Tibor Navracsics, der Kabinettschef der konservativen FIDESZ-Oppositionspartei zur aktuellen Krise, in der sich Ungarn seit dem 19. August befindet. An diesem Tag trat Ministerpräsident Péter Medgyessy nach der Entlassung seines Wirtschaftsministers Istvan Csillag zurück. Denn in Ungarn brodelt es - politisch und wirtschaftlich.
Nach den großen Feierlichkeiten zum EU-Beitritt des Landes, am
1. Mai dieses Jahres, kommt bei vielen Ungarn nun die Ernüchterung. Das kürzlich eingeführte Sparpacket, die weiter steigende Inflationsrate, die wachsende Arbeitslosigkeit, die vor allem im Osten Rekordzahlen bis zu 20 Prozent erreicht, das Haushaltsdefizit, das mittlerweile 5,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmacht und die Nettoauslandsverschuldung von 20 Milliarden Euro - all diese Daten sorgen nicht gerade für allseitigen Optimismus.
Doch im Streit darüber, wer für das jetzige Tief verantwortlich ist, sind die Meinungen geteilt. Andras Inotai, der den regierenden Sozialisten nahestehende Generaldirektor des Budapester Instituts für Weltwirtschaft, meint im Gegensatz zu Tibor Navracsics, dass der mangelnde Reformwillen der vorhergehenden FIDESZ-Regierung und eine schleppende Privatisierung das Wirtschaftswachstum des Landes gebremst hätten.
Dabei waren beide Regierungen schuld. Das begann eigentlich bei der Orban-Regierung in den letzten zwei Jahren, und dann Medgyessi hat das eigentlich noch ein Jahr weitergemacht. Das war ein großer Fehler von beiden. Nämlich Ungarn als eine kleine und sehr offene Volkswirtschaft kann nur den Aufholprozess leisten, ein nachhaltiges Wachstum sichern, wenn das Wachstum exportorientiert und investorientiert ist. Ich meine eine marktgerechte Privatisierung und die zunehmende Öffnung für das Auslandskapital.
Eine Statistik des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung weist außerdem darauf hin, dass sich in Ungarn wie in den anderen neuen Mitgliedsstaaten eine Form von "relativer Einkommensarmut" breit macht. Das betrifft nicht nur die 30 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung im unteren Lohnbereich, wie Putzfrauen, Arbeiter und kleine Handwerker, sondern selbst die Mittelschicht. Das heißt: Lehrer, Universitätsdozenten, Krankenhausärzte, Richter und Krankenschwestern. Auch sie verdienen heute monatlich zwischen 400 und 800 Euro brutto - was nach dem Maßstab europäischer Einkommenskriterien weit unter dem europäischen Durchschnittseinkommen von 1500 Euro brutto liegt.
Auf dem Binnenmarkt Europa ist das in der Tat viel zu wenig, meint Michaela Moser, die Leiterin der Mittel-und Osteuropa-Sektion des Europäischen Anti-Armuts-Netzwerkes in Wien. Sie arbeitet mit den Regierungen der neuen EU-Mitgliedsstaaten und somit auch mit der ungarischen Regierung an Programmen zur effektiven Bekämpfung von Armut. Dabei ist sie immer wieder erstaunt, wenn sie in Ungarn oder auch in anderen Ländern Mittelosteuropas das Lohn-Preis-Verhältnis vergleicht - vor allem mit Blick auf die bevorstehende Einführung des Euro in den neuen Mitgliedsstaaten.
Die Löhne sind viel geringer, aber wenn man in die Läden geht, stehen dort die ganzen ... ja unsere Produkte, sag' ich mal jetzt, und die Preise sind durchaus vergleichbar mit den Preisen hier bei uns. Also, man kann sich eigentlich an den fünf Fingern ausrechnen, dass sich das nicht ausgehen kann.
Und während im Westen bunte Prospekte den florierenden und bald vollkommenen offenen Immobilienmarkt in Budapest und am Plattensee anpreisen, sind die Mieten, die dem EU-Niveau bereits angeglichen wurden und mittlerweile bis zu zwei Monatsgehälter verschlingen, für die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung einfach nicht mehr zu bezahlen. Die Preise für Eigentumswohnungen sind z.B. zwischen 1997 und 2004 um das vierfache gestiegen, so dass immer mehr Ungarn in die altkommunistischen Plattenbausilos am Rande der Städte ziehen oder in den viel ärmeren Nordosten von Budapest.
Löhne und Gehälter wurden in den letzten zehn Jahren zwar um 80 Prozent angehoben, doch die Inflation frisst davon jährlich rund neun Prozent. All das führt dazu, dass die Unzufriedenheit im Lande zunimmt, weil sich viele Ungarn schon jetzt als EU-Mitglieder zweiter Klasse fühlen.
