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Ungewöhnliche Interpretationen

Der weltweit erfolgreichste klassische Geiger Nigel Kennedy wagte schon immer gern den Ausflug in klassische Randgebiete. Auf seinem neuen Album trifft Klassik auf Jazz. Kennedy interpretiert Johann Sebastian Bach, Swing, Jazz - und stellt gleichzeitig Eigenkompositionen vor.

Von Frank Schroeder |
    Das bislang persönlichste Album Nigel Kennedys soll es sein: Recital. Das ist eine Mischung ganz verschiedener Stile, fast ist man geneigt, von einem Gemischtwarenladen zu sprechen. Eingespielt hat er alle Titel mit einer kleinen Jazzband, und sogar die Johann-Sebastian-Bach-Stücke hat Nigel Kennedy für diese Besetzung bearbeitet.

    Bachs 2. Violinkonzert in Jazz - so fällt der Bruch zwischen den Genres weit weniger ins Gewicht, als zunächst zu befürchten war. Allein vier Titel der CD stammen von Fats Waller, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Klavier-Jazz-Legende war. Nigel Kennedy ist mit dessen Musik groß geworden:

    "Meine Mutter hat noch mal geheiratet, was nicht so toll war, aber mein Stiefvater hatte eine großartige Sammlung mit alter Swingmusik. Und da habe ich das erste Mal Fats Waller gehört. Da habe ich eine gewisse Vorstellung davon bekommen, wohin es mit mir und der Musik gehen könnte. In der klassischen Ausbildung bei Yehudi Menuhin hat man mir immer nur gesagt, wie der Professor es gerne hätte, das war wie in einer Fabrik, wie mit Maschinen, und als ich Fats Waller hörte, kam so etwas wie Abenteuer in die Musik. Das ging mir ans Herz und erfüllte mich mit Enthusiasmus, um in der Musik besser zu werden."

    Genau hier - im Jazz und im Swing liegen die Wurzeln für die musikalischen Ausflüge Nigel Kennedys. Ausflüge wie 1999 - damals spielte er Rockgitarrist Jimi Hendrix mit seiner Geige -, Ähnliches wagte er dann mit Musik der Doors, von Peter Gabriel oder Miles Davis. Nun also: Fats Waller.

    Es gibt auf dem neuen Nigel-Kennedy-Album aber noch andere Klänge: Eigenkompositionen etwa, und sogar ein irisches Volkslied.

    Fragt sich: Wie gehen diese so unterschiedlichen Musikstile, quer durch die Jahrhunderte zusammen?

    "Na ja - in beiden Fällen spielt die Violine eine entscheidende Rolle. Und Bach wurde inspiriert nicht durch das Abwandeln und Kopieren von Musik, sondern von der Volksmusik. Das hat Bach dann verarbeitet und eingebunden in seine Musik."

    Insofern lag es für Nigel Kennedy nur nahe, die unterschiedlichen musikalischen Schubladen ordentlich durcheinanderzuwirbeln. Unterm Strich ist alles: Musik, die sich irgendwann einmal gegenseitig beeinflusst hat. Und noch etwas eint die so verschiedenartigen Titel dieses Albums auf angenehme Weise: Sie sind bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr ruhig interpretiert.

    "Am liebsten mag ich die langsamen Stücke, etwas Langsames ist für mich die persönlichste Musik. Etwas Schnelles, Rhythmisches, mag die Leute zu Bewegung animieren, vielleicht zum Tanzen, aber die ruhigen Stücke kommen aus dem Herzen. Wenn jemand etwas Langsames spielt, siehst du, woher er kommt, wie er denkt und fühlt. Da spürt man das Herz der Musik."

    Ungewöhnliche Interpretationen also - gespielt von einem ungewöhnlichen Künstler, der nicht nur zu Interviews, sondern auch zu Konzerten gern in seinen löchrigen Turnschuhen und einem alten, schlabberigen Trainingsanzug erscheint, die Punkerfrisur frisch aufgerichtet. Die Geige aber: perfekt gestimmt!

    Das Album "Recital" von Nigel Kennedy ist heute veröffentlicht worden. Und live können Sie sich das Ganze auch ansehen und anhören: Kennedys Deutschlandtournee beginnt am 4. April in München, führt über Düsseldorf, Essen, Berlin und Leipzig, und endet am 21. April in Hamburg.