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"Unglaublich viel Aufbruchstimmung"

Betriebssysteme.- Heute endet der "Linux-Tag" in Berlin. Welche Themen die Teilnehmer besonders interessiert haben und welche Rolle Linux mittlerweile in der IT-Branche spielt, erklärt der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Interview mit Manfred Kloiber.

12.06.2010
    Manfred Kloiber: Vier Tage lang hat sich die Open-Source-Gemeinde unter dem Funkturm hier in Berlin getroffen. Und von Mittwoch bis heute hat der Linux-Tag mit 300 Vorträgen und Präsentationen, Keynotes und Paneldiskussionen ein Riesenprogramm absolviert. In eineinhalb Stunden ist es für dieses Jahr dann wieder alles vorbei. Wir wollen heute über eine Auswahl von interessanten Anwendungen und Projekten berichten und die Trends spiegeln, die hier in der Community diskutiert werden. Peter Welchering, welche Ergebnisse nehmen Sie denn vom Linux-Tag mit nach Hause?

    Peter Welchering: Also in erster Linie nehme ich unglaublich viel Aufbruchstimmung mit und das ist ganz anders in diesem Jahr gewesen als im vergangenen Jahr. Im vergangenen Jahr war so eine leichte Müdigkeit auf dem Linux-Tag festzustellen und um den Linux-Tag herum. Auch generell was so dieses Open-Source-Thema anging. Aber davon ist dieses Jahr in Halle sieben überhaupt keine Spur mehr. Der Linux-Tag hat sehr deutlich gezeigt, dass die Open-Source-Gemeinde sich wieder sehr viel stärker in die Diskussion um so etwas wie Innovationsstrategien für die IT-Industrie eingebracht hat, einbringen will und die neuen Entwicklungen und Produkte nicht nur in einen Anwendungszusammenhang stellt, sondern auch ganz konkret und in ihren gesellschaftlichen Folgen diskutiert. Ein Beispiel ist da etwa die Diskussion um die Tablett-Computer. Auf dem Linux-Tag wurden Anwendungsszenarien entwickelt, wie Verlage und Medienhäuser künftig ihre Arbeitsprozesse organisieren müssen, um eben ihre journalistischen Projekte, um ihre Produkte im Nachrichten-, im Reporterbereich für iPad, für WePad, für Android Pad und wie die alle heißen aufbereiten zu können. Und der Linux-Tag ist insofern auch politisch geblieben. Aber in einem Sinne politisch, als die Rolle von Informationstechnologie sehr konkret von Produkten und Projekten ausgehen in so etwas wie einer gesamtgesellschaftlichen Dimension hier diskutiert wird.

    Kloiber: Und was sind die wichtigsten Trends hier auf dem Linux-Tag?

    Welchering: Linux kommt auf dem PC und auf den Desktops an – endlich. Das ist lange diskutiert worden, häufig abgestritten worden. Aber es ist da und das hat damit zu tun, dass die Anbieter von Linux-Distributionen eben keine Techis mehr sind, sondern die Anbieter von Linux-Distributionen haben einen klaren Schwerpunkt auf das Design der Benutzeroberflächen gelegt. Was etwa KDE und andere an Design für die nächsten Versionen hier in Berlin vorgestellt haben, kann wirklich mit dem Design der etablierten Betriebssysteme sehr, sehr gut mithalten. Und der zweite Trend: In der Spardebatte, die wir ja in allen Unternehmen haben, in der ganzen Gesellschaft haben, da ist die Open-Source-Software wichtig geworden. Wichtig geworden, weil damit auch Geld gespart werden kann. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: Die Lizenzen sind günstiger, die können auch Kostengünstiger verwaltet werden. Und die Installationskosten sind auch Billiger. Und in den Rechenzentren löst Linux so manches herstellereigene Großrechnerbetriebssystem ab, weil der Rechenzentrumsbetreiber damit effektiv sparen kann. Im vergangen Jahr hatten wir das Schwerpunktthema mobile Lösungen mit Linux. Und das hat sich weiterentwickelt in diesem Jahr. Es geht um zentrale Datenhaltung auf großen Servern. Aber eben auch dann um deren schnelle und sichere Verfügbarkeit auf mobilen Endgeräten.

    Kloiber: Sie haben gesagt, das Thema sei angekommen, auch auf den Desktops. Aber Linux ist trotzdem ein Sparten-Betriebssystem. Die Frage ist: Wie kommt es denn in der IT-Branche bei den Unternehmen an?

    Welchering: Die versuchen eine Umarmungsstrategie, wobei da auch mit unterschiedlichen Zahlen gearbeitet wird. Also klar, wir haben hier eine Nische, aber wie groß diese Nische ist, kann man gar nicht so genau sagen. Und die traditionellen, konventionellen IT-Unternehmen sagen ganz klar: Wir haben gelernt, dass die Open-Source-Gemeinde beachtet werden will, wir haben gelernt, dass sie sich allerdings auch nicht so einfach umarmen lässt. James Utzschneider beispielsweise, bei Microsoft für die Open-Source-Strategie zuständig, viel so viele Open-Source-Anwendungen wie nur eben möglich auf die Windows-Plattform holen. Und dahinter steckt ganz einfach, dass die Zukunft von Softwarekonzernen wie Microsoft, so sagt Utzschneider ohne Hehl, davon abhängt, dass es ihnen gelingen muss, verteilte Anwendungen fürs Internet mit der Open-Source-Gemeinde zu entwickeln. Chris DiBona von Google meinte sogar, dass die grandiose Idee der Software aus der Steckdose oder Software as a Service vor ungefähr fünf Jahren im Prinzip daran gescheitert ist, dass die Open-Source-Bewegung nicht ausreichend in die Entwicklung einbezogen war. Bei Anwendungen für die Cloud, also für die Datenhaltung für mobile Endgeräte auf verteilten Servern im Netz, darf man eben diesen Fehler nicht wiederholen. Apple hält sich in Sachen Open Source noch stark zurück, aber da sind auf dem Linux-Tag auch schon die ersten Wetten abgeschlossen worden, wann Apple hier groß einsteigen wird. Und ein altgedienter Veteran wie der Karl-Heinz Strassemeyer hat ganz klar gesagt, IBM und andere Konzerne müssen einfach Open Source miteinbauen, wenn sie überleben wollen.