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Ungehört, nicht unerhört

Die CD "Franz Liszt – Works for Violine and Piano" lässt zwei Musiker sehr unterschiedlichen Alters in ihrer Begeisterung für Franz Liszt zusammenfinden. Sie stellen einen Großteil des weitgehend unbekannten Repertoires vor.

Von Maja Ellmenreich |
    Kammermusik? Von Franz Liszt? Ein ratloser Blick, Achselzucken und Kopfschütteln. Auch Kenner des klassisch-romantischen Kammermusikrepertoires müssen da meist passen. Klaviermusik – klar! Orchesterwerke – natürlich! Lieder und Melodramen – ohne Zweifel! Aber… Kammermusik von Franz Liszt? Nie gehört! Im Deutschlandfunk können Sie sie heute Morgen hören: einige der wenigen Kompositionen, die Franz Liszt für Violine und Klavier geschrieben hat. Der Geiger Friedemann Eichhorn und der Pianist Rolf-Dieter Arens stellen auf ihrer neuen CD einen Großteil des unbekannten Repertoires vor – zum Beispiel die "Romance oubliée" für Violine und Klavier.

    Franz Liszt
    Romance oubliée, Dauer: 3'35


    Exklusiv für Violine und Klavier hat Franz Liszt die wenigsten Stücke komponiert, die sich auf der neuen CD finden. Auch die gerade gehörte "Romance oubliée" hat er für die Duo-Besetzung nicht neu geschaffen: Die Wurzeln der Romanze reichen zurück zu einem Lied, das Liszt bereits 1843 geschrieben hatte. Fünf Jahre später verzichtete er auf den Text und erstellte eine Fassung für Klavier solo. Weitere knapp 30 Jahre später wandte sich Liszt dem musikalischen Material erneut zu: Dieses Mal entstand eine Version für Violine, Viola oder Cello und Klavier. Aus eins mach vier! Wer Franz Liszt nun einen Meister des Musik-Recyclings oder einen kreativen Sparfuchs schimpfen möchte, der tut ihm unrecht. Liszt beschränkte sich schließlich nicht auf die bloße Transkription eines Werks, ihm reichte es nicht aus, die vorhandenen Noten auf mehrere Stimmen zu verteilen. Mit jeder weiteren Fassung versuchte Liszt, sich etwas Neues zu erschließen. Er erprobte frisch erworbene handwerkliche Fertigkeiten und wagte sich in andere Klangwelten vor, indem er etwa für die Violine komponierte. Inspiriert und unterstützt wurde er von fachkundigen Geigenvirtuosen: Charles-Philippe Lafont, Joseph Joachim und Eduard Reményi. Für Franz Liszt war die Arbeit an einem Werk also nicht abgeschlossen, wenn die Tinte trocken war. Motive, Melodien und Rhythmen gärten in ihm weiter, tauchten nach Jahren wieder an der Oberfläche auf. Dabei brachten sie vielfach Neues mit: Liszt blieb nicht starr bei der einmal gefundenen Form, sondern fand hier einen neuen Schluss, da eine veränderte Einleitung. Also: Den Rückgriff auf bereits verarbeitetes Material sollte man bei Liszt nicht als Einfallslosigkeit oder mangelnde Schaffenskraft abtun. Vielmehr verlangte es Gedankenfreiheit und Erfindungsgabe, sich von einem einmal gefundenen Klang, einer fertigen Form zu lösen und etwas Neues zu schaffen.