Andras Inotai beurteilt diese Situation allerdings etwas anders. Er geht davon aus, dass diese Probleme Teil des Integrationsprozesses sind und dass die ersten Jahre der effektiven EU-Mitgliedschaft für die neuen Mitgliedsstaaten auf alle Fälle sehr schwierig sein werden. Für ihn sind die jetzigen Probleme eher politischer Natur, denn die Regierungen - so Andras Inotai - hätten es seit 1998 versäumt, rechtzeitig wichtige Reformen einzuleiten. Etwa eine Steuerreform, die die mittleren Einkommen entlastet hätte, eine institutionelle Reform für Verwaltung und Behörden und eine Bildungsreform, die den Universitätsbetrieb effizienter und kostengünstiger gestaltet und dadurch seine Dozenten auch besser bezahlen könnte.
Das ist eben etwas, was sich klären muss, in der zweiten Phase des Modernisierungsprozesses in Ungarn. Wir haben die erste Phase hinter uns, und wenn heute einige Leute über Krise sprechen - ich würde nie über Krise sprechen, weil die statistischen Daten widersprechen einer jeden Krise. Wir haben keine Krise, aber wir haben zwei oder drei große Herausforderungen. Ein Teil der Herausforderungen kommt davon, dass die frühere Regierung zwischen 1998 und 2002 es versäumt hatte, große Reformen einzuführen in einer Periode, wo das Wachstum fünf Prozent betrug. Dass solche Reformen, wie Steuerreform, wie die Reformen der öffentlichen Verwaltung oder die Gesundheits- und Bildungsreform... es ist einfach kein Schritt in dieser Richtung gemacht worden. Das muss jetzt nachgeholt werden.
Ungarn befand sich wirtschaftlich gesehen tatsächlich sieben Jahre lang auf stabilem Wachstumspfad. Motor für diese Entwicklung war bislang ein kontinuierlicher Exportanstieg, der dem Land auch im Jahre 2003 eine Wachstumsrate von 3,3 Prozent bescherte. Dank dieser Entwicklungen konnten auch im letzten Jahr wieder 130.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Allein deutsche Unternehmen, wie Audi, Telekom, RWE und Allianz haben sich seit der Wende im Jahre 1990 mit über zwölf Miliarden Euro in Ungarn engagiert. Mit der Gesamtsumme von rund 29 Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen - so eine Statistik des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche - nimmt Ungarn unter den attraktiven Mittelosteuropäischen Standorten heute den dritten Platz ein.
Doch auf diese Zunahme folgte im Jahre 2003 dann wieder ein plötzlicher Rückgang. Der betraf allerdings auch die anderen Länder wie die Slowakei, Polen und Tschechien. Die Summe ausländischer Direktinvestitionen in den fünf neuen EU-Mitgliedsstaaten schrumpfte in nur einem Jahr von 22 Milliarden Euro im Jahre 2002 auf neun Milliarden im Jahre 2003.
Grund dafür ist: Die Produktion, die nur eine geringe Qualifikation der Arbeitskräfte fordert, wandert aus diesen Ländern allmählich wieder ab. Die Investoren verlagern diese in Länder, die ihnen noch kostengünstigere Standorte bieten. So zum Beispiel nach China, Rumänien und in die Ukraine. Hinzu kommt, dass die ausländischen Investoren ihre Gewinne neuerdings wieder mitnehmen und nicht innerhalb des Landes reinvestieren. Was Ungarn anbelangt, so nahmen die zurückgeführten Gewinne 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zu und fielen 2003 auf das Niveau von 2001 zurück. Doch nicht nur das ist langfristig bedenklich, meint Arnold Ludanyi vom Budapester Wirtschaftsforschungsinstitut.
Ungarn ist in vieler Hinsicht allzu sehr an die Prozesse der Weltwirtschaft gebunden. Zum einen, weil ein Großteil seiner Industrien in ausländischer Hand liegt. Das Land hat eine hohe Import-Export-Quote, und darum spürt man sofort die ungünstigen Prozesse der Weltwirtschaft. Das sieht man am Sinken des Bruttoinlandsproduktes und an der Verminderung der Ausfuhr. Und darum kann Ungarn nur dann mit einer dauerhaften Erholung seiner Wirtschaft rechnen, wenn die Situation sich europaweit und weltweit verbessert.
Haushaltsdefizite, Arbeitsplatzabbau, Kapitalabfluss durch Rückführung der Gewinne in die Herkunftsländer, Exportrückgang. Steht die ungarische Wirtschaftspolitik hier tatsächlich zum ersten Mal seit der politischen Wende vor Veränderungen, auf die sie nicht vorbereitet war? Ferenc Gyurcsany - der frisch gewählte Kandidat für das Amt des ungarischen Ministerpräsidenten verspricht, dies zu ändern. Mit mehr Transparenz und einschneidenden Reformen will er die ungarische Wirtschafts- und Finanzpolitk wieder ankurbeln und auch die immensen Staatsschulden herunterschrauben. Dafür appelliert er an die Opferbereitschaft und den Kooperationswillen aller Ungarn:
Heute ist der Tag der Rivalität. Nicht der Tag der Abrechnung sondern der Tag der Zusammenarbeit, der Ungarn zusammenführt.
