Und was dergleichen Unterschiede mehr sein mögen - die alle verblassen unter der nivellierenden Wucht ökonomischen Niedergangs, den beide Länder in denselben Formen und aus denselben Ursachen erleben. Nahezu gleichzeitig und gleichlautend haben das zu Jahresbeginn zwei Prominente ausgesprochen, für Serbien Pavle, Patriarch der Serbisch Othodoxen Kirche:
Serbien Pavle : Das neue Jahrhundert und das neue Millennium beginnen wir im Zeichen einer absoluten Krise.
Über Kroatien urteilte Vlado Gotovac, charismatischer Führer der Liberalen Partei:
Vlado Gotovac: Kroatien steckt in einer tiefen Krise. Für einen Ausweg brauchen wir jetzt eine nationsweite Entscheidung
So am 3. Januar im Wahllokal gesagt, wo die Entscheidung fiel: Die Liberalen haben, im Bündnis mit 5 weiteren Parteien, die Parlamentswahlen in Kroatien gewonnen.
Neuer Premier Kroatiens ist Ivica Raèan, Chef der großensozialdemokratischen Partei SDP. Was ihn zuerst erwartet, sagte seine Stellvertreterin Mirjana Feric-Vac: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts:
Mirjana Feric-Vac: Unsere Hauptaufgabe wird die Wirtschaft des Landes sein - seine innere Entwicklung, die internationale Hilfe braucht, wie andere Länder sie bekamen. Wir haben es klar gesagt: Unsere Ziele sind europäische Integration, NATO-Beitritt und dann EU-Mitgliedschaft
Kühn gesagt, denn Kroatien und Serbien (Jugoslawien) sind die einzigen Länder Osteuropas, die bislang nicht einmal formale Schritte in Richtung EU gemacht haben. Vojislav Mihaj-lovic, Bürgermeister Belgrads, des serbischen Macht- und Industriezentrums, sagte in seiner tristen Neujahrsbotschaft, wo Serben und Serbien in europäischer Sicht stehen:
Vojislav Mihaj-lovic: Nach allen Schwierigkeiten, rückläufigem Lebensstandard und allgemeiner Verarmung hat das Jahr 1999 eine Kulmination der lang andauernden Krise gebracht (..)Im letzten Jahrzehnt wurden viele Fehler und Versäumnisse begangen, weit sind wir hinter das moderne Europa zurückgefallen. Fehleinschätzungen von Gegenwart und Zukunft kamen uns sehr teuer zu stehen
Das ist eine Konkretisierung des Begriffs Krise, im richtigen Zeitmaß: Ein Jahrzehnt verloren die Serben, die Kroaten auch. Durch wen? Für das, was sie ihnen angetan haben, werden die Kroaten Tudjman und die Serben Miloševic vor Gericht stellen, sagte vor Jahren ein französischer Balkan-Kenner. Letzten Dezember starb Tudjman - wie schwer sein wirtschaftliche Erbe wiegt, wusste schon lange vor seinem Amtsantritt der neue Regierungschef Ivica Raèan:
Ivica Raèan: In Kroatien hat man keinerlei Reformen durchgeführt, weder politisch noch wirtschaftlich. (..) Sowohl der Krieg als auch später die Machtusurpation der HDZ haben in Kroatien eine wirtschaftliche und soziale Krise ausgelöst. Wir wissen zwar einiges über die Dimensionen der Krise, die Einzelheiten aber kennt keiner von uns. Ich bin daher sicher, dass jenen aus unserer Koalition, die nach den Wahlen die Macht übernehmen werden, viele schlaflose Nächte bevorstehen dürften.
Weil Tudjman selber die Kroaten jahrelang eingeschläfert hat, was im Februar 1996 so klang:
Tudjman: Unter den aktuellen internationalen Bedingungen ist die Hauptaufgabe der HDZ und des ganzen Machtapparats der weitere Ausbau Kroatiens als eines sozialen Rechtsstaats und einer modernen Demokratie (..) Heute muss die HDZ auch im Frieden Führerin sein, um an der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung zu arbeiten wie auch an der internationalen Festigung des souveränen und demokratischen Kroatiens.
Nichts davon traf je ein, wie auch in Serbien Miloševics schöne Reden nur Irreführung waren, etwa im Juli 1996:
Miloševics: In den 10 Monaten seit Dayton haben wir, nach Aufhebung der Sanktionen, erfolgreiche Wirtschaftsschritte vorwärts gemacht. Ohne die Sanktionen muß unser Weg rascher und erfolgreicher sein, heute und weiterhin. Unsere Zukunft hängt von unserer Arbeit ab.
