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Ungeschnittene Klangkunst

Projekte, bei denen klassische Musiker mit Pop – oder Jazzmusikern zusammenspielen, gibt es Etliche. Leider klingen viele der dabei entstandenen Aufnahmen wie am Reißbrett konstruiert. Dass es auch anders geht, beweist jetzt der Niederländer Colin Benders mit seinem Kytemann Orchestra.

Von Kurt Gerland | 09.03.2013
    Musik war schon immer die treibende Kraft im Leben von Colin Benders. Bereits im Alter von drei Jahren schenkte ihm sein Onkel, der bekannte Jazzpianist Jacky Terrasson, eine Trompete.

    Nach Jahren der Ausbildung und des Testens verschiedener musikalischer Stile landete der 16-jährige Colin in der niederländischen Hip-Hop-Szene. 2009 erschien sein erstes Album "The Hermit Sessions", auf dem er unter dem Künstlernamen Kyteman alle Instrumente im Alleingang einspielte. In seiner Heimat gab es dafür Platin.

    Um seine Musik auch auf der Bühne aufführen zu können, gründete er mit Freunden und interessierten Musikern das Kyteman Hip-Hop Orchestra.

    Gut zwei Jahre später ist der Begriff Hip-Hop aus dem Namen verschwunden. Das Album "The Kyteman Orchestra" ist jetzt mit einiger Verspätung auch hierzulande veröffentlicht worden. Das Projekt setzt sich heute aus 18 Musikern, Rappern, Opernsängern und einem Chor zusammen. Und Colin Benders avancierte vom Solist zum Orchesterleiter.

    "Das ist schon eine ganz andere Form des Arbeitens. Früher musste ich auf alles selbst achten. Und ich habe es sehr genossen, so zu arbeiten. Alle Melodien, die Richtung in der Musik und das Rhythmus Arrangement lagen in meiner Verantwortung. Dass ich dieses Mal nicht allein verantwortlich war, führte zu einer extrem anderen Situation. Dazu kam, dass ich jeden Track in einem Durchgang aufnehmen wollte. Es sollte weder Schnitte noch Nachproduktionen geben. So sollte alles, was wir aufnahmen, menschlich wirken. Und selbst, wenn wir uns verspielt haben, ist das zu hören, weil das eben auch ein Ergebnis menschlicher Handlungen ist."

    Obwohl das klassische Element auf dem Debütalbum vom Kyteman Orchestra dominanter klingt als früher, bleibt genug Raum für Stilelemente aus Hip-Hop, Jazz, Drum und Bass oder Electronic Pop. Nur ein allzu gewohnter Klang blieb außen vor.

    "Mit dem Klang von Gitarren konnte ich noch nie was anfangen. Es gibt ein paar Bands, bei denen mag ich den Klang der Gitarren. Aber ich habe oft das Gefühl, dass die Gitarre für alles eingesetzt wird, und ich denke, dass das nicht immer funktioniert. Und darüber hinaus mag ich diese fast vergessenen Klänge. Wie zum Beispiel diesen tiefen, dunklen Sound, den die Bläser haben können. Und bei den Streichern ist es genauso. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man diese Instrumente außerhalb des klassischen Rahmens einsetzen kann."

    The Kyteman Orchestra ist ein Projekt, bei dem Widersprüche aufgehoben werden. Das gelingt, obwohl die Vorstellung einer Zusammenarbeit von Opernsängern und überzeugten Rappern aufgrund der Unterschiede ihres sozialen und musikalischen Backgrounds nicht gerade leicht gewesen sein dürfte.

    "Da gab es überhaupt keine Probleme. Das Kuriose war, dass sich die Opernsänger und die Rapper sogar gegenseitig bewunderten, und versuchten, voneinander zu lernen.Und so konnte man ab und zu auf den Gängen der Konzerthallen hundertprozentige Rapper erleben, die sich an klassischen Stücken versuchten, um zu testen, wie ihre Stimme dabei klang."

    Colin Benders ist heute 25, und er hat viel erreicht. Als Multiinstrumentalist, der schon als 12 Jähriger auch als Komponist Erfolg hatte, als Orchesterchef und seit einiger Zeit auch als Leiter eines Studiokomplexes, den er auf einem leer stehenden Fabrikgelände seiner Heimatstadt Utrecht einrichten ließ. Eine Erfolgsgeschichte, die ihn in den Medien schon den Ruf eines Wunderkindes eingebracht hat.

    "Um ganz ehrlich zu sein, erschien mir das schon immer ziemlich überzogen. Ich habe auch Schwierigkeiten, wenn ich mich mit Leuten unterhalten muss, die diese Wunderkind-Sache im Hinterkopf haben. Mir bleibt da eigentlich nichts Anderes übrig, als höflich zu bleiben, und zu versuchen, die Leute von meinen wirklichen Zielen zu überzeugen."