das ist der Notausstieg. Für den Fall, dass im Turm ein Feuer ausbricht. Oder jemand sich verletzt und nur auf diesem Wege geborgen werden kann. Einer der Kursteilnehmer baumelt 60 Meter über dem Boden an einem speziellen Abseilgerät. Mit Unterstützung eines Ausbilders beginnt er, sich langsam abzuseilen, einen Meter pro Sekunde. Selbst wenn jemand in dieser Situation das Bewusstsein verlöre: Eine Fliehkraftbremse verhindert, dass er ungebremst zu Boden rauscht.

    Im Kiesbett am Fuße des Turms nimmt Trainer Michael Huwald seine Schützlinge in Empfang. Er wird noch den ganzen Tag mit ihnen üben: Wie man sich sicher in einer Windkraftanlage bewegt. Wie man einen Bewusstlosen aus dem Turm rettet. Wie man einen Verletzten aus dem Maschinenhaus nach unten befördert:

    " Ich habe dafür lange gearbeitet! Ich bin seit sechs Jahren in der Windbranche. Als ich im Jahr 2000 anfing, war das Sicherheitsverhalten nicht richtig vorhanden. In den sechs Jahren seitdem ist aber eine ganze Menge passiert. "

    Über 800 Kursteilnehmer hat er in Husum schon geschult. Die meisten sind gelernte Elektriker oder Mechaniker mit Berufserfahrung. Viele waren eine Zeit arbeitslos und lassen sich innerhalb von sechs Monaten zum Windkrafttechniker umschulen. Dazu gehört nicht nur die Höhenrettung, sondern alles, was ein Servicetechniker wissen muss: wie man Motoren und Hydraulik der Anlagen wartet, wie man kleinere Reparaturen durchführt. Ein Beruf mit Zukunft - den Bedarf der Branche kann das Bildungszentrum in Husum mit seinem Angebot gar nicht decken. Für einige wenige allerdings endet die Ausbildung, bevor sie überhaupt angefangen hat - beim ersten Blick aus dem Maschinenhaus hinunter. Wem dabei schwindelig ist, der ist nicht turmtauglich - und damit für diesen Arbeitsplatz nicht geeignet.