Tudjman und Miloševic haben das Ideal jedes Diktators realisiert - der eigenen Diktatur einen freiheitlich-pluralisti-schen Anstrich zu geben. In ihren Amtseiden hatten beide geschworen, den Wohlstand der Bürger zu mehren, aber das Gegenteil trat ein - die politischen Zwillinge aus Belgrad und Zagreb waren nur an ihrer Macht interessiert, und Macht sichert man besten mit einer unreformierten Wirtschaft, die Millionen verarmen lässt, aber die Klientel des Regimes bei der Stange hält. Auf etwa 200.000 wird diese Gruppe in Serbien geschätzt, die über zwei Milliarden Dollar des serbischen Bruttoinlands-produkts (das 1998 10 Milliarden ausmachte) verfügte, während 5 Millionen Arme ganze 738 Millionen zur Verfügung hatten. Veselin Vukotic, Präsident des montenegrinischen Wirtschaftler-Verbands, erläuterte Ende 1998 die nationalistischen Tricks, mit denen die Mächtigen die Kluft beschönigen:
Veselin Vukotic: Sie beschuldigen immer das Ausland, bestreiten eigene Schuld, und so verfällt die ökonomische Basis
Die Folgen waren dreifach verheerend: Reformen unterblieben, es entstand kein Mittelstand (als Motor von Reformen und ökonomischer Prosperität) und ausländische Investoren mieden Serbien. In Kroatien betrieb die HDZ exakt dieselbe Xenophobie, sagte Ivica Raèan:
Ivica Raèan: Wir lehnen jene Deutung ab, die man bis jetzt von der HDZ hören kann, daß die nationalen Interessen Kroatiens eine Distanz von Europa erfordern
Und die Tudjman-Bewegung belohnte ihre Güstlinge zum Schaden des Landes, erklärte Raèan weiter:
Ivica Raèan: Die HDZ hat manchen an die Spitze staatlicher oder öffentlicher Institutionen gestellt, denen mittlerweile nachgewiesen wurde, dass sie ihre Funktion missbrauchten, an Diebstäh-len beteiligt waren oder diese durch Passivität ermöglichten
Beteiligt waren stets die Staatsmedien, die zwischen Schein und Wirklichkeit propagandistische Brücken bauten, wie es das deutsch sendende Radio Jugoslavija kürzlich tat:
Radio Jugoslavija: Die Bundesrepublik Jugoslawien war infolge der Zerschlagung des früheren Jugoslawiens, des Krieges im unmittelbaren Umfeld, der Sanktionen, der NATO-Aggression gezwungen, eigene und spezifische wirtschaftlich systematische Reformen aufzufinden und durchzuführen.
Tatsächlich geschah in 10 Jahren nichts, befand schon 1998 Nebojša Savic, Präsident des Wirtschaftsrats Jugoslawiens:
Nebojša Savic: Noch immer mangelt es an politischem Willen und Bereitschaft, tiefgehende Reformen anzugehen. Das kann man so interpretieren, dass es zwar politische Beschlüsse gibt, aber keine Bereitschaft zu ihrer Umsetzung
Weil (wie der Rat offen rügte) im Regierungsapparat Leute sitzen, die auch in der Führung von Staatsbetrieben sind und daneben noch Privatfirmen leiten - also gleich mehrere Gründe haben, Wirtschaftsreformen und auswärtige Konkurrenz zu fürchten. Eben darum nimmt Serbien auf einer internationalen Korruptionsskala unter 99 Ländern seit Jahren den höchsten osteuropäischen Rang ein, gefolgt von der Ukraine, Moldavien und Kroatien, das 1999 erstmals auf Platz 74 geführt wurde.
