Als Marcelo Yuka zum letzten Mal gerannt ist, hatte er neun Kugeln im Bauch. Neun Kugeln aus den Waffen einer Hand voll Banditen, die in einer Straße von Rio de Janeiro lauerten, in die er mit dem Auto einbog.
"Ich sah den Pick Up voller Banditen und ihre Waffen. Ich war noch am Anfang der Straße und dachte: Stopp, du fährst nicht weiter. Dreh um. Da haben sie schon geschossen. Ich bin gerannt, ich war am sterben. Aber ich wollte nicht sterben."
Marcelo Yuka hatte Grund am Leben zu hängen. Er war einer der bekanntesten Schlagzeuger Brasiliens, ein Star in der Rapper-Szene. Bis er vor fünf Jahren fast umgebracht wurde. Um 9 Uhr abends in einer normal befahrenen, normal beleuchteten Straße endete die Karriere des Startrommlers Marcelo Yuka.
"Ich stamme aus einem armen Viertel, aber ich habe ein Leben gewonnen, weil ich an meine Musik geglaubt habe. Das ist schwierig hier, als Armer ein Leben zu gewinnen. Auf ehrliche Art. Ich hatte es geschafft, mit dem Trommeln. Als die Kugeln mich trafen, wusste ich, dass ich nie wieder trommeln würde. Das wusste ich in dem Moment."
Nach dieser Nacht hat Yuka, heute 39, seinen Maßstab für Erfolgserlebnisse versetzt. Sein ganzer Körper schmerzt, 24 Stunden am Tag. Aber er kann seine Zehen bewegen, das ist ein Erfolg. Er spürt etwas, wenn er mit der Hand über seine lahmen Beine streicht. Heute Abend will Yuka ausgehen, er hat gebadet, seinen Bart gestutzt, eine Baseballmütze aufgesetzt.
Den beiden Trägern steht nach zwei Treppenabsätzen der Schweiß auf der Stirn. Marcelo Yukas Haus liegt am Berg, 60 Stufen schleppen sie den schweren Mann im Rollstuhl runter bis zur Straße. Eine Tortur für den Krankenpfleger und den Freund. Yuka sieht, wie sie sich quälen. Er hat wache Augen und einen eigenwilligen Blick auf die Dinge. Er ist in seinem Haus geblieben, trotz der 60 Stufen, trotz der Nähe zum Ort des Überfalls, 500 Meter entfernt. Yuka kennt seine Peiniger, einer arbeitet in der Nachbarschaft. Angezeigt hat er niemanden.
"Wenn die verhaftet werden, gehen Leute los, die ihnen nahe stehen, und bringen Leute um, die mir nahe stehen. Die Gewalt im Armenviertel ist hemmungslos. Aber das will keiner wissen. Nur weil ich bekannt bin, war ich für die Medien interessant."
Die hemmungslose Gewalt führt zu Statistiken wie dieser: Bei Brasilianern unter 35 Jahren sind Schüsse die Todesursache Nummer eins. Statistisch gesehen wird alle Viertelstunde ein Brasilianer von einer Kugel hingestreckt - Ehemänner, Väter, Söhne. Es waren die Ehefrauen, die Töchter und die Mütter, die das neue Gesetz wollten. Ein Gesetz, das den Brasilianern verbieten sollte, Pistolen zu kaufen, oder Gewehre, oder auch nur Munition. Kein Mittel gegen Drogenbosse. Die kaufen ihre Waffen auf dem Schwarzmarkt.
Nachdem vor zwei Jahren schon die Genehmigung für Waffenkauf erschwert wurde, wollten sich die Bürger mit dem neuen Gesetz den Kauf ganz verbieten. Denn fast die Hälfte der 38.000 Todesopfer pro Jahr werden nicht von Banditen erschossen, sondern von Bekannten, im Streit unter Nachbarn, Autofahrern, in der Familie.
"Das passiert am Samstag in der Kneipe, dass Leute eine Waffe ziehen, um einen Konflikt zu lösen. Brasilien ist ein friedliches Land, aber es hatte über Jahrhunderte eine ländliche Tradition. Man hat gelebt mit Waffen, man hat immer noch eine Zuneigung zu Waffen. Das Waffenverbot hätte einen Wandel dieser Kultur bedeutet."
Josephine Bourgois vom "Bündnis für Brasilien ohne Waffen" war bereit für diesen Wandel, so wie Marcelo Yuka, der dafür in Fernsehspots auftrat. Ihre Landsleute haben sich anders entschieden. Fast 64 Prozent der Wähler stimmten gegen das Gesetz, sie sagten Nein zum Verbot für Schusswaffen. Obwohl Statistiken der Universität Rio zeigen: Wer als Opfer eine Waffe zieht, erhöht das Risiko, selbst erschossen zu werden.
"Hätte ich damals eine Waffe gehabt, was hätte das genutzt? Sie waren viele. Und wer kann wirklich schießen? Mein Schuss hätte ein Kind treffen können. Der einzige wirkliche Unterschied mit einer Waffe wäre der gewesen: Die Banditen hätten jetzt meine Waffe."
