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Ungewissheit bis zur letzten Stimme

Italien hat gewählt, doch wer hat gewonnen? Die Ungewissheit währte lange nach Schließung der Wahllokale am Montag. Omenja ist ein Städtchen mit 15.000 Einwohnern ganz im Norden von Pyrmont. Wie man den Krimi auf dem Dorf verfolgt hat, berichtet Michael Brandt.

    Um drei Uhr gestern Nachmittag wurde gearbeitet, außerdem regnete es Strömen, im Cafe Central direkt neben dem Pallaazo Communale, dem Rathaus, ging es also geruhsam zu:

    "Ja ja, die Wahllokale haben um drei geschlossen, jetzt müsste die Prognose kommen. Ach, es ist schon drei vorbei, ich hab gerade bedient, da konnte ich nicht aufs Radio hören","

    sagt der Padrone. Für Wahlen interessiert man sich, klar, aber es nicht so, dass alle vor dem Radio oder Fernseher hängen und auf die ersten Ergebnisse warten, wie es bei einem Fußballspiel mit Sicherheit der Fall wäre.

    Ich habe aber gehört, sagt er, dass die Linke vorne liegt; Mitte-Links, und die Mitte ist wichtig.

    ""Das Zentrum muss stark sein, die Ränder die Extremen sollen nicht so viele Stimmen kriegen."

    Noch vor 30 Jahren war das Industriestädtchen Omegna rot. Im Krieg ein Partisanennest, danach fest in der Hand von Kommunisten und Gewerkschaften. So lange der Aufschwung stabil war, ging es gut. Aber dann musste eine nach der anderen Fabrik dicht machen, wurde kaputt gestreikt, wie man damals sagte.

    Der Gegend geht es noch immer nicht schlecht, an die Stelle der großen Fabriken traten kleine Betriebe, in denen die Gewerkschaften nicht mehr viel zu melden haben. Aber gleichzeitig hat sich auch die Einstellung der Menschen geändert:

    Ich bin für Berlusconi, sagt ein Junge, vielleicht 20 Jahre alt, weil er ihm vertraue.

    "Bei den Linken ist das anders, die Kommunisten, die Extremisten, ich halte mich lieber an die Moderaten, also Berlusconis Koalition."

    Vor dem Rathaus, auf einem überdachten Hof haben unterdessen Gemeindeangestellte Stellwände aufgestellt, hier sollen später die Ergebnisse des Wahlbezirks bekannt gegeben werden. Aber erstmal regnet es weiter, der Nachmittag geht ins Land und in allen Fernsehprogrammen blamiert sich das Mailänder Meinungsforschungsinstitut nexus, das um 16.30 Uhr eine Hochrechnung vorlegen wollte, die aber um 18.00 Uhr noch immer nicht da war:

    "Wait and see", abwarten, muss dann sogar der Direktor des Instituts in die laufenden Kameras sagen, irgendwas mit der Übermittlung der Zahlen habe nicht geklappt. Und auch die Prognose, die die Union von Romano Prodi vorne gezeigt hatte, erweist sich im Laufe der Zeit als ziemlich wackelig.

    Im Fernsehen wird gerätselt, werden ellenlange Zahlenkolonnen vorgetragen, während es vor dem Palazzo Communale allmählich konkret wird. Zwei Gemeindeangestellte in blauen Uniformen kommen raus und füllen die Liste mit die Ergebnissen der einzelnen Bezirke mit Filzstift aus:

    In aller Ruhe werden Kolonnen ausgefüllt und schließlich kommt der Leiter des Wahlamtes aus dem Rathaus und verkündet das Ergebnis für Omegna

    Die Mehrheit für Mitte-Rechts, also für die Berlusconi-Koalition in beiden Kammern des Parlaments; im Senat mit verhältnismäßig deutlicher Mehrheit, im Abgeordnetenhaus knapp: 50,14 Prozent.

    Wenn man auf die Vergangenheit von Omegna schaut, ein überraschendes Ergebnis, wenn man auf die Gegenwart schaut, gar nicht so sehr. Nur noch einer der großen Fabriken der Gegend geht es wirklich gut: dem Hersteller von Design-Haushaltsartikeln Alessi, und das, weil das Unternehmen gut und kreativ geführt wird. Ein anderer großer Topfhersteller wurde kürzlich verkauft, die Produktion wird wahrscheinlich in Ausland verlegt.

    Und die vielen kleinen Hersteller leiden heftig unter dem Druck der Importe aus China - das Ergebnis sind viele Stimmen für die Alleanza Nazionale, und vor allem für die Lega Nord, die am liebsten alle Schiffe, die aus China kommen, versenken würde.

    Aber immerhin, ein älterer Herr erinnert daran, dass man das Soziale nicht ganz vergessen darf. Berlusconi hat es ein wenig schleifen lassen, sagt er vorsichtig. Und in der Tat: Die Renten der Alten liegen oft noch unter 500 Euro im Monat, der Nettoverdienst für eine kommunale Sozialarbeiterin beträgt 1050 Euro - bei Lebenshaltungskosten, die teilweise deutlich über denen in Deutschland liegen.

    Es ist Montagabend, die meisten Kneipen haben zu, nur drei Bars haben länger offen, im Cafe President wird um zehn noch einmal der Fernseher angeschaltet: Chi ha vinto? - Wer hat gewonnen? heißt die Sendung im ersten Programm:

    "Trotz des Titels", sagt Moderator Bruno Vespa, "wir wissen es einfach noch nicht, und werden es möglicherweise nicht wissen, bis die letzte Stimme ausgezählt ist."