Eine gewisse Distanz zu wissenschaftlichen Fakten ist beim FC Bayern fast schon Tradition. Im Februar bezeichnet der damalige Trainer Hansi Flick den ausgebildeten Epidemiologen Karl Lauterbach als sogenannten Experten – weil er es gewagt hat, die Bayern-Reise nach Katar mitten im Lockdown zu kritisieren.
Jetzt verkündet Joshua Kimmich: Ja, ich bin nicht geimpft. Er habe Bedenken wegen fehlender Langzeitstudien. Er sei aber kein Corona-Leugner und schließe eine Impfung auch nicht kategorisch aus.
Damit trifft Kimmich wahrscheinlich die Gefühlslage von vielen der Millionen Menschen, die immer noch nicht geimpft sind. An wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren sie sich nicht.
Langzeit-Nebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt, sagt der Chef des Paul Ehrlich Instituts dem ZDF.
Und da ist auch der Impfstoff von Biontech nicht anders. Er ist nämlich nur rund 50 Stunden im Körper nachweisbar, bleibt also nicht jahrelang im Körper. Er verändert auch die DNA nicht, wie oft behauptet. Kurz: Für die allermeisten Menschen ist dieser Impfstoff sicher.
Es gibt keinen Grund, nicht mehr informiert zu sein
Zehn Monate nach Beginn der Impfkampagne gibt es keinen Grund, nicht mehr informiert zu sein. Gerade für jemanden wie Joshua Kimmich, der zu Beginn der Pandemie die Initiative "We Kick Corona" gegründet hat, um Geld zu sammeln. Geld, das unter anderem dafür genutzt wird, Impfstoffe in ärmere Länder zu bringen. Eine vorbildliche Aktion, die er jetzt konterkariert.
Und Kimmich schreibt auch noch auf der Website von We Kick Corona: "Weil Gesundheit über allem steht, ist Solidarität im Kleinen wie Großen notwendig." Und mir fällt es schwer, Respekt für jemanden aufzubringen, der mit solchen Sätzen PR macht, aber sich nicht impfen lässt – auch, wenn wir keine Impfplicht haben und er das Recht hat, sich nicht zu impfen.
Kimmich beklagt außerdem, dass es ja nur noch "geimpft" und "nicht geimpft" gebe. Das sind aber eben die einzigen zwei Auswahlmöglichkeiten, die wir während einer Pandemie haben. Und seine Klage, dass man ohne Impfung gleich als Impfgegner bezeichnet wird, ist Folge des Kulturkampfes, der ums Impfen ausgebrochen ist. Ein Kulturkampf, der nicht von denen gestartet wurde, die sich auf wissenschaftliche Fakten berufen. Nein, es sind die Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse leugnen, die in dieser Frage die Gesellschaft spalten – auch, wenn sie sich als lautstarke Verteidiger der Freiheit gerieren.
Kimmich hätte Vorbild sein können
Kimmich hätte in dieser gesellschaftlichen Lage ein Vorbild sein können für junge, aufgeklärte Menschen, die auf wissenschaftliche Fakten vertrauen und sich solidarisch verhalten. Stattdessen ist er jetzt ein Vorbild für die Menschen, die lieber auf ihren Bauch hören als auf Fakten, die nicht solidarisch genug sind, sich zu informieren, und ja, er ist auch Vorbild für Querdenker, die ihn als neuesten Freiheitskämpfer für ihre Zwecke instrumentalisieren.
Kimmich kann sich nicht aussuchen, wer ihn als Vorbild ansieht. Er kann sich aber aussuchen, für wen er Vorbild sein möchte. Und er hat sich für die Wissenschafts-Ignoranten und –Leugner entschieden.
Es ist ein generelles Problem, dass Profi-Fußballern eine größere Vorbildrolle zukommt, als sie es verdient hätten. Aber sie stehen nun mal in der Öffentlichkeit und sind gerade für junge Menschen ein Orientierungspunkt. Leider ist der Profi-Fußball dabei mit einem Kompass ausgestattet, der nicht zum ersten Mal in der Pandemie in die falsche Richtung zeigt.
Ich hätte mir gewünscht, Kimmich hätte eine andere Wahl getroffen. Eine Hoffnung habe ich aber noch: Nämlich dass Kimmich sich jetzt doch informiert, sich die Aussagen von Impfexpertinnen und Experten durchliest und dann zu dem Schluss kommt: Meine Bedenken sind ausgeräumt, ich lasse mich impfen. Und dadurch zum Vorbild für all diejenigen wird, die bis jetzt ebenso unsolidarisch sind, wie er.