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Ungewöhnliche Kombination

Im Reigen der jungen, international Aufsehen erregenden Geigerinnen fällt die Amerikanerin Hilary Hahn immer wieder durch ihre große musikalische Begabung und die Beständigkeit auf, mit der sie sich die großen berühmten Werke und auch das weniger Bekannte des Repertoires für ihr Instrument erarbeitet. Seit 1997 macht sie etwa einmal jährlich mit einer neuen CD auf sich aufmerksam und bannt für die "Ewigkeit" auf Platte, was sie vorher an verschiedensten Orten und im Falle von Violinkonzerten auch mit unterschiedlichen Partnern aufgeführt hat.

VonLudwig Rink |
    Mit 16 hatte sie einen Vertrag bei Sony Classics unterschrieben, wo in der Folge nach und nach Bachs Solosonaten, die Serenade von Bernstein sowie Violinkonzerte von Beethoven, Barber, Edgard Meyer, Strawinsky, Brahms, Mendelssohn und Schostakowitsch erschienen. Dann, 2002, wechselte Hilary Hahn zur Deutschen Grammophon Gesellschaft, und das erste gemeinsame Projekt, im Herbst 2003 veröffentlicht, waren die Violinkonzerte von Johann Sebastian Bach. Ein Jahr später folgte das Violinkonzert von Edward Elgar, zum Mozart-Jahr eine Kammermusik-Duo-Platte und dann Violinkonzerte von Paganini und Louis Spohr. Jetzt erscheint die neueste CD der Hilary Hahn, und hier bietet sie ein sehr gängiges und ein sehr selten zu hörendes Violinkonzert: das gängige stammt von Jean Sibelius, das selten zu hörende von Arnold Schönberg.

    " Jean Sibelius
    aus: Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 47
    Hilary Hahn, Violine
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Leitung: Esa-Pekka Salonen
    LC 0173 Deutsche Grammophon Gesellschaft
    477 7346 "

    Der berühmte Musiksoziologe Theodor W. Adorno wird sich vermutlich im Grabe herumdrehen bei dieser Kopplung eines Werkes seines Lieblingskomponisten Schönberg mit einem Werk des von ihm wenig geachteten Sibelius. In seiner bissigen "Glosse über Sibelius" von 1938 stellte er diesen als einen Komponisten dar, dem "weder einen Choral auszusetzen, noch einen ordentlichen Kontrapunkt zu schreiben vergönnt war; der sich ins Land der tausend Seen vergrub, um vor den kritischen Augen seiner Schulmeister geborgen zu sein." Andererseits musste Adorno im selben Aufsatz zugeben, dass man in England und Amerika zu dieser Zeit dem Namen Sibelius so häufig begegnete wie dem einer Automarke, dass Radio und Konzert von den Tönen aus Finnland widerhallten und er dort als einer der bedeutendsten Sinfoniker gefeiert wurde. Solch unterschiedliche Einschätzung hatte ihre Ursache in der ebenso unterschiedlichen musikalischen Tradition der verschiedenen Länder. Nicht förderlich für die Wertschätzung von Sibelius' Werken in Deutschland war die hiesige Musikgeschichtsschreibung, die die Epoche um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gern in eine Spätzeit der Romantik und den gleichzeitigen Aufbruch in Richtung Neue Musik gliederte, dabei an Gustav Mahler und Richard Strauss auf der einen, Debussy, Skrjabin und vor allem Schönberg auf der anderen Seite dachte. Doch dabei übersah man leicht die unterschiedlichen historischen Entwicklungen, denn während in Berlin, Wien und Paris die Gattungen von Sinfonie und Virtuosenkonzert damals bereits verstärkt in Zweifel gezogen wurden, war man in England und Skandinavien froh über die jeweils eigene, noch gar nicht so alte, von Musikern wie Edward Elgar, Carl Nielsen oder eben Sibelius geschaffene sinfonische Aufbauarbeit. Hier ging es weniger um Fragen von Modernität und Fortschritt, sondern zunächst einmal um Schaffung einer eigenen Konzerttradition. Zweifel am bislang benutzten musikalischen Material und die Suche nach neuen Ordnungssystemen - das kam hier erst später, bei Sibelius zum Beispiel deutlich zu spüren erst ab seiner 4. Sinfonie. So erlebt man auf dieser CD zwei weit voneinander entfernte Welten: hier die nach dem Zerfall der Tonalität wieder mit einer neuen Kompositionstechnik neu geordnete des Arnold Schönberg von 1936 und dort die noch nicht infrage gestellte Spätromantik eines frühen Sibelius von 1903.