    Franz Liszt
    Ausschnitt aus: La lugubre gondola, Dauer: 3’31


    Ein Ausschnitt aus der "Trauergondel" – "La lugubre gondola". Auch hier war am Anfang das Klavier, nur das Klavier. Und erst später entstanden die Arrangements für Violine oder Violoncello und Klavier. Bei der "Trauergondel" fällt auf, was für alle lisztschen Bearbeitungen für Violine und Klavier typisch ist: Die Violine übernimmt die poetisch-lyrische Führung, während im Klavier die Melodie nur gelegentlich aufblitzt, es sich ansonsten beschränkt auf die Begleitfiguren. Diese klare Aufgabenteilung ist von den lisztschen Klavierkompositionen bekannt: Nicht selten sind rechter und linker Hand ganz unterschiedliche Aufgaben zugeordnet – rechts singt, links begleitet. Bei seinen Bearbeitungen nutzt Liszt nun den Vorteil, mit der Geige ein Instrument zur Verfügung zu haben, dass endlos lange Bögen spielen kann, ohne auch nur ein einziges Mal absetzen zu müssen. Die ständige Herausforderung eines Pianisten, eine horizontale Melodielinie zu produzieren, die das einzelne Tastendrücken vergessen lässt – diese Schwierigkeit stellt sich einem Geiger nicht. Und somit zeichnen sich Liszts Werke für Violine und Klavier durch eine enorme melodiöse Kraft aus. Die Musik wird plastischer, zumal der Klang der Geige und der Klang des Klaviers nicht miteinander verschmelzen: Sie heben sich voneinander ab, während bei einem Werk für Klavier solo alle Stimmen – ob Melodie oder Begleitung – stets den gleichen Kernklang besitzen, so differenziert ein Pianist auch spielen mag. Zum Vergleich – ein Ausschnitt aus der "Zweiten Elegie" von Franz Liszt in der Fassung für Klavier solo. Danach die Version für Violine und Klavier, gespielt von dem Geiger Friedemann Eichhorn und dem Pianisten Rolf-Dieter Arens.

    Franz Liszt
    Ausschnitt aus: Zweite Elegie, Dauer: 0'43
    LC 6011077


    Franz Liszt
    Zweite Elegie, Dauer: 3'44


    Der Geiger Friedemann Eichhorn und der Pianist Rolf-Dieter Arens – zwei, die sich mit der Kammermusik von Franz Liszt auskennen. Beide unterrichten als Professoren an der nach ihm benannten Hochschule in Weimar, Arens ist sogar deren Rektor. Doch das allein macht ihn noch nicht zum Liszt-Experten. Viel mehr wiegt da sein Amt als Präsident der Weimarer Liszt-Gesellschaft, als Vorsitzender des Internationalen Franz-Liszt-Klavierwettbewerbes und als künstlerischer Leiter des Liszt-Festivals. Ihm zur Seite: Friedemann Eichhorn, der nicht nur konzertiert und lehrt, sondern als promovierter Musikwissenschaftler eine beachtliche Anzahl an Artikeln zur Musik-Enzyklopädie "MGG" beigetragen hat. Zwei umtriebige Musiker also, die 26 Lebensjahre voneinander trennen, fast eine Generation. Doch musikalisch begegnen sie einander auf Augenhöhe. Und das, obwohl die Rollen der Violine und des Klaviers ungleich verteilt sind, obwohl der durchdringende Klang der Violine die akustische Aufmerksamkeit quasi von Natur aus auf sich lenkt – Friedemann Eichhorn und Rolf-Dieter Arens gelingt ein klanglich wie interpretatorisch ausgewogenes Spiel. Der warme Klang des Flügels gerät dank der hervorragend ausbalancierten Aufnahme nie ins Hintertreffen; während sich die Geige nie in den Vordergrund drängelt, ob sie in den höchsten Höhen singt oder in den tiefsten Tiefen wie eine Bratsche klingt. Bemerkenswert ist auch, wie Eichhorn und Arens stets die gleiche emotionale Dosierung gelingt: Sie verschießen ihr Pulver nicht schon zu Beginn eines Stückes, sondern haben von Anfang an den für Liszt typischen Höhepunkt im Blick. Gemeinsam steuern sie auf ihn zu, erreichen ihn und lassen ihn auch wieder ausklingen. Ein heikles Unterfangen, das beide mustergültig meistern. Kurzum: Die neue CD von Friedemann Eichhorn und Rolf-Dieter Arens mit Werken für Violine und Klavier von Franz Liszt verdient das Prädikat "rundum gelungen"! Und das nicht nur, weil sie weitgehend unbekanntes Repertoire vorstellt. Der klitzekleine Wermutstropfen – wie so oft – ist das ein wenig mager ausfallende Begleitheft: Mit Namen, Jahreszahlen und Werkverzeichnisnummern wird der Leser überschüttet, über die Musik dahinter erfährt er aber herzlich wenig.

    Franz Liszt
    Ausschnitt aus: Grand Duo concertant, Dauer: 0’40


    Werke für Violine und Klavier von Franz Liszt. Die neue CD von dem Geiger Friedemann Eichhorn und dem Pianisten Rolf-Dieter Arens ist – als Co-Produktion mit mdr Figaro – bei hänssler Classic erschienen. Viel Spaß damit wünscht Maja Ellmenreich.

    Franz Liszt – Works for Violine and Piano
    Friedemann Eichhorn, Violine
    Rolf-Dieter Arens, Klavier
    (hänssler CLASSIC 98.588 / LC 06047)