Wie spüren das die Menschen? Serbien steht heute auf dem Niveau von 1968, es ist das ärmste Land Europas. Seit 1991 hat ihm die Kriegspolitik Miloševics Verluste von über 100 Milliarden Dollar eingebracht, siebenmal das Gesamt-Bruttoinlandspro-dukt 1994 von 14,3 Milliarden Dollar. Eingangs der 90er Jahre sperrte das Regime den Bürgern Devisenersparnisse von knapp 7 Milliarden D-Mark, Ende 1993 hatte die Hyperinflation die Rate von 628 Billionen Prozent erreicht. Die Einführung eines neuen Dinars beendete diesen monetären Hexentanz, 700.000 Flüchtlin-ge aus Kroatien und Bosnien brachten neue Lasten. Der 1997 eskalierende Kosovo-Konflikt verschlang schon an jedem Normaltag 2 Millionen Dollar. Heute liegt das Land (das seit März 1999 keine Daten aus dem Kosovo mehr registriert) am Boden: Das Bruttosozialprodukt ist gegenüber 1998 um 19,3 Prozent gefallen, die Industrieproduktion um 22,5, der Export um 46, der Import um 31 Prozent. Gestiegen ist die Jahresinflation, allen Stabilitätsbeteuerungen der Regierung zum trotz, auf 45 Prozent. 8,7 Millionen Einwohner zählt das kleiner gewordene Serbien noch, ganze 1,63 Millionen davon hatten noch einen Job, offiziell gibt es 838.000 Arbeitslose, ein Zehntel davon bezieht staatliche Hilfe, und alle diese Daten werden von Belgrader Sachkennern als geschönt bestritten. Sie sind es auch, bekundete letzten November Vesna Pajevic aus der mittelserbischen Industriestadt Kragujevac:
Vesna Pajevic: Wer in Kragujevac noch einen Job hat, verdient 60 Mark im Monat. Aber Zehntausende sind in Zwangsurlaub und verdienen 10 bis 15 Mark. Und das in einer Jahreszeit, wo man bei kaltem Wetter ein warmes Zuhause haben möchte, was einige Zehntausende nicht haben.
Mit solchen politisch-statistischen Tricks - Zwangsurlaub, Scheineinstellungen, um Monate verzögerte Lohn- und Rentenzahlungen - wird eine Lage verschleiert, die die Belgrader Soziologin Aleksandra Pošarac schon 1996 sehr genau kannte:
Aleksandra Pošarac: Das Gros der serbischen Bevölkerung ist auf die Knie gezwungen. Der Anteil der Armen macht in den letzten Jahren konstant ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus (..) Im letzten Drittel finden wir auch 10 Prozent Reiche und 1 bis 3 Prozent Superreiche.
Schwer vorstellbar, doch die Lage konnte sich noch verschlimmern, bezeugte Mitte Januar der Soziologe Gradimir Zajic mit exakten Zahlen: 64 Prozent der Bürger leben unterhalb der Armutsgrenze, davon 4 Prozent in extremer Armut, 28 unter dem Existenzminimum und 32 in relativer Armut, umgekehrt genießen 3 bis 5 Prozent der Serben Luxus und wachsenden Reichtum.
Ganze 371 Betriebe, Straßen, Bahnen etc. hat die NATO-Mission in Serbien zerstört, vorwiegend Anlagen, die nach Aussagen serbischer Manager ohnehin reif für die Abrissbirne waren. 78.000 Menschen verloren vorübergehend den Job - was die Statistik kaum senkt.
Strukturell sind die Kroaten so übel wie die Serben dran, wie jüngste Umfragen unter ihnen bezeugen: 81 Prozent von ihnen fühlen sich sozial bedroht, 50 Prozent fürchten um ihren Job, 33 Prozent leben an oder unter der Armutsgrenze, offiziell über 20 Prozent, real jedoch rund 30 sind arbeitslos. Das soll mit dem Machtende der HDZ anders werden, forderten nach dem Wahltag die Gewerkschaften, wie kroatische Medien berichteten:
Die Gewerkschaften meinen, dass die politischen Veränderungen eine Reaktion auf die schlechte Politik der HDZ sind, und von der neuen Regierung fordern sie eine ökonomische Wende und korrekte Verhältnisse. Davor Juric, Chef der unabhängigen Gewerkschaften, forderte eine Inventur der Wirtschaftslage; er erwarte eine Revision der Privatisierung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze (..) Boris Kunc, Chef der Arbeitergewerkschaft, erwartet eine Änderung der Arbeits- und Sozialgesetze, eine Senkung der öffentlichen Ausgaben und ein klares Entwicklungsprogramm. Mario Ivenkovic, Chef des kroatischen Arbeitsverbands, fordert eine Zerschlagung von Korruption und Bestechung, wobei er sagte, es habe in der Wirtschaft zu viele Kriminelle gegeben, die das Regime schützte.
Forderungen, die ein (fast) komplettes ökonomisches Sündenregister des Tudjman-Regimes enthalten, auch Hausaufgaben für Politiker und (vermutlich) Richter: 5 der 6 Siegerparteien haben sich bereiterklärt, die volle Wahrheit und Verantwortung für wirtschaftliche Fehler notfalls in Strafprozessen zu suchen. Kroatiens Wirtschaft ist seit 1993 im freien Fall, unter dem Tudjman-Regime gingen mindestens 500.000 Arbeitsplätze verloren, die Arbeitslosigkeit hat die magische Zahl von 300.000 längst hinter sich gelassen. Außenhandel und Leistungsbilanz sind stark defizitär, die Illiquidität kroatischer Firmen wird auf insgesamt 70 Milliarden Kuna geschätzt, knapp 18 Milliarden D-Mark.
