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Unfreundliches Debüt

Vier junge Autoren, Ariane Breidenstein, Paul Brodowsky, Thomas Melle und Kevin Vennemann, werden von Suhrkamp in die deutschen Lande verschickt, um dem Avantgardedefizit des landläufig Angesagten therapeutisch aufzuhelfen. Breidensteins Titel "Und nichts an mir ist freundlich" ist dabei regelrecht zum Markennamen avanciert, wofür die 33-Jährige im Bergischen Land geborene Autorin nichts kann.

Von Martin Krumbholz | 12.07.2007
    Wir haben es mit einem inneren Monolog zu tun, dessen Vernetzungstechnik nur mit detektivischer Akribie zu rekonstruieren wäre, ein Bewusstseinsraum mit Echo- und Rückkopplungseffekten entsteht, in den grundsätzlich alles hinein passt, was die Ich-Erzählerin irritiert, anödet, ekelt, gegen die Welt und deren An- und Zumutungen aufbringt. Eine unheile, verletzte, beschädigte Kindheit, verständnislose Eltern, die Natur als einzige, wenngleich problematische Zufluchtsstätte - das sind die Themen und Topoi.

    Die allseits annoncierte und womöglich verkaufsfördernde "Wut" ist dabei übrigens die falsche Assoziation, recht eigentlich wütend wirkt diese Erzählerin nicht, eher sehr fragil und verletzbar und dann auch wieder auf seltsame Art abgekühlt, fast abgeklärt durch den Akt des Schreibens, dessen selbsttherapeutischen Aspekt man gar nicht verhehlen muss.

    Die Erzählerin? Oder nicht doch eher: die Autorin? Mit der möglichen oder unmöglichen Identifikation beider Instanzen fangen die rezeptionstechnischen Kalamitäten schon an. Wie vor 30 Jahren der letzte Mohikaner unter den Avantgardisten, der immerzornige Herbert Achternbusch, nennt auch diese Autorin sich selbst ungeniert beim Vornamen, Ariane:

    "und kaum sehe ich jemanden, glaube ich nicht, dass man sich über mich freut, und der Mann im Café sagte, schön dich zu sehen, worauf ich das Café ein halbes Jahr gemieden habe und mich dann [ ... ] habe ich gefragt, ob ich da arbeiten kann, wobei mir arbeiten immer ganz irreal vorkommt, ich weiß nicht wieso [ ... ] also sagte er am Tag zu mehreren Gästen, schön dich zu sehen, und ich begriff, dass das alles nur eine Floskel war und in dem Moment konnte mich nichts mehr erreichen und ich habe nur noch funktioniert und versucht zu vergessen, dass ich ein Mensch bin, und dann mich immer weiter abgeschottet und das hat er wohl gemerkt und dann begann er mich meine Kleine zu nennen, wo ich dann aber gesagt habe, dass ich Ariane heiße, und danach hat er mich nicht mehr eingeteilt, ich bin dann zu den Bäumen gegangen, sage ich."

    Was natürlich noch nichts heißen muss, immerhin ist Ariane ein hübscher Vorname, der auch jeder beliebigen Kunstfigur zur Ehre gereicht. Und doch glaubt man sich beim Lesen schon bald berechtigt, eine intime Beziehung zwischen Autorin und Erzählerin unterstellen zu dürfen, unter anderem deshalb, weil der Erzählerin als Figur eine fiktive Biografie fehlt, in deren Kontext sich ihre Auslassungen autonom entfalten könnten und damit als Bestandteil oder Resultat dieser Biografie zu verstehen wären. Das Biografische und damit womöglich das Autobiografische spielt in dieser Prosa keine konstitutive Rolle, und doch: Dass es hier primär um die affektive Befindlichkeit einer Autorin beziehungsweise Erzählerin und deren adäquaten Ausdruck geht, um sensible Reflexe auf eine Welt, die insgesamt eine Zumutung ist - diesen Eindruck gewinnt man, um ihn nicht wieder loszuwerden.

    Müsste aber nicht dem Ausdruck der Befindlichkeit das Erzählerische in irgendeiner Form vorausgehen? So hat es Beckett gemacht, der Vollender der literarischen Moderne: Er hat das Erzählerische in Rudimente zerlegt, aber erzählt hat er durchaus. Er hat die Figuren zertrümmert, aber die Trümmer hat er gezeigt. Ariane Breidensteins sich sehr virtuos anfühlender Text verweist eher auf Nathalie Sarraute und ihre Technik eines bohrenden, insistierenden, immer wieder auf die gleichen neuralgischen Punkte zurückkommenden Fragens. Wenige Figuren, vor allem Vater und Mutter, huschen als Schemen flüchtig über die Seiten, wobei feststeht: Affektiv besetzt sind beide negativ. Die Mutter ist gestorben, erfahren wir beiläufig, betrauert wird ihr Tod nicht. Der Vater strahlt eine Gleichgültigkeit aus, die die Erzählerin ihrerseits als Kälte zurückgibt. Im Sprachlichen geht Breidenstein dabei auch über Sarraute weit hinaus: Die Assoziationskette springt scheinbar willkürlich hin und her, Beschreibungen kommen nicht vor, Kommata werden absolut eigenwillig gesetzt. All das macht diesen Text eminent sperrig.

    Etwas so Profanes wie Sex" der Allerwelts-Sex, der sonst allenthalben grassiert, kommt hier natürlich ebenfalls nicht vor. Man kann darin einen sympathischen Zug sehen, einen produktiven und provokanten Akt des Widerstands gegen das Gängige, das Abgedroschene. Aber auch Sexualität als Lebensimpuls und -stoff wird auf eigentümliche Weise ausgeblendet oder genauer: stillschweigend beredet. Sie rumort geheimnisvoll unter der Textoberfläche, deren Atem der Leser folgen mag oder nicht. Literatur ist im besten Fall nach außen gestülpte Innenwelt. Breidensteins Text verzichtet auf Verständigung: Ein Ich verkapselt sich auf der Suche nach dem adäquaten Ausdruck. Eines Tages, in einem anderen Buch, wird es sich womöglich öffnen. Dieses Debüt hält der Leser ein bisschen ratlos in der Hand.


    Ariane Breidenstein: Und nichts an mir ist freundlich
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
    140 Seiten, 14,80 Euro