Die Pistolen der unbescholtenen Bürger sind eine Quelle für den Schwarzmarkt der Banditen. Viele der Waffen landen bei Überfällen in den Händen von Kriminellen. Zigfach wurde das von den Medien wiederholt.
"Alle Religionen und Kirchen haben Ja unterstützt. Alle großen Politiker, die Zeitungen, das Fernsehen, Schauspieler, alle haben Ja gesagt, aber Nein hat gewonnen. Das Volk hat eine eigene Kraft."
Für den Soziologen Geraldo Monteiro zeigt das Votum nicht, dass sich jeder Brasilianer eine Waffe kaufen will. Er sieht das Signal, dass sich die Leute der ungehemmten Gewalt ausgeliefert fühlen.
"Das Nein hat die Angst der Menschen ausgedrückt. Die Bürger hatten das Gefühl: Ich muss mich entwaffnen, aber der Staat entwaffnet nicht die Banditen. Der Staat ist untätig und korrupt, die Polizei ist uneffektiv und gewalttätig. So erleben es die Leute und sagen Nein zu dieser Unsicherheit. Nein zu den Institutionen, die unglaubwürdig sind. Das Nein war eine Nachricht an die Politik."
Das Nein kam aus der Mittelschicht, von den Bildungsbürgern, denn die haben am meisten zu verlieren bei Einbrüchen und Überfällen. Wie Flávio Bolsonaro, Wortführer der Gesetzesgegner:
"Der Staat bietet uns keinen Schutz, es gibt keine Sicherheit in unseren Straßen. Wir behalten das Recht, selbst dafür zu sorgen. Es reicht oft schon, wenn man zeigt, dass man eine Waffe hat. Das kann schon ein Verbrechen verhindern."
Politiker wie Bolsonaro gehen gestärkt aus der Abstimmung hervor, genau wie die Waffenindustrie. Ihren nächsten Schritt hat die Nein-Lobby schon angekündigt: Das bestehende Gesetz anfechten, das bislang die Genehmigung für den Kauf einer Waffe erschwert. Als Argument werden die 64 Prozent herhalten, die Nein gesagt haben zu einem Brasilien ohne Waffen.
Marcelo Yuka ist enttäuscht, doch er mag seine Landsleute. Und er mag es, wie sie ihn noch immer beklatschen, wenn er in einem von Rios Tanzclubs auftaucht. Yuka geht viel aus und arbeitet viel. Er braucht die Ablenkung zum Leben.
"Ich weiß nicht mehr, wie es ohne Schmerz war. An dieses Gefühl kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich habe mir ein Limit gesetzt, eine Zeit, die ich das aushalten kann. Für immer nicht, nicht im Rollstuhl, nicht mit diesem Schmerz."
"Ich sah den Pick Up voller Banditen und ihre Waffen. Ich war noch am Anfang der Straße und dachte: Stopp, du fährst nicht weiter. Dreh um. Da haben sie schon geschossen. Ich bin gerannt, ich war am sterben. Aber ich wollte nicht sterben."
Marcelo Yuka hatte Grund am Leben zu hängen. Er war einer der bekanntesten Schlagzeuger Brasiliens, ein Star in der Rapper-Szene. Bis er vor fünf Jahren fast umgebracht wurde. Um 9 Uhr abends in einer normal befahrenen, normal beleuchteten Straße endete die Karriere des Startrommlers Marcelo Yuka.
"Ich stamme aus einem armen Viertel, aber ich habe ein Leben gewonnen, weil ich an meine Musik geglaubt habe. Das ist schwierig hier, als Armer ein Leben zu gewinnen. Auf ehrliche Art. Ich hatte es geschafft, mit dem Trommeln. Als die Kugeln mich trafen, wusste ich, dass ich nie wieder trommeln würde. Das wusste ich in dem Moment."
Nach dieser Nacht hat Yuka, heute 39, seinen Maßstab für Erfolgserlebnisse versetzt. Sein ganzer Körper schmerzt, 24 Stunden am Tag. Aber er kann seine Zehen bewegen, das ist ein Erfolg. Er spürt etwas, wenn er mit der Hand über seine lahmen Beine streicht. Heute Abend will Yuka ausgehen, er hat gebadet, seinen Bart gestutzt, eine Baseballmütze aufgesetzt.
Den beiden Trägern steht nach zwei Treppenabsätzen der Schweiß auf der Stirn. Marcelo Yukas Haus liegt am Berg, 60 Stufen schleppen sie den schweren Mann im Rollstuhl runter bis zur Straße. Eine Tortur für den Krankenpfleger und den Freund. Yuka sieht, wie sie sich quälen. Er hat wache Augen und einen eigenwilligen Blick auf die Dinge. Er ist in seinem Haus geblieben, trotz der 60 Stufen, trotz der Nähe zum Ort des Überfalls, 500 Meter entfernt. Yuka kennt seine Peiniger, einer arbeitet in der Nachbarschaft. Angezeigt hat er niemanden.
"Wenn die verhaftet werden, gehen Leute los, die ihnen nahe stehen, und bringen Leute um, die mir nahe stehen. Die Gewalt im Armenviertel ist hemmungslos. Aber das will keiner wissen. Nur weil ich bekannt bin, war ich für die Medien interessant."