    " Arnold Schönberg / Jean Sibelius
    aus: Konzert für Violine und Orchester, op. 36 (0'25)
    aus: Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 47 (0'43)
    Hilary Hahn, Violine
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Leitung: Esa-Pekka Salonen
    LC 0173 Deutsche Grammophon Gesellschaft
    477 7346 "

    Was man schon 2004 beim Violinkonzert von Edward Elgar beobachten konnte, bestätigt sich hier erneut: Hilary Hahn hat eine auf Hochglanz polierte Fassung des Sibelius-Konzertes eingespielt, technisch makellos, aber, was das romantische Gefühl angeht, eher kontrolliert, relativ kühl und sachlich. Ich könnte mir vorstellen, dass dies manchem, der dicker aufgetragene Farben mag, zu distanziert vorkommt, aber wenn man sich an den bescheideneren, weniger auftrumpfenden Gestus gewöhnt hat, erkennt man die Vielzahl der Farben, die auch die "Geigenpalette" von Hilary Hahn zu bieten hat. Ihre Intonation ist ohnehin blitzsauber, ihre musikalischen Bögen sind sinnvoll gespannt, ihre Virtuosität steht außer Frage. Nur arbeitet sie eben mit deutlich weniger Vibrato oder geigentypischem "Schluchzen" als ihre Kollegen, was der Klarheit der Linien eindeutig zugute kommt. Besondere Erwähnung verdient neben der wunderbaren Aufnahmetechnik dabei auch das Sinfonieorchester des Schwedischen Rundfunks unter Leitung von Esa-Pekka Salonen, das mit sinnvoll durchdachter Klangbalance eine Vielzahl von Feinheiten der Partitur ans Licht holt, die man in anderen Aufnahmen früher kaum wahrgenommen hat.

    " Jean Sibelius
    aus: Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 47
    Hilary Hahn, Violine
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Leitung: Esa-Pekka Salonen
    LC 0173 Deutsche Grammophon Gesellschaft
    477 7346 "

    Dass sich Hilary Hahn überhaupt an Schönbergs Violinkonzert herantraut, ist für sich genommen schon ein Verdienst. Denn Aufführungen und Aufnahmen dieses Werks sind ausgesprochen rar; es gilt, abgesehen von seinen riesigen technischen Schwierigkeiten, auch als sperrig und in seiner musikalischen Substanz nur schwer zu vermitteln. Warum also sich plagen für ein Werk, von dem man nicht weiß, ob der Funke zum Publikum überspringt? Bei Hilary Hahn war das anders. Man kann davon ausgehen, dass sie das Etikett "unspielbar" eher reizte als abschreckte. Und den Zugang zu Schönbergs Musiksprache hatte sie schon im Sommer 1997 beim Malboro Musikfestival gefunden, wo sie unter der Anleitung von Siegfried Palm sieben Wochen lang das Sextett 'Verklärte Nacht' einstudierte. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie überzeugend dieser in Köln ansässige und inzwischen verstorbene Cellist jungen Musikern gerade auch schwierigere Werke der Moderne näher zu bringen verstand. Am Ende solcher Partitur-Erkundungen mit ihm wusste man theoretisch und in der praktischen Ausführung über jedes noch so kleine Detail der Partitur Bescheid und verstand den Sinn aller Zeichen. Solch intensives Studium muss Hilary Hahn auch bei Schönbergs Violinkonzert betrieben haben, denn ihre Interpretation ist so zwingend, so einleuchtend, dass sich auch dem unvorbereiteten Hörer plötzlich die Schönheiten dieses nun gar nicht mehr unnahbaren Werkes erschließen. Verblüffend ist, mit welcher Leichtigkeit ihr diese schlüssige Darstellung hier gelingt, man vergisst alle technischen Schwierigkeiten; und was auf dem Notenpapier noch als kopflastig-konstruiert erscheint, beginnt jetzt ausgesprochen sinnlich zu klingen. Hilary Hahn ist nach vielen öffentlichen Aufführungen mit diesem Konzert offensichtlich ebenso vertraut wie andere ihrer Kollegen mit den berühmten Violinkonzerten von Beethoven oder Brahms.

    " Arnold Schönberg
    aus: Konzert für Violine und Orchester, op. 36
    Hilary Hahn, Violine
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Leitung: Esa-Pekka Salonen
    LC 0173 Deutsche Grammophon Gesellschaft
    477 7346 "

    Der Reigen hochbegabter junger Geigerinnen auch nach Anne-Sophie Mutter ist beeindruckend. Alle Musikliebhaber können sich über diese Vielfalt freuen und wollen Lisa Batiashvili, Julia Fischer, Baiba Skride, Janine Jansen oder Hilary Hahn auch nicht gegeneinander ausspielen. Bei Hilary Hahn beeindruckt die Konsequenz, mit der sie sich und uns das Geigenrepertoire zwischen Bach und Schönberg neu erschließt und bisher in allen Fällen nicht nur für makellose Interpretationen gesorgt, sondern gerade auch bei weniger bekannten Werken durch ihre glasklare und überlegte Art der Ausführung für viele erst den Zugang zu dieser Musik ermöglicht hat. Das ist für eine 28-Jährige ganz einfach höchst bemerkenswert.

    " Jean Sibelius
    aus: Konzert für Violine und Orchester d-moll, op. 47
    Hilary Hahn, Violine
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Leitung: Esa-Pekka Salonen
    LC 0173 Deutsche Grammophon Gesellschaft
    477 7346 "

    Die Neue Platte - heute mit der neuen CD von Hilary Hahn und dem Schwedischen Radio-Sinfonieorchester unter Leitung von Esa-Pekka Salonen. Sie hörten Musik von Arnold Schönberg und Jean Sibelius. Im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.