Doch leicht wird das nicht, denn immer mehr öffentliche Einrichtungen rufen nach Geld. Erst im Gesundheitswesen und nun im Bildungsbereich. So hat Istvan Klinghammer, der Rektor der größten ungarischen Universität, der Eötvös-Lorand-Universität in Budapest, Mitte September angekündigt: seiner Universität fehlen für das kommende Studienjahr umgerechnet 2,5 Millionen Euro.
Und darum sei sie ab November nicht mehr in der Lage, ihre Professoren, Dozenten und ihr Verwaltungspersonal zu bezahlen. Im Rahmen des Wirtschafts-Sparpakets bekamen Bildung und Wissenschaft von der jetzigen Regierung im letzten Jahr nur noch 0,7 Prozent des BIP. Im Gegensatz zu den 1,6 Prozent unter der vorherigen, konservativen FIDESZ-Regierung. Selbst das Budget der ungarischen Akademie der Wissenschaften musste Einbußen hinnehmen. Sie erhielt rund 7,5 Millionen Euro weniger.
Grund dafür ist das neue Konzept des ungarischen Wissenschaftsministers Balint Magyar, der Universitäten und Forschungseinrichtungen in "von der Industrie subventionierte autonome Wirtschaftsunternehmen" umwandeln möchte. Das provozierte einen Aufschrei der Empörung unter den Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Denn, so erklärt Janos Rainer, der Direktor des 56er Instituts in Budapest, sie fürchten, dadurch auf die ausschließlichen Interessen von Wirtschaft und Politik reduziert zu werden.
Die ungarischen Sozialwissenschaften hängen schon jetzt viel zu sehr am Tropf der Politik. Bei jedem politischen Wechsel werden Forschungsgelder gestrichen oder umverteilt. Immer nach dem Motto: wenn Du Dich mit dem beschäftigst, was ich will, kriegst Du Geld, wenn nicht, kriegst Du eben keins.
Ein weiteres großes Problem bleibt die hohe Arbeitslosigkeit im Nordosten Ungarns, die nach dem Zusammenbruch der Kohle- und Stahlindustrie mit einer Quote von 20 Prozent der soziale Brennpunkt des Landes bleibt und bisher so gut wie keine neue Industrien anlocken konnte. Und wer in Ungarn arbeitslos wird, hat mehr zu fürchten als im Westen.
Denn in Ungarn beziehen Arbeitslose nur ein Jahr lang Arbeitslosengeld, und dann auch nur 65 Prozent des letzten Gehaltes. Bei den oft schon sehr niedrigen Löhnen ist das dann nur noch eine kümmerliche Summe. Wer dann in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutscht, dem bleiben oft nicht einmal die üblichen 191 Euro des Minimallohns. Und dazu - so Tamas Wittich, der Vorsitzende des ungarischen Gewerkschaftsbundes MSZOSZ - gehören im Nordosten des Landes immer mehr Menschen.
Man sollte vielleicht hinzufügen, dass dieses Ost-West-Gefälle schon vor der Wende existierte und durch die Wende einfach nicht aufgeholt werden konnte. Es gibt im Norden des Landes aber noch Gemeinden, in denen die Arbeitslosigkeit bei über 20 Prozent liegt. Dort versucht man, den Menschen halt irgendeine gemeinnützige Arbeit zu geben, so dass sie wenigstens irgendwelche Einnahmen beziehen.
Hohe Langzeitarbeitslosigkeit, langfristige Abhängigkeit von niedrigen und unzureichenden Einkommen und sogenannte "Patchwork-Erwerbsbiographien" aus Teilzeitarbeit, Halbselbständigkeit und kurzfristigen Billigarbeitsverträgen - das gibt es alles auch schon im Westen, charakterisiert aber ganz besonders den mittelosteruopäischen und ungarischen Arbeitsmarkt.
Viele Ungarn hatten bereits vor der Wende zwei oder drei Berufe gleichzeitig, was ihnen erlaubte, das zu verdienen, was sie zum Leben brauchten. Denn die ungarischen Reformkommunisten hatten schon Ende der siebziger Jahre eine sogenannte "zweite Wirtschaft" eingeführt. Statt höhere Gehälter, wie etwa in der DDR, bekamen die Menschen hier die Möglichkeit, eine steuergünstige Zweit-und Drittätigkeit auszuüben, um so zu mehr Wohlstand zu gelangen. So kam es ,dass Fabrikarbeiter in ihrer "Freizeit" eine private Landwirtschaft betrieben, Kindergärtnerinnen abends und an Wochenenden putzen gingen und Biologen sich ihr unzureichendes Forschergehalt durch einen kleinen Lederwarenladen aufbesserten.
