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Ungewisse Zukunft

Die baltischen Staaten hängen fast ausschließlich am russischen Energienetz - nur ein Kabel zwischen Estland und Finnland verbindet die Region mit dem Westen. Wenn das Atomkraftwerk in Ignalina Ende 2009 abgeschaltet wird, erhöht sich die Abhängigkeit von Moskau nochmals. Zwar wollen Estland, Lettland und Litauen mit Polen an gleicher Stelle einen neuen Reaktor bauen, aber das Projekt stockt.

Von Matthias Kolb | 23.03.2009
    Es herrscht eine gewisse Unordnung im Büro von Romas Svedas. Die Regale sind fast leer, die Visitenkarten noch nicht gedruckt. Der Terminkalender ist aber übervoll: Svedas ist die Nummer zwei im neuen litauischen Energieministerium. Die im Oktober gewählte Regierung von Audrius Kubilius will mit der Auslagerung der Energieabteilung aus dem Wirtschaftsressort die Bedeutung des Themas verdeutlichen. Für Svedas, zuvor als Diplomat in Brüssel tätig, betrifft die Frage ganz Europa:

    "Diese Region ist die brisanteste der ganzen EU, wenn es um Energie geht. Es gibt drei Mitgliedsstaaten, die fast isoliert und von einem Lieferanten abhängig sind. Zugleich gibt es viele Pläne, um Atomkraftwerke zu bauen: Unser pan-baltischer Reaktor in Ignalina, Moskau will ein AKW in Kaliningrad bauen und es existiert ein weiteres Projekt in Weißrussland."

    Heikel ist die Lage für Litauen: Ende 2009 muss das AKW in Ignalina vom Netz genommen werden - anstatt zu exportieren muss das Land dann für Energie bezahlen. Frühestens 2020 könnte ein neuer Meiler an gleicher Stelle stehen. Drei Projekte sollen das Baltikum stärker an Europa binden: Ein zweites "Estlink"-Kabel zwischen Finnland und Estland, eine Stromverbindung zwischen Polen und Litauen sowie ein Unterwasserkabel nach Schweden. Doch keine Spur von baltischer Einigkeit: Litauen und Lettland streiten, wo das Kabel aus Schweden enden wird. Analysten betonen, dass das litauische Stromnetz besser gerüstet sei - ein wichtiges Argument für Vizeminister Svedas:

    "Die technischen Voraussetzungen sind besser in Litauen. Es ist offensichtlich, dass wir viel Zeit sparen würden, wenn das Kabel in unserem Hafen Klaipeda enden würde. Die Firma Leo LT hat das nötige Geld und könnte morgen mit der Arbeit beginnen, aber leider verzögern die Diskussionen mit unserem Nachbarn das Projekt."

    Svedas setzt auf eine schnelle Einigung und hofft, dass 2014 durch das Swedlink-Kabel Strom fließt. Es gehe nicht darum, einzelne Länder zu verbinden, sondern Märkte: Die Balten haben den Skandinaviern eine Liberalisierung zugesichert. In Lettland ist man verärgert über das litauische Drängen - zumal Lettland gegen den Staatsbankrott kämpft. Im Außenministerium setzt man auf die Vermittlung der Europäischen Kommission. Der politische Direktor Peteris Ustubs nennt die lettischen Wünsche:

    "Wir möchten die Finanzmittel aus Brüssel nutzen, um unser Energienetz zu stärken, damit es für künftige Verbindungen nach Estland oder nach Schweden gerüstet ist. Zudem setzen wir auf erneuerbare Energien und möchten vor unsere Küste Windparks bauen."

    Bisher spielten Windkraft und Energieeffizienz im Baltikum eine geringe Rolle, doch das könnte sich ändern. Ein Kabel soll Lettland mit Estland verbinden, um die dort gewonnene Windenergie zu nutzen. Bisher produziert das Land 90 Prozent seiner Energie aus umweltschädlichem Ölschiefer - die Kosten sind niedrig, aber der Ausstoß an Kohlendioxid enorm. Um die Auflagen der EU zu erfüllen, gibt es bei Eesti Energia eine klare Strategie, berichtet Andres Tropp:

    "Neben Investitionen in erneuerbare Energien haben wir ein großes Interesse an Atomkraft. Es gibt drei Optionen: die Beteiligung am Gemeinschaftsprojekt in Litauen, einen Anteil an einem finnischen Reaktor oder eben unser eigenes Kernkraftwerk in Estland."

    Andres Tropp leitet beim Staatskonzern die Abteilung für Atomenergie - zuvor war er Botschafter in Litauen und kennt deswegen die Probleme beim Ignalina-Projekt. Estland wird sich frühestens in fünf Jahren entscheiden, aber erhöht den Druck: Das Parlament berät momentan über die neue Energiestrategie, die vorsieht, alle juristischen Voraussetzungen für einen eigenen Reaktor zu schaffen. Dass das litauische Verfassungsgericht jüngst Gesetzesänderungen forderte, um die Aufgaben der Energiefirma LEO LT zu klären, sorgte für Stirnrunzeln. Darius Montvila, Direktor für strategische Planungen bei LEO LT, versichert, dass die nötigen Studien für den neuen Reaktor noch 2009 fertig sind:

    "Unsere Tochterfirma arbeitet mit Hochdruck daran, alles vorzubereiten, was unsere Partner und westliche Investoren wissen müssen. Wir halten den Zeitplan ein, bis auf den Tag genau."

    Künftig will man besser über Fortschritte informieren, so Montvila. Vizeminister Svedas ist sich sicher, dass alle Partner das Projekt Ignalina unterstützen. Es gebe einen einigenden Faktor:

    "Die Experten aus dem Westen nehmen das Thema Energiesicherheit oft nicht ernst genug. Wir waren Teil der Sowjetunion, ich wuchs dort auf, nicht in Tschechien, Polen oder einem Land der sowjetischen Einflusszone. Wir waren hinter dem Eisernen Vorhang und wissen, was das bedeutet."