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Ungeliebte Zweckehe

Die große Liebe war es nie, eher eine Zweckehe zwischen der SPÖ und der ÖVP, den österreichischen Sozialdemokraten und der konservativen Volkspartei. Nun droht diese ungeliebte Ehe zu scheitern, denn eine Affäre um Machtmissbrauch im österreichischen Innenministerium ist zur Zerreißprobe der rot-schwarzen Regierungskoalition geworden. Norbert Mappes-Niediek berichtet.

    Dass Österreichs große Koalition am Ende ist, wissen in Wien inzwischen alle. Dass das Ende von keinem der beiden Partner offiziell verkündet wurde, heißt nicht, dass es noch eine Chance gäbe. Es entspricht einfach einem Gesetz der Wiener Politik: Wer als erstes ausspricht, dass es Neuwahlen gibt, der verliert sie - so werden die beiden Regierungsparteien, die sozialdemokratische SPÖ und die christdemokratische ÖVP, einander jetzt noch ein halbes Jahr den Schwarzen Peter zuspielen.

    Die Großen Koalitionen in Wien und Berlin sind ähnlich alt. Das reizt natürlich zu Vergleichen. Beide sind nicht aus Neigung zustande gekommen, sondern weil eine Partei außerhalb der politischen Mitte andere Mehrheiten blockierte: In Berlin war es die Linkspartei - die nicht mittun durfte. In Wien waren es die rechtsradikalen Freiheitlichen - die nicht wollten. Hier wie dort war es die bisherige Kanzlerpartei, die sich in der großen Koalition als Juniorpartner wieder fand: in Berlin die SPD, in Wien die ÖVP, und in beiden Hauptstädten waren es diese Juniorpartner, an deren Rand die radikalen Oppositionsparteien geknabbert hatten.

    Und hier ist es mit den Gemeinsamkeiten vorbei. Während in Deutschland und besonders in der SPD eine erregte Debatte darüber losgebrochen ist, ob die Linke koalitionsfähig sein kann und damit andere Konstellationen wieder möglich sind, ist von dergleichen in Wien nichts zu spüren. Zur Bündnisfähigkeit der FPÖ verliert hier niemand ein Wort. Was sollte man auch sagen? Von Grundsätzen ist in Wien nur dann mal die Rede, wenn die Regierungspartner für ihre gegenseitige Antipathie ein wenig Futter brauchen. Braucht man den Feind nicht mehr, werden alle Inhalte auf einen Schlag bedeutungslos. Noch vor einem Jahr konnte niemand mit der rechtsradikalen Partei - morgen aber vielleicht schon alle. Heute sagen nicht einmal die Sozialdemokraten mehr klar, dass sie mit ihr nicht koalieren würden und wenn doch, dann hüten sie sich klar zu sagen warum. Dabei ist die FPÖ unter dem früheren Wehrsportler und Wiking-Jugend-Sympathisanten Heinz-Christian Strache noch einmal ein ganzes Stück nach rechts außen gerückt. In Deutschland, scheint es, werden Grundsätze der Parteitaktik untergeordnet. In Österreich hat die Taktik die Grundsätze schon ersetzt.

    Wo es keine Grundsätze mehr gibt, fehlt auch jedem Meinungsstreit die Basis, und spätestens dann wird eine Koalition rasch zu einer quälenden Psycho-Kiste. Österreichs Koalitionäre sind von Anfang an miteinander umgegangen wie die Partner in einer alten, unglücklichen Ehe, wo der eine schon mit den Augen rollt, wenn der andere nur Atem holt. Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel ist noch immer Klubchef der ÖVP - das ist so, als würde Gerhard Schröder als lebendes Mahnmal der vergangenen Ära heute noch die SPD-Fraktion anführen. Man mag sich nicht und zeigt das. Das ist traurig, aber für uns Deutsche leider kein Grund, uns über die Nachbarn zu erheben. Wahrscheinlich sind sie uns einfach nur einen Schritt voraus.