Mit viel Glück wird Kroatien in 10 Jahren wieder das Niveau von 1989 erreichen, schrieb Hrvoje Šariniæ, bis Herbst 98 Tudjmans Kanzleichef und so mit Schiebereien des Regimes vertraut, die das Bankensystem und den Medienmarkt zerrütteten und Millionen-Kredite spurlos verschwinden ließen. Auslandskredite sind gestoppt, PHARE-Hilfen nicht in Sicht. Dennoch streute das Regime letzten Mai und Dezember großzügige Wahlgeschenke für die 250.000 Staatsdiener aus, wozu es Teile der Telekom an deutsche Anbieter verkaufte - wie es Serbien 1996 mit Griechen und Italienern vorgemacht hatte. Genützt hat es bekanntlich nicht, wohl aber neue Bürden hinterlassen:
Adnan Jahic: Die neuen Machthaber in Kroatien haben einen langen und qualvollen Weg zur ökonomischen Gesundung vor sich, das Land ist im Ausland mit fast 10 Milliarden US-Dollar verschuldet
Sagte der bosnische Politiker Adnan Jahic kurz nach den kroatischen Wahlen, und in kroatischen Blättern stand, was das für Kroatien bedeutet: Die Auslandsverschuldung ist fast halb so hoch wie das Bruttosozialprodukt, der Schuldendienst wird heuer 386 Millionen Dollar verschlingen, sechsmal mehr als 1999. Offiziell hat Jugoslawien etwa gleich hohe Schulden, in Wirklichkeit aber weit höhere, denn als einziges Nachfolgeland Ex-Jugoslawiens hat es sich bislang nicht um eine Regelung jugoslawischer Altlasten bemüht, schleppt also eine weitere 10-Milliarden-Last mit sich - zuzüglich Zinsen.
Daran wird Miloševics Reich zerbrechen, was wörtlich zu nehmen ist: Das Kosovo ist verloren, die reiche nordserbische Vojvodina - die zum serbischen Budget 40 Prozent beisteuert, aber nur ein Prozent zurückerhält - geht auf wachsende Distanz und zu Montenegro sagte dessen Präsident Milo Ðukanovic:
Milo Ðukanovic: Herr Miloševic druckt wieder Geld ohne Deckung, um damit öffentliche Arbeiten zu finanzieren, die Serbien zum Wiederaufbau der NATO-Zerstörungen organisiert (..) Montenegro hat keinen Einfluss auf die Geldpolitik in der Bundesrepublik Jugoslawien (..)Darum haben wir die D-Mark eingeführt, damit eine große Verantwortung übernommen, aber auch die absolute ökonomische Souveränität in Montenegro, womit wir die Interessen der Bürger und unsere Reformpolitik schützen
Hier endet der Wirtschaftsvergleich Serbien-Kroatien. Kroatien könnte übermorgen in ruhiges Fahrwasser steuern, wenn es morgen das Unumgängliche täte: Mit der internationalen Gemeinschaft kooperieren, beginnend mit dem Haager Tribunal, und seine abenteuerliche Politik in Bosnien beenden. Das brächte sofort Geld in die Kasse, denn Zagreb hat, so der bisherige Premier Zlatko Mateša, jahrelang jeden Tag die Kroaten in Bosnien mit 1 bis 3 Millionen D-Mark unterstützt. Das wird nicht fortgesetzt, Armee und Verteidigungshaushalt werden kräftig gestutzt und weiteres, was Kroatiens Position im Ausland verbessern und das Land in die Welthandelsorganisation (WTO) und andere Gremien brächte. Hat Serbien eine ähnliche Chance?
Bodo Hombach: Es kann keine Zusammenarbeit mit Miloševic geben(..)Das weiß jeder, daß der Stabilitätspakt Herrn Miloševic in keiner Weise die Hand zur Zusammenarbeit reicht (..) Die politischen Probleme in Serbien, die kann das serbische Volk nur allein lösen
So kürzlich Bodo Hombach, Beauftragter für den Balkan-Stabilitätspakt. Was er sagt, ist mit Blick auf das serbische Regime verständlich. Aber ist es auch richtig und möglich? Der Balkan-erfahrene Hans Koschnick bezweifelt es zu Recht:
Hans Koschnick: Wir dürfen das serbische Volk nicht zur Geisel nehmen für eine verbrecherische Politik von Miloševic (..) Die Menschen werden nicht durch Gewaltmaßnahmen gehalten, sich gegen die Regierung zu wenden, sondern sie werden sich abwenden von Europa und von Amerika
Serbien Pavle : Das neue Jahrhundert und das neue Millennium beginnen wir im Zeichen einer absoluten Krise.
