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Ungleiche Paare

Johann Kramer ist ein Dickschädel. Mit einem Galgenstrick um den Hals läuft er durch Köln und erzählt jedem, die Obrigkeit verfolge ihn wider besseren Wissens. Besonders ein Mann habe ihn im Visier, der Kölner Bürgermeister Hildebrand Sudermann, der ihn öffentlich einen "meineidigen Dieb" schalt. Und so verklagt Kramer den Bürgermeister auf Wiederherstellung der Ehre. Ein unerhörter Vorgang, denn Johann Kramer genießt zwar das Bürgerrecht seiner Heimatstadt, ist aber als Kornmudder ein Handlanger der städtischen Patrizier, ein unterer Zolleinnehmer, der an den Stadttoren den Getreidezehnt kassiert. Kein ganz uninteressanter Job, weil er die Möglichkeiten zu kleinen Mauscheleien enthält, und um die geht es in diesem Jahre 1592. Kramer sei daran beteiligt gewesen, dem Bäcker Hundgebühr ein Meßfäßchen Korn zuviel in den Sack geschüttet zu haben, lautet der Vorwurf, der den kölschen Kohlhaas auf die Barrikaden bringt. Dabei verläuft er sich zwangsläufig in dem Gestrüpp, das wir heute "Kölschen Klüngel" nennen; eine undurchsichtige Sphäre der Interessensverquickungen von Ratsherren und städtischer Verwaltung. Durch einen formaljuristischen Schachzug gelingt es Johann Kramer schließlich, vom Vorwurf der Vorteilsnahme freigesprochen zu werden - er läßt sich nämlich vors "Hochgericht" stellen, ein Relikt der früheren erzbischöflichen Stadtherrschaft. Dort sitzen Schöffen, die nicht unmittelbar mit den Ratsherren verwandt oder verbandelt sind. Seinen Posten bekommt er indes nicht zurück, denn niemand kann der Stadt befehlen, einen bestimmten Bürger als Kornmudder einzustellen, zumal das Amt - der Klüngel läßt grüßen - vom Bürgermeister meistbietend verkauft wird.

Florian Felix Weyh |
    "Ungleiche Paare" heißt der Sammelband aus historischen Fallstudien, den die Saarbrücker Historikerin Eva Labouvie zusammengestellt hat, und der Bielefelder Geschichtswissenschaftler Gerd Schwerhoff schildert darin die hervorragend dokumentierte juristische Bagatelle um den Kölner Kornmudder Kramer. "Ungleiche Paare" - das meint in diesem Fall die beiden Gegenspieler Zolleinnehmer und Bürgermeister, und das ist schon ein bißchen ungenau, denn als Vertreter einer Institution bleibt der Bürgermeister reichlich blaß in den historischen Dokumenten. Ein ungleiches Paar sind hingegen der Zweibrückener Pfalzgraf Christian IV und sein Alchemist Josephus Michael Stahl. Elf Jahre lang, von 1764 bis 1775 gelingt es dem hochbegabten Schwindler, seinen Landesherren auf Strich und Faden auszu-nehmen, sich Labors, Porzellanmanufakturen und Bergwerke stiften zu lassen, ohne je einen einzigen Erfolg vorweisen zu müssen. Wenn ein kritischer Besuch seines Gönners ins Haus steht, wird flugs eine Naturkatastrophe simuliert, eine Überschwemmung oder ein Gewitter, die alle bisherigen Ergebnisse vernichtet habe. Bis zum Tode des Pfalzgrafen hält diese Beziehung, die den Alchemisten in schwindelnde und erschwindelte Höhen führt, bis hinein ins Amt des Polizeidi-rektors, wo er mühelos Gegner kaltstellen kann. Eva Labouvie hat diesen Beitrag selbst geschrieben, und von hier aus läßt sich erahnen, was ein Band über ungleiche Paare hätte leisten können. In soziologisch schwach strukturierten Gesellschaften kann die persönliche Beziehung zweier Menschen gravierende Folgen für das Gemeinwesen haben. Mit fatalen Schäden wie im Falle des Pfalzgrafen, oder in vorbildlicher Weise wie zwischen Goethe und dem Herzog von Weimar. Die beiden tauchen übrigens nicht auf. Dafür aber ein unnötig psychologisierender Aufsatz über die Schwärmerei von Backfischen für ihre Lehrerin, ein nüchterner Abriß der Beziehung zwischen Klerikern und ihren Mäg-den und ein Freiburger Scheidungsdrama des Jahre 1767. Letzteres kein schlechtes Quellenmaterial für einen Regisseur, der bürgerliche Trauerspiele inszeniert. Indes: Die historische Potenz des ungleichen Paares Landesherr/Alchemist findet sich an keiner anderen Stelle wieder. Ja in manchen Beiträgen muß man die Paar-konstellation mühsam aus dem Gesamtzusammenhang herauspräparieren.

    Sammelbände sind so etwas wie Zeitschriften ohne Fortsetzung. Deswegen ballt sich in ihnen das Unvereinbare auf engstem Raum, und die Titelkünstler im Verlag suchen nach der übergreifenden Metapher. Eine "Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen" soll das Buch darstellen. Nun ist man in den letzten Jahren einiges gewöhnt, was den inflationären Gebrauch des Wortes "Kulturgeschichte" angeht; die Kulturgeschichte des Gummibärchens wird uns wohl ebensowenig erspart bleiben wie die der Hygienepapiere - aber eine Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen, so stolzgeschwellt es klingt, ist reiner Blödsinn. Menschliche Geschichte findet grundsätzlich in Beziehungen statt, Sozialgeschichte ist Beziehungsgeschichte, und indem man das Wörtchen "Kultur" addiert, schafft man kein neues Genre. Der historisch interessierte Leser findet zwei Glanzstücke auf 180 Seiten, der Rest - naja, der Rest ist Geschichte.