Diese Kombination von staatlicher Plan- und privater Marktwirtschaft führte dazu, dass bereits zur Zeit der politischen Wende - 1990 - fast jeder dritte Ungar zwei Berufe hatte. Und daraus entstanden dann nach der Wende die vielen Keinunternehmen - die sogenannten BT's - auf Deutsch: Ich-AGs. Vor allem im Dienstleistungs-und Zuliefererbereich. Bislang sind sie für Ungarn ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Nicht nur, weil einige von ihnen zu erfolgreichen wachstumsorientierten Unternehmen wurden, sondern auch, weil die, die als Familienbetrieb oder als Einmannbetrieb funktionieren, das Abgleiten vieler in die Arbeitslosigkeit verhindern. Dazu meint Arnold Ludanyi:
Ungarn hat etwa eine Million klein-und mittelständischer Firmen. Davon sind aber nur zwei- bis dreihundert im klassischen Sinne wirklich wachstumsorientierte Unternehmen mit richtigen Angestellten. Die restlichen siebenhunderttausend sind jene Mikrounternehmen, jene Familienbetriebe, die zur Zeit aus arbeitspolitischen Gründen mit Steuerbegünstigungen von der Regierung unterstützt werden.
Nun stellt sich jedoch die Frage, was innerhalb der EU mit diesen typisch ungarischen Kleinunternehmen in Zukunft passieren wird. Werden sie sich gegenüber der wachsenden internationalen Konkurrenz halten können? Wieviele können ihre Zulieferungen und ihre Dienstleistungen in Zusammenarbeit mit großen Firmen ausbauen, und wieviel werden erneut auf der Strecke bleiben? Was für Folgen wird das für Ungarns Wirtschaft haben ? Arnold Ludanyi blickt da mit Sorge in die Zukunft:
Nur wenige dieser Kleinfirmen wissen, wie sie ihre Wettbewerbsfähigkeit auch nach dem EU-Beitritt wahren können. Selbst wachstumsorientierten Firmen fehlt es ja oft an Informationen über EU-Fördermöglichkeiten und an Zukunftsvisionen. Das wird mit Sicherheit noch lange dauern, bis sie sich im Umfeld des einheitlichen Marktes bewegen können. Die anderen werden in den nächsten Jahren langsam verschwinden.
Für Andras Inotai vom Budapester Institut für Weltwirtschaft ist es im Gegenteil sehr positiv, wenn unrentable Firmen verschwinden, wenn der Markt sich konzentriert und nur solche Firmen wachsen, die sich anzupassen können. Dann - so seine Sicht der Dinge - würden damit ja auch wieder mehr Arbeitsplätze geschaffen. Und die könnten diejenigen brauchen, die sich jetzt erfolglos durchkämpfen.
Ich würde sagen, der Beitritt kann dabei behilflich sein. Es ist nicht mehr haltbar, eine Million solcher Unternehmen in der zweiten Phase des Modernisierungsprozesses beizubehalten. Nämlich diese Phase ist charakterisiert durch eine Konzentration des Kapitals. Überall. Nur mit einem konzentrierten Kapitalvermögen ist es möglich, dass diejenigen, die am Leben bleiben, wirklich auch kompetitiv, konkurrenzfähig bleiben, nicht nur in Ungarn, sondern auf dem Binnenmarkt der Europäischen Union und sogar auf der globalen Ebene.
Nämlich die ungarischen Unternehmen, wie auch die tschechischen und die polnischen, erhalten durch den Beitritt einen Binnenmarkt von 450 Millionen Konsumenten. Also, wenn jemand auf einem Markt von zehn Millionen überleben konnte, kann ich einfach nicht verstehen, warum er oder sie auf einem Markt von 450 Millionen nicht überleben kann, wenn dazu die notwendigen Qualitäten da sind oder beigebracht werden können.
Neben all diesen Fragen um Ungarns Zukunft ist auch die letzte große Privatisierungswelle wieder einmal in einen Strudel von Kritik geraten. Hotels, Firmen, Liegenschaften - so heißt es immer wieder von Seiten der Privatisierungsskeptiker - seien zum Schaden für Staat und Steuerzahler zu Spottpreisen verschleudert worden. Und selbst das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche kam in einer Studie vom Februar dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass "der Staatshaushalt Ungarns keine bedeutenden Einnahmen aus der Privatisierung bezogen hat"
Das wirtschaftliche Problem dieser Transaktionen bestehe aber für viele Kritiker auch in der Tatsache, dass ein zu großer Teil der ungarischen Staatsbetriebe und Banken an ausländische Investoren verkauft wurde.
Darum meint der Kabinettschef der Oppositionspartei FIDESZ, Tibor Navracsics:
Wir sind der Anischt, dass Ungarn das, was ihm jetzt noch an den sogenannten Hungaricas, also an ungarischen Staatsbetrieben bleibt, nicht mehr privatisieren sollte, weil es für den Staat und vor allem für die Staatskassen wirtschaftlich gesehen wichtig wäre, diesen Besitz zu halten.