Über Kroatien urteilte Vlado Gotovac, charismatischer Führer der Liberalen Partei:
Vlado Gotovac: Kroatien steckt in einer tiefen Krise. Für einen Ausweg brauchen wir jetzt eine nationsweite Entscheidung
So am 3. Januar im Wahllokal gesagt, wo die Entscheidung fiel: Die Liberalen haben, im Bündnis mit 5 weiteren Parteien, die Parlamentswahlen in Kroatien gewonnen.
Neuer Premier Kroatiens ist Ivica Raèan, Chef der großensozialdemokratischen Partei SDP. Was ihn zuerst erwartet, sagte seine Stellvertreterin Mirjana Feric-Vac: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts:
Mirjana Feric-Vac: Unsere Hauptaufgabe wird die Wirtschaft des Landes sein - seine innere Entwicklung, die internationale Hilfe braucht, wie andere Länder sie bekamen. Wir haben es klar gesagt: Unsere Ziele sind europäische Integration, NATO-Beitritt und dann EU-Mitgliedschaft
Kühn gesagt, denn Kroatien und Serbien (Jugoslawien) sind die einzigen Länder Osteuropas, die bislang nicht einmal formale Schritte in Richtung EU gemacht haben. Vojislav Mihaj-lovic, Bürgermeister Belgrads, des serbischen Macht- und Industriezentrums, sagte in seiner tristen Neujahrsbotschaft, wo Serben und Serbien in europäischer Sicht stehen:
Vojislav Mihaj-lovic: Nach allen Schwierigkeiten, rückläufigem Lebensstandard und allgemeiner Verarmung hat das Jahr 1999 eine Kulmination der lang andauernden Krise gebracht (..)Im letzten Jahrzehnt wurden viele Fehler und Versäumnisse begangen, weit sind wir hinter das moderne Europa zurückgefallen. Fehleinschätzungen von Gegenwart und Zukunft kamen uns sehr teuer zu stehen
Das ist eine Konkretisierung des Begriffs Krise, im richtigen Zeitmaß: Ein Jahrzehnt verloren die Serben, die Kroaten auch. Durch wen? Für das, was sie ihnen angetan haben, werden die Kroaten Tudjman und die Serben Miloševic vor Gericht stellen, sagte vor Jahren ein französischer Balkan-Kenner. Letzten Dezember starb Tudjman - wie schwer sein wirtschaftliche Erbe wiegt, wusste schon lange vor seinem Amtsantritt der neue Regierungschef Ivica Raèan:
Ivica Raèan: In Kroatien hat man keinerlei Reformen durchgeführt, weder politisch noch wirtschaftlich. (..) Sowohl der Krieg als auch später die Machtusurpation der HDZ haben in Kroatien eine wirtschaftliche und soziale Krise ausgelöst. Wir wissen zwar einiges über die Dimensionen der Krise, die Einzelheiten aber kennt keiner von uns. Ich bin daher sicher, dass jenen aus unserer Koalition, die nach den Wahlen die Macht übernehmen werden, viele schlaflose Nächte bevorstehen dürften.
Weil Tudjman selber die Kroaten jahrelang eingeschläfert hat, was im Februar 1996 so klang:
Tudjman: Unter den aktuellen internationalen Bedingungen ist die Hauptaufgabe der HDZ und des ganzen Machtapparats der weitere Ausbau Kroatiens als eines sozialen Rechtsstaats und einer modernen Demokratie (..) Heute muss die HDZ auch im Frieden Führerin sein, um an der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung zu arbeiten wie auch an der internationalen Festigung des souveränen und demokratischen Kroatiens.
Nichts davon traf je ein, wie auch in Serbien Miloševics schöne Reden nur Irreführung waren, etwa im Juli 1996:
Miloševics: In den 10 Monaten seit Dayton haben wir, nach Aufhebung der Sanktionen, erfolgreiche Wirtschaftsschritte vorwärts gemacht. Ohne die Sanktionen muß unser Weg rascher und erfolgreicher sein, heute und weiterhin. Unsere Zukunft hängt von unserer Arbeit ab.
