Sammelbände sind so etwas wie Zeitschriften ohne Fortsetzung. Deswegen ballt sich in ihnen das Unvereinbare auf engstem Raum, und die Titelkünstler im Verlag suchen nach der übergreifenden Metapher. Eine "Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen" soll das Buch darstellen. Nun ist man in den letzten Jahren einiges gewöhnt, was den inflationären Gebrauch des Wortes "Kulturgeschichte" angeht; die Kulturgeschichte des Gummibärchens wird uns wohl ebensowenig erspart bleiben wie die der Hygienepapiere - aber eine Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen, so stolzgeschwellt es klingt, ist reiner Blödsinn. Menschliche Geschichte findet grundsätzlich in Beziehungen statt, Sozialgeschichte ist Beziehungsgeschichte, und indem man das Wörtchen "Kultur" addiert, schafft man kein neues Genre. Der historisch interessierte Leser findet zwei Glanzstücke auf 180 Seiten, der Rest - naja, der Rest ist Geschichte.
Ungleiche Paare
Johann Kramer ist ein Dickschädel. Mit einem Galgenstrick um den Hals läuft er durch Köln und erzählt jedem, die Obrigkeit verfolge ihn wider besseren Wissens. Besonders ein Mann habe ihn im Visier, der Kölner Bürgermeister Hildebrand Sudermann, der ihn öffentlich einen "meineidigen Dieb" schalt. Und so verklagt Kramer den Bürgermeister auf Wiederherstellung der Ehre. Ein unerhörter Vorgang, denn Johann Kramer genießt zwar das Bürgerrecht seiner Heimatstadt, ist aber als Kornmudder ein Handlanger der städtischen Patrizier, ein unterer Zolleinnehmer, der an den Stadttoren den Getreidezehnt kassiert. Kein ganz uninteressanter Job, weil er die Möglichkeiten zu kleinen Mauscheleien enthält, und um die geht es in diesem Jahre 1592. Kramer sei daran beteiligt gewesen, dem Bäcker Hundgebühr ein Meßfäßchen Korn zuviel in den Sack geschüttet zu haben, lautet der Vorwurf, der den kölschen Kohlhaas auf die Barrikaden bringt. Dabei verläuft er sich zwangsläufig in dem Gestrüpp, das wir heute "Kölschen Klüngel" nennen; eine undurchsichtige Sphäre der Interessensverquickungen von Ratsherren und städtischer Verwaltung. Durch einen formaljuristischen Schachzug gelingt es Johann Kramer schließlich, vom Vorwurf der Vorteilsnahme freigesprochen zu werden - er läßt sich nämlich vors "Hochgericht" stellen, ein Relikt der früheren erzbischöflichen Stadtherrschaft. Dort sitzen Schöffen, die nicht unmittelbar mit den Ratsherren verwandt oder verbandelt sind. Seinen Posten bekommt er indes nicht zurück, denn niemand kann der Stadt befehlen, einen bestimmten Bürger als Kornmudder einzustellen, zumal das Amt - der Klüngel läßt grüßen - vom Bürgermeister meistbietend verkauft wird.
Sammelbände sind so etwas wie Zeitschriften ohne Fortsetzung. Deswegen ballt sich in ihnen das Unvereinbare auf engstem Raum, und die Titelkünstler im Verlag suchen nach der übergreifenden Metapher. Eine "Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen" soll das Buch darstellen. Nun ist man in den letzten Jahren einiges gewöhnt, was den inflationären Gebrauch des Wortes "Kulturgeschichte" angeht; die Kulturgeschichte des Gummibärchens wird uns wohl ebensowenig erspart bleiben wie die der Hygienepapiere - aber eine Kulturgeschichte menschlicher Beziehungen, so stolzgeschwellt es klingt, ist reiner Blödsinn. Menschliche Geschichte findet grundsätzlich in Beziehungen statt, Sozialgeschichte ist Beziehungsgeschichte, und indem man das Wörtchen "Kultur" addiert, schafft man kein neues Genre. Der historisch interessierte Leser findet zwei Glanzstücke auf 180 Seiten, der Rest - naja, der Rest ist Geschichte.