So bleibt also abzuwarten, wie sich der 43jähige neue ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany all diesen Herausforderungen stellen wird und ob er Ungarn die langersehnte wirtschaftliche Erholung und Stabilität bringen kann.
Nach den großen Feierlichkeiten zum EU-Beitritt des Landes, am
1. Mai dieses Jahres, kommt bei vielen Ungarn nun die Ernüchterung. Das kürzlich eingeführte Sparpacket, die weiter steigende Inflationsrate, die wachsende Arbeitslosigkeit, die vor allem im Osten Rekordzahlen bis zu 20 Prozent erreicht, das Haushaltsdefizit, das mittlerweile 5,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmacht und die Nettoauslandsverschuldung von 20 Milliarden Euro - all diese Daten sorgen nicht gerade für allseitigen Optimismus.
Doch im Streit darüber, wer für das jetzige Tief verantwortlich ist, sind die Meinungen geteilt. Andras Inotai, der den regierenden Sozialisten nahestehende Generaldirektor des Budapester Instituts für Weltwirtschaft, meint im Gegensatz zu Tibor Navracsics, dass der mangelnde Reformwillen der vorhergehenden FIDESZ-Regierung und eine schleppende Privatisierung das Wirtschaftswachstum des Landes gebremst hätten.
Dabei waren beide Regierungen schuld. Das begann eigentlich bei der Orban-Regierung in den letzten zwei Jahren, und dann Medgyessi hat das eigentlich noch ein Jahr weitergemacht. Das war ein großer Fehler von beiden. Nämlich Ungarn als eine kleine und sehr offene Volkswirtschaft kann nur den Aufholprozess leisten, ein nachhaltiges Wachstum sichern, wenn das Wachstum exportorientiert und investorientiert ist. Ich meine eine marktgerechte Privatisierung und die zunehmende Öffnung für das Auslandskapital.
Eine Statistik des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung weist außerdem darauf hin, dass sich in Ungarn wie in den anderen neuen Mitgliedsstaaten eine Form von "relativer Einkommensarmut" breit macht. Das betrifft nicht nur die 30 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung im unteren Lohnbereich, wie Putzfrauen, Arbeiter und kleine Handwerker, sondern selbst die Mittelschicht. Das heißt: Lehrer, Universitätsdozenten, Krankenhausärzte, Richter und Krankenschwestern. Auch sie verdienen heute monatlich zwischen 400 und 800 Euro brutto - was nach dem Maßstab europäischer Einkommenskriterien weit unter dem europäischen Durchschnittseinkommen von 1500 Euro brutto liegt.
Auf dem Binnenmarkt Europa ist das in der Tat viel zu wenig, meint Michaela Moser, die Leiterin der Mittel-und Osteuropa-Sektion des Europäischen Anti-Armuts-Netzwerkes in Wien. Sie arbeitet mit den Regierungen der neuen EU-Mitgliedsstaaten und somit auch mit der ungarischen Regierung an Programmen zur effektiven Bekämpfung von Armut. Dabei ist sie immer wieder erstaunt, wenn sie in Ungarn oder auch in anderen Ländern Mittelosteuropas das Lohn-Preis-Verhältnis vergleicht - vor allem mit Blick auf die bevorstehende Einführung des Euro in den neuen Mitgliedsstaaten.
Die Löhne sind viel geringer, aber wenn man in die Läden geht, stehen dort die ganzen ... ja unsere Produkte, sag' ich mal jetzt, und die Preise sind durchaus vergleichbar mit den Preisen hier bei uns. Also, man kann sich eigentlich an den fünf Fingern ausrechnen, dass sich das nicht ausgehen kann.
Und während im Westen bunte Prospekte den florierenden und bald vollkommenen offenen Immobilienmarkt in Budapest und am Plattensee anpreisen, sind die Mieten, die dem EU-Niveau bereits angeglichen wurden und mittlerweile bis zu zwei Monatsgehälter verschlingen, für die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung einfach nicht mehr zu bezahlen. Die Preise für Eigentumswohnungen sind z.B. zwischen 1997 und 2004 um das vierfache gestiegen, so dass immer mehr Ungarn in die altkommunistischen Plattenbausilos am Rande der Städte ziehen oder in den viel ärmeren Nordosten von Budapest.
Löhne und Gehälter wurden in den letzten zehn Jahren zwar um 80 Prozent angehoben, doch die Inflation frisst davon jährlich rund neun Prozent. All das führt dazu, dass die Unzufriedenheit im Lande zunimmt, weil sich viele Ungarn schon jetzt als EU-Mitglieder zweiter Klasse fühlen.