Tudjman und Miloševic haben das Ideal jedes Diktators realisiert - der eigenen Diktatur einen freiheitlich-pluralisti-schen Anstrich zu geben. In ihren Amtseiden hatten beide geschworen, den Wohlstand der Bürger zu mehren, aber das Gegenteil trat ein - die politischen Zwillinge aus Belgrad und Zagreb waren nur an ihrer Macht interessiert, und Macht sichert man besten mit einer unreformierten Wirtschaft, die Millionen verarmen lässt, aber die Klientel des Regimes bei der Stange hält. Auf etwa 200.000 wird diese Gruppe in Serbien geschätzt, die über zwei Milliarden Dollar des serbischen Bruttoinlands-produkts (das 1998 10 Milliarden ausmachte) verfügte, während 5 Millionen Arme ganze 738 Millionen zur Verfügung hatten. Veselin Vukotic, Präsident des montenegrinischen Wirtschaftler-Verbands, erläuterte Ende 1998 die nationalistischen Tricks, mit denen die Mächtigen die Kluft beschönigen:
Veselin Vukotic: Sie beschuldigen immer das Ausland, bestreiten eigene Schuld, und so verfällt die ökonomische Basis
Die Folgen waren dreifach verheerend: Reformen unterblieben, es entstand kein Mittelstand (als Motor von Reformen und ökonomischer Prosperität) und ausländische Investoren mieden Serbien. In Kroatien betrieb die HDZ exakt dieselbe Xenophobie, sagte Ivica Raèan:
Ivica Raèan: Wir lehnen jene Deutung ab, die man bis jetzt von der HDZ hören kann, daß die nationalen Interessen Kroatiens eine Distanz von Europa erfordern
Und die Tudjman-Bewegung belohnte ihre Güstlinge zum Schaden des Landes, erklärte Raèan weiter:
Ivica Raèan: Die HDZ hat manchen an die Spitze staatlicher oder öffentlicher Institutionen gestellt, denen mittlerweile nachgewiesen wurde, dass sie ihre Funktion missbrauchten, an Diebstäh-len beteiligt waren oder diese durch Passivität ermöglichten
Beteiligt waren stets die Staatsmedien, die zwischen Schein und Wirklichkeit propagandistische Brücken bauten, wie es das deutsch sendende Radio Jugoslavija kürzlich tat:
Radio Jugoslavija: Die Bundesrepublik Jugoslawien war infolge der Zerschlagung des früheren Jugoslawiens, des Krieges im unmittelbaren Umfeld, der Sanktionen, der NATO-Aggression gezwungen, eigene und spezifische wirtschaftlich systematische Reformen aufzufinden und durchzuführen.
Tatsächlich geschah in 10 Jahren nichts, befand schon 1998 Nebojša Savic, Präsident des Wirtschaftsrats Jugoslawiens:
Nebojša Savic: Noch immer mangelt es an politischem Willen und Bereitschaft, tiefgehende Reformen anzugehen. Das kann man so interpretieren, dass es zwar politische Beschlüsse gibt, aber keine Bereitschaft zu ihrer Umsetzung
Weil (wie der Rat offen rügte) im Regierungsapparat Leute sitzen, die auch in der Führung von Staatsbetrieben sind und daneben noch Privatfirmen leiten - also gleich mehrere Gründe haben, Wirtschaftsreformen und auswärtige Konkurrenz zu fürchten. Eben darum nimmt Serbien auf einer internationalen Korruptionsskala unter 99 Ländern seit Jahren den höchsten osteuropäischen Rang ein, gefolgt von der Ukraine, Moldavien und Kroatien, das 1999 erstmals auf Platz 74 geführt wurde.
Wie spüren das die Menschen? Serbien steht heute auf dem Niveau von 1968, es ist das ärmste Land Europas. Seit 1991 hat ihm die Kriegspolitik Miloševics Verluste von über 100 Milliarden Dollar eingebracht, siebenmal das Gesamt-Bruttoinlandspro-dukt 1994 von 14,3 Milliarden Dollar. Eingangs der 90er Jahre sperrte das Regime den Bürgern Devisenersparnisse von knapp 7 Milliarden D-Mark, Ende 1993 hatte die Hyperinflation die Rate von 628 Billionen Prozent erreicht. Die Einführung eines neuen Dinars beendete diesen monetären Hexentanz, 700.000 Flüchtlin-ge aus Kroatien und Bosnien brachten neue Lasten. Der 1997 eskalierende Kosovo-Konflikt verschlang schon an jedem Normaltag 2 Millionen Dollar. Heute liegt das Land (das seit März 1999 keine Daten aus dem Kosovo mehr registriert) am Boden: Das Bruttosozialprodukt ist gegenüber 1998 um 19,3 Prozent gefallen, die Industrieproduktion um 22,5, der Export um 46, der Import um 31 Prozent. Gestiegen ist die Jahresinflation, allen Stabilitätsbeteuerungen der Regierung zum trotz, auf 45 Prozent. 8,7 Millionen Einwohner zählt das kleiner gewordene Serbien noch, ganze 1,63 Millionen davon hatten noch einen Job, offiziell gibt es 838.000 Arbeitslose, ein Zehntel davon bezieht staatliche Hilfe, und alle diese Daten werden von Belgrader Sachkennern als geschönt bestritten. Sie sind es auch, bekundete letzten November Vesna Pajevic aus der mittelserbischen Industriestadt Kragujevac:
Vesna Pajevic: Wer in Kragujevac noch einen Job hat, verdient 60 Mark im Monat. Aber Zehntausende sind in Zwangsurlaub und verdienen 10 bis 15 Mark. Und das in einer Jahreszeit, wo man bei kaltem Wetter ein warmes Zuhause haben möchte, was einige Zehntausende nicht haben.
