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"Ungeduld des Herzens"
Bühnengetue statt inneres Erleben

Simon McBurney, einer der führenden britischen Regisseure, hat "Ungeduld des Herzens" an der Schaubühne in Berlin inszeniert. Der einzige Roman, den Stefan Zweig vollendet hat, beinhaltet große Gefühle und große Politik. Aber genau diesen Romanbogen vermag die Inszenierung nicht zu spannen.

Von Eberhard Spreng | 23.12.2015
    Die Schaubühne - Ben Beckers erster Arbeitsplatz am Theater.
    Simon McBurney ist an die Berliner Schaubühne gekommen, um mit seinen Methoden den einzigen von Stefan Zweig vollendeten Roman zu theatralisieren. (Deutschlandradio / Frank Ulbricht)
    "Die ganze Sache begann mit einer Ungeschicklichkeit, einer völlig unverschuldeten Tölpelei, einer 'Gaffe', wie die Franzosen sagen. Ich war damals 25 Jahre alt und aktiver Leutnant."
    Leutnant Anton Hofmiller, Spross einer nicht gerade wohlhabenden Beamtenfamilie, ist ganz unerwartet in eine noble Gesellschaft eingeladen worden, hat sich und seine neuen Bekannten vorzüglich unterhalten, dann aber die Tochter des Hausherren zum Tanzen aufgefordert, nicht wissend, dass diese gehbehindert ist, lahm und zu mühseligen Schritten allenfalls mithilfe von Krücken in der Lage. Ein peinlicher Faux-Pas, der sich erstaunlicherweise mit einem opulenten Strauß Rosen reparieren lässt.
    Allnachmittägliche Besuche auf Schloss Kékesfalva folgen, eine erstaunliche Sympathie wird dem jungen Mann entgegengebracht und ganz allmählich gerät er in eine emotionale Verstrickung. Anton Hofmiller erlebt mal narzisstische Freude über den gesellschaftlichen Erfolg, das wohlige Aufgehobensein in einem familiären Zusammenhang, die erotische Anziehung zur Nichte, vor allem aber das Gefühl des Mitleids mit der behinderten Tochter Edith des alternden Hausherren Kékesfalva.
    Unerbitterlicher Sog emotionaler Verstrickungen
    Stefan Zweigs Roman zieht seinen Protagonisten in einen unerbittlichen Sog emotionaler Verstrickungen, die in die Tragödie führen. Simon McBurney lässt seine Akteure zunächst an verschiedenen, im Raum verteilten Tischen Platz nehmen. Schreibtischlampen beleuchten fahl die nüchternen Tischplatten. Mikrofone stehen bereit; aus dem Roman wird ein vielstimmiges Oratorium.
    "Es knistert, wenn sie lacht ... Kapaune reiten auf breiten Sätteln von geschichtetem Reis ... Sie hat entzückende, kleine, durchleuchtende Ohren ... Puddinge flammen in blaubrennendem Rum... dichtes schwarzes Haar... ein wahrer Regenbogen von Schnäpsen, und spargeldicke Zigarren!"
    Immer wieder eilen die Schauspieler ins Zentrum der Bühne, skizzieren flüchtig eine Figur, um sich gleich wieder zurückzuziehen. Mal ist einer der Erzähler, mal ein anderer. Während Christoph Gawenda quasi als Sprecher des Protagonisten am Bühnenrand verharrt, wirft sich Laurenz Laufenberg in Kostüm, Pose und Gestus der Figur.
    Aber nie wird daraus das Spielen einer Rolle, die Verkörperung mit der ganzen emotionalen Wucht des Romans. Auch Edith, die sich allmählich in den Leutnant verliebt, ist in der Darstellung von Marie Burchard nie wirklich berührend. Zu fragmentiert sind emotionale Entwicklungen, zu abgeklärt die szenischen Setzungen.
    Das Theater als Produzent von Illustration
    Simon McBurney veräußerlicht den Schock, die Verletzungen, in Zeichen: Glas splittert laut und auffällig in Videoprojektionen, ein Tisch fährt unentwegt auf Schienen über die Bühne. Licht wirft lange Schatten, untermalende Geräusche werden angefertigt, das Theater zeigt sich selbst in seiner Rolle als Produzent von Illustrationen und elegischen Soundtracks bis hin zur Einspielung schwersten sinfonischen Materials, mit Gustav Mahlers Adagietto zumal. Wirkliche Bilder entstehen dabei nicht: Was im Roman inneres Erleben ist, wird hier zum Bühnengetue.
    Erst im zweiten Teil der Aufführung bekommt McBurney mitunter den Kern des Romans in den Griff: Hofmillers höfliche Unaufrichtigkeit, seine nette Anteilnahme, sein Opportunismus in der Garnison treffen auf die noch kindliche Radikalität der Gefühle und die latente Unerbittlichkeit der behinderten Edith. Sein Mitleid wird ihr unerträglich.
    "Sie kommen nur aus Mitleid. Ich verbiete es Ihnen, hören Sie, ich verbiete es Ihnen ... Glauben Sie, dass ich wirklich angewiesen bin auf Euer Herumsitzen mit Euren teilnehmenden Blicken ... Nein, Gott sei Dank, ich brauch Euch alle nicht ... Ich werde schon selber fertig mit mir. Und wenn's nicht weiter geht, dann weiß ich schon, wie ich loskomme von Euch."
    Große Geschichte soll das kleine Schicksal überlagern
    Hofmiller muss jetzt auch den Vater der Behinderten enttäuschen, den Robert Beyer mit stiller, in allmähliche Erstarrung führender Verzweiflung spielt. Am Ende hat Edith den naiven Leutnant mit ihrem Liebesverlangen in eine an Selbstverlust grenzende Verwirrung gestürzt. Ihr Selbstmord, dem ein letzter Verrat durch den Leutnant vorangegangen ist, soll den Bogen zur großen Geschichte spannen: zum Auslöser des Ersten Weltkrieges, zu seelenlosen Heldentaten des desillusionierten, schuldbeladenen Protagonisten.
    Am Anfang hatte alles mit dem musealen Hinweis auf die Schrecken der Geschichte begonnen: In einer Vitrine hängt die blutverschmierte Uniformjacke des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand, ein Überbleibsel des Attentats von Sarajewo, dem Auslöser des Ersten Weltkriegs. Die große Geschichte sollte von Anfang an wie ein Sog und eine Drohung das kleine Schicksal der Kékesfalvas und des Hofmiller überlagern. Aber genau diesen Romanbogen vermag die Inszenierung sowenig zu spannen, wie den gleichwohl vom Regisseur angestrebten Bezug zur Gegenwart.