Andras Inotai beurteilt diese Situation allerdings etwas anders. Er geht davon aus, dass diese Probleme Teil des Integrationsprozesses sind und dass die ersten Jahre der effektiven EU-Mitgliedschaft für die neuen Mitgliedsstaaten auf alle Fälle sehr schwierig sein werden. Für ihn sind die jetzigen Probleme eher politischer Natur, denn die Regierungen - so Andras Inotai - hätten es seit 1998 versäumt, rechtzeitig wichtige Reformen einzuleiten. Etwa eine Steuerreform, die die mittleren Einkommen entlastet hätte, eine institutionelle Reform für Verwaltung und Behörden und eine Bildungsreform, die den Universitätsbetrieb effizienter und kostengünstiger gestaltet und dadurch seine Dozenten auch besser bezahlen könnte.
Das ist eben etwas, was sich klären muss, in der zweiten Phase des Modernisierungsprozesses in Ungarn. Wir haben die erste Phase hinter uns, und wenn heute einige Leute über Krise sprechen - ich würde nie über Krise sprechen, weil die statistischen Daten widersprechen einer jeden Krise. Wir haben keine Krise, aber wir haben zwei oder drei große Herausforderungen. Ein Teil der Herausforderungen kommt davon, dass die frühere Regierung zwischen 1998 und 2002 es versäumt hatte, große Reformen einzuführen in einer Periode, wo das Wachstum fünf Prozent betrug. Dass solche Reformen, wie Steuerreform, wie die Reformen der öffentlichen Verwaltung oder die Gesundheits- und Bildungsreform... es ist einfach kein Schritt in dieser Richtung gemacht worden. Das muss jetzt nachgeholt werden.
Ungarn befand sich wirtschaftlich gesehen tatsächlich sieben Jahre lang auf stabilem Wachstumspfad. Motor für diese Entwicklung war bislang ein kontinuierlicher Exportanstieg, der dem Land auch im Jahre 2003 eine Wachstumsrate von 3,3 Prozent bescherte. Dank dieser Entwicklungen konnten auch im letzten Jahr wieder 130.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Allein deutsche Unternehmen, wie Audi, Telekom, RWE und Allianz haben sich seit der Wende im Jahre 1990 mit über zwölf Miliarden Euro in Ungarn engagiert. Mit der Gesamtsumme von rund 29 Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen - so eine Statistik des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche - nimmt Ungarn unter den attraktiven Mittelosteuropäischen Standorten heute den dritten Platz ein.
Doch auf diese Zunahme folgte im Jahre 2003 dann wieder ein plötzlicher Rückgang. Der betraf allerdings auch die anderen Länder wie die Slowakei, Polen und Tschechien. Die Summe ausländischer Direktinvestitionen in den fünf neuen EU-Mitgliedsstaaten schrumpfte in nur einem Jahr von 22 Milliarden Euro im Jahre 2002 auf neun Milliarden im Jahre 2003.
Grund dafür ist: Die Produktion, die nur eine geringe Qualifikation der Arbeitskräfte fordert, wandert aus diesen Ländern allmählich wieder ab. Die Investoren verlagern diese in Länder, die ihnen noch kostengünstigere Standorte bieten. So zum Beispiel nach China, Rumänien und in die Ukraine. Hinzu kommt, dass die ausländischen Investoren ihre Gewinne neuerdings wieder mitnehmen und nicht innerhalb des Landes reinvestieren. Was Ungarn anbelangt, so nahmen die zurückgeführten Gewinne 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zu und fielen 2003 auf das Niveau von 2001 zurück. Doch nicht nur das ist langfristig bedenklich, meint Arnold Ludanyi vom Budapester Wirtschaftsforschungsinstitut.
Ungarn ist in vieler Hinsicht allzu sehr an die Prozesse der Weltwirtschaft gebunden. Zum einen, weil ein Großteil seiner Industrien in ausländischer Hand liegt. Das Land hat eine hohe Import-Export-Quote, und darum spürt man sofort die ungünstigen Prozesse der Weltwirtschaft. Das sieht man am Sinken des Bruttoinlandsproduktes und an der Verminderung der Ausfuhr. Und darum kann Ungarn nur dann mit einer dauerhaften Erholung seiner Wirtschaft rechnen, wenn die Situation sich europaweit und weltweit verbessert.
Haushaltsdefizite, Arbeitsplatzabbau, Kapitalabfluss durch Rückführung der Gewinne in die Herkunftsländer, Exportrückgang. Steht die ungarische Wirtschaftspolitik hier tatsächlich zum ersten Mal seit der politischen Wende vor Veränderungen, auf die sie nicht vorbereitet war? Ferenc Gyurcsany - der frisch gewählte Kandidat für das Amt des ungarischen Ministerpräsidenten verspricht, dies zu ändern. Mit mehr Transparenz und einschneidenden Reformen will er die ungarische Wirtschafts- und Finanzpolitk wieder ankurbeln und auch die immensen Staatsschulden herunterschrauben. Dafür appelliert er an die Opferbereitschaft und den Kooperationswillen aller Ungarn:
Heute ist der Tag der Rivalität. Nicht der Tag der Abrechnung sondern der Tag der Zusammenarbeit, der Ungarn zusammenführt.