Mit solchen politisch-statistischen Tricks - Zwangsurlaub, Scheineinstellungen, um Monate verzögerte Lohn- und Rentenzahlungen - wird eine Lage verschleiert, die die Belgrader Soziologin Aleksandra Pošarac schon 1996 sehr genau kannte:
Aleksandra Pošarac: Das Gros der serbischen Bevölkerung ist auf die Knie gezwungen. Der Anteil der Armen macht in den letzten Jahren konstant ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus (..) Im letzten Drittel finden wir auch 10 Prozent Reiche und 1 bis 3 Prozent Superreiche.
Schwer vorstellbar, doch die Lage konnte sich noch verschlimmern, bezeugte Mitte Januar der Soziologe Gradimir Zajic mit exakten Zahlen: 64 Prozent der Bürger leben unterhalb der Armutsgrenze, davon 4 Prozent in extremer Armut, 28 unter dem Existenzminimum und 32 in relativer Armut, umgekehrt genießen 3 bis 5 Prozent der Serben Luxus und wachsenden Reichtum.
Ganze 371 Betriebe, Straßen, Bahnen etc. hat die NATO-Mission in Serbien zerstört, vorwiegend Anlagen, die nach Aussagen serbischer Manager ohnehin reif für die Abrissbirne waren. 78.000 Menschen verloren vorübergehend den Job - was die Statistik kaum senkt.
Strukturell sind die Kroaten so übel wie die Serben dran, wie jüngste Umfragen unter ihnen bezeugen: 81 Prozent von ihnen fühlen sich sozial bedroht, 50 Prozent fürchten um ihren Job, 33 Prozent leben an oder unter der Armutsgrenze, offiziell über 20 Prozent, real jedoch rund 30 sind arbeitslos. Das soll mit dem Machtende der HDZ anders werden, forderten nach dem Wahltag die Gewerkschaften, wie kroatische Medien berichteten:
Die Gewerkschaften meinen, dass die politischen Veränderungen eine Reaktion auf die schlechte Politik der HDZ sind, und von der neuen Regierung fordern sie eine ökonomische Wende und korrekte Verhältnisse. Davor Juric, Chef der unabhängigen Gewerkschaften, forderte eine Inventur der Wirtschaftslage; er erwarte eine Revision der Privatisierung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze (..) Boris Kunc, Chef der Arbeitergewerkschaft, erwartet eine Änderung der Arbeits- und Sozialgesetze, eine Senkung der öffentlichen Ausgaben und ein klares Entwicklungsprogramm. Mario Ivenkovic, Chef des kroatischen Arbeitsverbands, fordert eine Zerschlagung von Korruption und Bestechung, wobei er sagte, es habe in der Wirtschaft zu viele Kriminelle gegeben, die das Regime schützte.
Forderungen, die ein (fast) komplettes ökonomisches Sündenregister des Tudjman-Regimes enthalten, auch Hausaufgaben für Politiker und (vermutlich) Richter: 5 der 6 Siegerparteien haben sich bereiterklärt, die volle Wahrheit und Verantwortung für wirtschaftliche Fehler notfalls in Strafprozessen zu suchen. Kroatiens Wirtschaft ist seit 1993 im freien Fall, unter dem Tudjman-Regime gingen mindestens 500.000 Arbeitsplätze verloren, die Arbeitslosigkeit hat die magische Zahl von 300.000 längst hinter sich gelassen. Außenhandel und Leistungsbilanz sind stark defizitär, die Illiquidität kroatischer Firmen wird auf insgesamt 70 Milliarden Kuna geschätzt, knapp 18 Milliarden D-Mark.
