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Ungeliebtes Deutschland

Wenig Arbeitslose, gute Konjunkturdaten: Die Robustheit Deutschlands in der europäischen Schuldenkrise ist manchem EU-Mitgliedsstaat etwas unheimlich, und die deutsche Haltung wird als egoistisch und unnachgiebig empfunden. Auch in Italien regt sich Misstrauen.

Von Kirstin Hausen |
    Eine Talkshow auf Telelombardia, dem privaten Regionalfernsehen für die Lombardei. Im Mailänder Studio sitzen Hochschulabsolventen, die zum ins Ausland gehen wollen, um dort zu arbeiten. Der Moderator, Ende 50, väterliche Ausstrahlung, fragt Riccarda, wo es denn hingehe. "Australien", antwortet die junge Mathematikerin. Der junge Mann neben ihr will in die USA. "Soweit weg", seufzt der Moderator. Warum denn niemand nach Deutschland gehe, wundert er sich. "Wer will da schon hin", murmelt ein frischgebackener Jurist und erntet Lacher im Publikum.

    Arbeitsplätze in Deutschland sind bei italienischen Akademikern zwar beliebter als je zuvor, trotzdem sagt diese Begebenheit doch viel über das deutsch-italienische Verhältnis aus. So spannungsgeladen und ambivalent wie jetzt war es schon lange nicht mehr. Das liegt vor allem an der Finanzkrise. Da kommt vieles wieder hoch, denn die deutsche Haltung in der Europäischen Union wird häufig als egoistisch und unnachgiebig empfunden.

    Deutschland verschanze sich hinter seiner Härte, ohne jedes Verständnis für die anderen Länder Europas, sagt der Berlinkorrespondent der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Was er in dieser Zeitung schreibt, ist noch negativer. Die Bundesregierung sei an einem Ende der Krise gar nicht interessiert, weil sie so von besonders niedrigen Zinsen auf Bundesanleihen profitiere. Ihr Verhalten reiße Europa in den Abgrund.

    In dieser Stimmung sorgt sogar das Schiffsunglück vor der Insel Giglio für böses Blut.

    "Il giornale", eine Zeitung im Besitz der Familie Berlusconi, reagierte besonders heftig auf einen bissigen Spiegel-online-Kommentar, indem es um die italienische Nationalität des Kapitäns Schettino ging:

    "Wir haben Schettino, ihr habt Auschwitz", so "Il giornale".

    Die Nazivergangenheit Deutschlands als Waffe, um der deutschen Kritik an Italien zu begegnen. Das kann verwundern, weil Italien selbst 20 Jahre lang im faschistischen Gleichschritt hinter Benito Mussolini hermarschiert war.. Doch dieses dunkle Kapitel der italienischen Geschichte ist aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Vor allem in Norditalien sind die Geschichten von Widerstandskämpfern, die von deutschen Soldaten verhaftet oder erschossen worden sind, immer noch sehr gegenwärtig:

    "Ich hasse sie, wenn ich daran denke, wie grausam sie gewesen sind. Ohne jedes Mitgefühl. Die junge Generation hat keine Schuld, aber sie haben dasselbe Blut in ihren Adern."

    "Meine Eltern haben den Krieg und die Besatzung durch die Deutschen erlebt, und wenn im Fernsehen deutsch gesprochen wurde, schalteten sie um, weil sie diese Sprache an das Leid, das sie erlebt haben, erinnerte."

    Die italienischen Medien berührten immer noch einen wunden Punkt, wenn sie auf die Nazivergangenheit Deutschlands anspielten. Die Deutschlandkennerin Maria Laura Lanzillo von der Universität Bologna ist davon überzeugt. Sie sagt aber auch:

    "Ich weiß nicht, ob wir wirklich Angst vor den Deutschen haben oder ob diese Angst nicht in Wahrheit von den Medien konstruiert wird. In den vergangenen 60 Jahren haben die Deutschen alles getan, um sich in die internationale Staatengemeinschaft einzufügen. Sie haben viel für den Aufbau der Europäischen Union getan und ihre Schwierigkeit jetzt ist, dass die Institutionen, für die sie so viel getan haben, nun in eine enorme Krise geraten sind."

    Lanzillo ist Professorin für Kommunikation und Politische Philosophie. Gerade wegen ihrer Argumente und Kenntnisse wird sie derzeit in jede erdenkliche italienische Talkshow eingeladen. Über die Deutschen sagt sie:

    "Sie wissen auch nicht so genau, was zu tun ist. Denn die Rolle des 'Rudelführers' haben sie sich nicht ausgesucht. Wir haben ihnen diese Rolle untergeschoben, auch weil Deutschland die einzige Wirtschaftsmacht in Europa ist, die das Zeug dazu hat."

    Und mit diesem Urteil über Deutschland urteilt sie gleichzeitig über Italien.