Doch leicht wird das nicht, denn immer mehr öffentliche Einrichtungen rufen nach Geld. Erst im Gesundheitswesen und nun im Bildungsbereich. So hat Istvan Klinghammer, der Rektor der größten ungarischen Universität, der Eötvös-Lorand-Universität in Budapest, Mitte September angekündigt: seiner Universität fehlen für das kommende Studienjahr umgerechnet 2,5 Millionen Euro.
Und darum sei sie ab November nicht mehr in der Lage, ihre Professoren, Dozenten und ihr Verwaltungspersonal zu bezahlen. Im Rahmen des Wirtschafts-Sparpakets bekamen Bildung und Wissenschaft von der jetzigen Regierung im letzten Jahr nur noch 0,7 Prozent des BIP. Im Gegensatz zu den 1,6 Prozent unter der vorherigen, konservativen FIDESZ-Regierung. Selbst das Budget der ungarischen Akademie der Wissenschaften musste Einbußen hinnehmen. Sie erhielt rund 7,5 Millionen Euro weniger.
Grund dafür ist das neue Konzept des ungarischen Wissenschaftsministers Balint Magyar, der Universitäten und Forschungseinrichtungen in "von der Industrie subventionierte autonome Wirtschaftsunternehmen" umwandeln möchte. Das provozierte einen Aufschrei der Empörung unter den Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Denn, so erklärt Janos Rainer, der Direktor des 56er Instituts in Budapest, sie fürchten, dadurch auf die ausschließlichen Interessen von Wirtschaft und Politik reduziert zu werden.
Die ungarischen Sozialwissenschaften hängen schon jetzt viel zu sehr am Tropf der Politik. Bei jedem politischen Wechsel werden Forschungsgelder gestrichen oder umverteilt. Immer nach dem Motto: wenn Du Dich mit dem beschäftigst, was ich will, kriegst Du Geld, wenn nicht, kriegst Du eben keins.
Ein weiteres großes Problem bleibt die hohe Arbeitslosigkeit im Nordosten Ungarns, die nach dem Zusammenbruch der Kohle- und Stahlindustrie mit einer Quote von 20 Prozent der soziale Brennpunkt des Landes bleibt und bisher so gut wie keine neue Industrien anlocken konnte. Und wer in Ungarn arbeitslos wird, hat mehr zu fürchten als im Westen.
Denn in Ungarn beziehen Arbeitslose nur ein Jahr lang Arbeitslosengeld, und dann auch nur 65 Prozent des letzten Gehaltes. Bei den oft schon sehr niedrigen Löhnen ist das dann nur noch eine kümmerliche Summe. Wer dann in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutscht, dem bleiben oft nicht einmal die üblichen 191 Euro des Minimallohns. Und dazu - so Tamas Wittich, der Vorsitzende des ungarischen Gewerkschaftsbundes MSZOSZ - gehören im Nordosten des Landes immer mehr Menschen.
Man sollte vielleicht hinzufügen, dass dieses Ost-West-Gefälle schon vor der Wende existierte und durch die Wende einfach nicht aufgeholt werden konnte. Es gibt im Norden des Landes aber noch Gemeinden, in denen die Arbeitslosigkeit bei über 20 Prozent liegt. Dort versucht man, den Menschen halt irgendeine gemeinnützige Arbeit zu geben, so dass sie wenigstens irgendwelche Einnahmen beziehen.
Hohe Langzeitarbeitslosigkeit, langfristige Abhängigkeit von niedrigen und unzureichenden Einkommen und sogenannte "Patchwork-Erwerbsbiographien" aus Teilzeitarbeit, Halbselbständigkeit und kurzfristigen Billigarbeitsverträgen - das gibt es alles auch schon im Westen, charakterisiert aber ganz besonders den mittelosteruopäischen und ungarischen Arbeitsmarkt.
Viele Ungarn hatten bereits vor der Wende zwei oder drei Berufe gleichzeitig, was ihnen erlaubte, das zu verdienen, was sie zum Leben brauchten. Denn die ungarischen Reformkommunisten hatten schon Ende der siebziger Jahre eine sogenannte "zweite Wirtschaft" eingeführt. Statt höhere Gehälter, wie etwa in der DDR, bekamen die Menschen hier die Möglichkeit, eine steuergünstige Zweit-und Drittätigkeit auszuüben, um so zu mehr Wohlstand zu gelangen. So kam es ,dass Fabrikarbeiter in ihrer "Freizeit" eine private Landwirtschaft betrieben, Kindergärtnerinnen abends und an Wochenenden putzen gingen und Biologen sich ihr unzureichendes Forschergehalt durch einen kleinen Lederwarenladen aufbesserten.