Mit viel Glück wird Kroatien in 10 Jahren wieder das Niveau von 1989 erreichen, schrieb Hrvoje Šariniæ, bis Herbst 98 Tudjmans Kanzleichef und so mit Schiebereien des Regimes vertraut, die das Bankensystem und den Medienmarkt zerrütteten und Millionen-Kredite spurlos verschwinden ließen. Auslandskredite sind gestoppt, PHARE-Hilfen nicht in Sicht. Dennoch streute das Regime letzten Mai und Dezember großzügige Wahlgeschenke für die 250.000 Staatsdiener aus, wozu es Teile der Telekom an deutsche Anbieter verkaufte - wie es Serbien 1996 mit Griechen und Italienern vorgemacht hatte. Genützt hat es bekanntlich nicht, wohl aber neue Bürden hinterlassen:
Adnan Jahic: Die neuen Machthaber in Kroatien haben einen langen und qualvollen Weg zur ökonomischen Gesundung vor sich, das Land ist im Ausland mit fast 10 Milliarden US-Dollar verschuldet
Sagte der bosnische Politiker Adnan Jahic kurz nach den kroatischen Wahlen, und in kroatischen Blättern stand, was das für Kroatien bedeutet: Die Auslandsverschuldung ist fast halb so hoch wie das Bruttosozialprodukt, der Schuldendienst wird heuer 386 Millionen Dollar verschlingen, sechsmal mehr als 1999. Offiziell hat Jugoslawien etwa gleich hohe Schulden, in Wirklichkeit aber weit höhere, denn als einziges Nachfolgeland Ex-Jugoslawiens hat es sich bislang nicht um eine Regelung jugoslawischer Altlasten bemüht, schleppt also eine weitere 10-Milliarden-Last mit sich - zuzüglich Zinsen.
Daran wird Miloševics Reich zerbrechen, was wörtlich zu nehmen ist: Das Kosovo ist verloren, die reiche nordserbische Vojvodina - die zum serbischen Budget 40 Prozent beisteuert, aber nur ein Prozent zurückerhält - geht auf wachsende Distanz und zu Montenegro sagte dessen Präsident Milo Ðukanovic:
Milo Ðukanovic: Herr Miloševic druckt wieder Geld ohne Deckung, um damit öffentliche Arbeiten zu finanzieren, die Serbien zum Wiederaufbau der NATO-Zerstörungen organisiert (..) Montenegro hat keinen Einfluss auf die Geldpolitik in der Bundesrepublik Jugoslawien (..)Darum haben wir die D-Mark eingeführt, damit eine große Verantwortung übernommen, aber auch die absolute ökonomische Souveränität in Montenegro, womit wir die Interessen der Bürger und unsere Reformpolitik schützen
Hier endet der Wirtschaftsvergleich Serbien-Kroatien. Kroatien könnte übermorgen in ruhiges Fahrwasser steuern, wenn es morgen das Unumgängliche täte: Mit der internationalen Gemeinschaft kooperieren, beginnend mit dem Haager Tribunal, und seine abenteuerliche Politik in Bosnien beenden. Das brächte sofort Geld in die Kasse, denn Zagreb hat, so der bisherige Premier Zlatko Mateša, jahrelang jeden Tag die Kroaten in Bosnien mit 1 bis 3 Millionen D-Mark unterstützt. Das wird nicht fortgesetzt, Armee und Verteidigungshaushalt werden kräftig gestutzt und weiteres, was Kroatiens Position im Ausland verbessern und das Land in die Welthandelsorganisation (WTO) und andere Gremien brächte. Hat Serbien eine ähnliche Chance?
Bodo Hombach: Es kann keine Zusammenarbeit mit Miloševic geben(..)Das weiß jeder, daß der Stabilitätspakt Herrn Miloševic in keiner Weise die Hand zur Zusammenarbeit reicht (..) Die politischen Probleme in Serbien, die kann das serbische Volk nur allein lösen
So kürzlich Bodo Hombach, Beauftragter für den Balkan-Stabilitätspakt. Was er sagt, ist mit Blick auf das serbische Regime verständlich. Aber ist es auch richtig und möglich? Der Balkan-erfahrene Hans Koschnick bezweifelt es zu Recht:
Hans Koschnick: Wir dürfen das serbische Volk nicht zur Geisel nehmen für eine verbrecherische Politik von Miloševic (..) Die Menschen werden nicht durch Gewaltmaßnahmen gehalten, sich gegen die Regierung zu wenden, sondern sie werden sich abwenden von Europa und von Amerika