Die hemmungslose Gewalt führt zu Statistiken wie dieser: Bei Brasilianern unter 35 Jahren sind Schüsse die Todesursache Nummer eins. Statistisch gesehen wird alle Viertelstunde ein Brasilianer von einer Kugel hingestreckt - Ehemänner, Väter, Söhne. Es waren die Ehefrauen, die Töchter und die Mütter, die das neue Gesetz wollten. Ein Gesetz, das den Brasilianern verbieten sollte, Pistolen zu kaufen, oder Gewehre, oder auch nur Munition. Kein Mittel gegen Drogenbosse. Die kaufen ihre Waffen auf dem Schwarzmarkt.
Nachdem vor zwei Jahren schon die Genehmigung für Waffenkauf erschwert wurde, wollten sich die Bürger mit dem neuen Gesetz den Kauf ganz verbieten. Denn fast die Hälfte der 38.000 Todesopfer pro Jahr werden nicht von Banditen erschossen, sondern von Bekannten, im Streit unter Nachbarn, Autofahrern, in der Familie.
"Das passiert am Samstag in der Kneipe, dass Leute eine Waffe ziehen, um einen Konflikt zu lösen. Brasilien ist ein friedliches Land, aber es hatte über Jahrhunderte eine ländliche Tradition. Man hat gelebt mit Waffen, man hat immer noch eine Zuneigung zu Waffen. Das Waffenverbot hätte einen Wandel dieser Kultur bedeutet."
Josephine Bourgois vom "Bündnis für Brasilien ohne Waffen" war bereit für diesen Wandel, so wie Marcelo Yuka, der dafür in Fernsehspots auftrat. Ihre Landsleute haben sich anders entschieden. Fast 64 Prozent der Wähler stimmten gegen das Gesetz, sie sagten Nein zum Verbot für Schusswaffen. Obwohl Statistiken der Universität Rio zeigen: Wer als Opfer eine Waffe zieht, erhöht das Risiko, selbst erschossen zu werden.
"Hätte ich damals eine Waffe gehabt, was hätte das genutzt? Sie waren viele. Und wer kann wirklich schießen? Mein Schuss hätte ein Kind treffen können. Der einzige wirkliche Unterschied mit einer Waffe wäre der gewesen: Die Banditen hätten jetzt meine Waffe."
Die Pistolen der unbescholtenen Bürger sind eine Quelle für den Schwarzmarkt der Banditen. Viele der Waffen landen bei Überfällen in den Händen von Kriminellen. Zigfach wurde das von den Medien wiederholt.
"Alle Religionen und Kirchen haben Ja unterstützt. Alle großen Politiker, die Zeitungen, das Fernsehen, Schauspieler, alle haben Ja gesagt, aber Nein hat gewonnen. Das Volk hat eine eigene Kraft."
Für den Soziologen Geraldo Monteiro zeigt das Votum nicht, dass sich jeder Brasilianer eine Waffe kaufen will. Er sieht das Signal, dass sich die Leute der ungehemmten Gewalt ausgeliefert fühlen.
"Das Nein hat die Angst der Menschen ausgedrückt. Die Bürger hatten das Gefühl: Ich muss mich entwaffnen, aber der Staat entwaffnet nicht die Banditen. Der Staat ist untätig und korrupt, die Polizei ist uneffektiv und gewalttätig. So erleben es die Leute und sagen Nein zu dieser Unsicherheit. Nein zu den Institutionen, die unglaubwürdig sind. Das Nein war eine Nachricht an die Politik."
Das Nein kam aus der Mittelschicht, von den Bildungsbürgern, denn die haben am meisten zu verlieren bei Einbrüchen und Überfällen. Wie Flávio Bolsonaro, Wortführer der Gesetzesgegner:
"Der Staat bietet uns keinen Schutz, es gibt keine Sicherheit in unseren Straßen. Wir behalten das Recht, selbst dafür zu sorgen. Es reicht oft schon, wenn man zeigt, dass man eine Waffe hat. Das kann schon ein Verbrechen verhindern."
Politiker wie Bolsonaro gehen gestärkt aus der Abstimmung hervor, genau wie die Waffenindustrie. Ihren nächsten Schritt hat die Nein-Lobby schon angekündigt: Das bestehende Gesetz anfechten, das bislang die Genehmigung für den Kauf einer Waffe erschwert. Als Argument werden die 64 Prozent herhalten, die Nein gesagt haben zu einem Brasilien ohne Waffen.
Marcelo Yuka ist enttäuscht, doch er mag seine Landsleute. Und er mag es, wie sie ihn noch immer beklatschen, wenn er in einem von Rios Tanzclubs auftaucht. Yuka geht viel aus und arbeitet viel. Er braucht die Ablenkung zum Leben.
"Ich weiß nicht mehr, wie es ohne Schmerz war. An dieses Gefühl kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich habe mir ein Limit gesetzt, eine Zeit, die ich das aushalten kann. Für immer nicht, nicht im Rollstuhl, nicht mit diesem Schmerz."