Diese Kombination von staatlicher Plan- und privater Marktwirtschaft führte dazu, dass bereits zur Zeit der politischen Wende - 1990 - fast jeder dritte Ungar zwei Berufe hatte. Und daraus entstanden dann nach der Wende die vielen Keinunternehmen - die sogenannten BT's - auf Deutsch: Ich-AGs. Vor allem im Dienstleistungs-und Zuliefererbereich. Bislang sind sie für Ungarn ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Nicht nur, weil einige von ihnen zu erfolgreichen wachstumsorientierten Unternehmen wurden, sondern auch, weil die, die als Familienbetrieb oder als Einmannbetrieb funktionieren, das Abgleiten vieler in die Arbeitslosigkeit verhindern. Dazu meint Arnold Ludanyi:
Ungarn hat etwa eine Million klein-und mittelständischer Firmen. Davon sind aber nur zwei- bis dreihundert im klassischen Sinne wirklich wachstumsorientierte Unternehmen mit richtigen Angestellten. Die restlichen siebenhunderttausend sind jene Mikrounternehmen, jene Familienbetriebe, die zur Zeit aus arbeitspolitischen Gründen mit Steuerbegünstigungen von der Regierung unterstützt werden.
Nun stellt sich jedoch die Frage, was innerhalb der EU mit diesen typisch ungarischen Kleinunternehmen in Zukunft passieren wird. Werden sie sich gegenüber der wachsenden internationalen Konkurrenz halten können? Wieviele können ihre Zulieferungen und ihre Dienstleistungen in Zusammenarbeit mit großen Firmen ausbauen, und wieviel werden erneut auf der Strecke bleiben? Was für Folgen wird das für Ungarns Wirtschaft haben ? Arnold Ludanyi blickt da mit Sorge in die Zukunft:
Nur wenige dieser Kleinfirmen wissen, wie sie ihre Wettbewerbsfähigkeit auch nach dem EU-Beitritt wahren können. Selbst wachstumsorientierten Firmen fehlt es ja oft an Informationen über EU-Fördermöglichkeiten und an Zukunftsvisionen. Das wird mit Sicherheit noch lange dauern, bis sie sich im Umfeld des einheitlichen Marktes bewegen können. Die anderen werden in den nächsten Jahren langsam verschwinden.
Für Andras Inotai vom Budapester Institut für Weltwirtschaft ist es im Gegenteil sehr positiv, wenn unrentable Firmen verschwinden, wenn der Markt sich konzentriert und nur solche Firmen wachsen, die sich anzupassen können. Dann - so seine Sicht der Dinge - würden damit ja auch wieder mehr Arbeitsplätze geschaffen. Und die könnten diejenigen brauchen, die sich jetzt erfolglos durchkämpfen.
Ich würde sagen, der Beitritt kann dabei behilflich sein. Es ist nicht mehr haltbar, eine Million solcher Unternehmen in der zweiten Phase des Modernisierungsprozesses beizubehalten. Nämlich diese Phase ist charakterisiert durch eine Konzentration des Kapitals. Überall. Nur mit einem konzentrierten Kapitalvermögen ist es möglich, dass diejenigen, die am Leben bleiben, wirklich auch kompetitiv, konkurrenzfähig bleiben, nicht nur in Ungarn, sondern auf dem Binnenmarkt der Europäischen Union und sogar auf der globalen Ebene.
Nämlich die ungarischen Unternehmen, wie auch die tschechischen und die polnischen, erhalten durch den Beitritt einen Binnenmarkt von 450 Millionen Konsumenten. Also, wenn jemand auf einem Markt von zehn Millionen überleben konnte, kann ich einfach nicht verstehen, warum er oder sie auf einem Markt von 450 Millionen nicht überleben kann, wenn dazu die notwendigen Qualitäten da sind oder beigebracht werden können.
Neben all diesen Fragen um Ungarns Zukunft ist auch die letzte große Privatisierungswelle wieder einmal in einen Strudel von Kritik geraten. Hotels, Firmen, Liegenschaften - so heißt es immer wieder von Seiten der Privatisierungsskeptiker - seien zum Schaden für Staat und Steuerzahler zu Spottpreisen verschleudert worden. Und selbst das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche kam in einer Studie vom Februar dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass "der Staatshaushalt Ungarns keine bedeutenden Einnahmen aus der Privatisierung bezogen hat"
Das wirtschaftliche Problem dieser Transaktionen bestehe aber für viele Kritiker auch in der Tatsache, dass ein zu großer Teil der ungarischen Staatsbetriebe und Banken an ausländische Investoren verkauft wurde.
Darum meint der Kabinettschef der Oppositionspartei FIDESZ, Tibor Navracsics:
Wir sind der Anischt, dass Ungarn das, was ihm jetzt noch an den sogenannten Hungaricas, also an ungarischen Staatsbetrieben bleibt, nicht mehr privatisieren sollte, weil es für den Staat und vor allem für die Staatskassen wirtschaftlich gesehen wichtig wäre, diesen Besitz zu halten.
So bleibt also abzuwarten, wie sich der 43jähige neue ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany all diesen Herausforderungen stellen wird und ob er Ungarn die langersehnte wirtschaftliche Erholung und Stabilität bringen kann.