Uta Andrea Balbiers "Kalter Krieg auf der Aschenbahn" befasst sich mit der Gründer- und Aufbauphase der deutschen Sport-Organisationen nach dem Krieg. Und es endet mit einem der größten propagandistischen Erfolge des Arbeiter- und Bauernstaates - zu Zeiten, als die Laufbahnen längst nicht mehr aus Asche, sondern aus Kunststoff beziehungsweise Tartan bestanden:
"Zwanzig Mal erklang im Münchner Olympiastadion 'Auferstanden aus Ruinen', zwanzig Mal wurde die Flagge der DDR gehißt. Die DDR war leistungsstärker, effizienter und erfolgreicher als ihr westdeutscher Konkurrenzstaat.[...] Auf diesen protokollarischen und leistungssportlichen Triumph hatte die DDR seit Beginn der 50er Jahre systematisch hingearbeitet."
"Es ist nach meiner Uhr, verehrte Hörer zu Hause, genau 15.16 Uhr. Und das ist, glaube ich, ein Augenblick, der des Festhaltens würdig ist: Die DDR-Mannschaft betritt die Arena; vorneweg die Schilderträgerin; auf blauem Schild die weißen Buchstaben DDR. Und hören Sie den Beifall!"
Mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 strebte deren Sportbewegung gezielt die Repräsentation ostdeutscher Eigenstaatlichkeit in den Sportarenen der Welt an. Dem Drängen der DDR auf die internationale Sportbühne wirkten der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee, das sich offiziell NOK für Deutschland nennen durfte, auf sportpolitischem Wege früh entgegen. So wurde im Internationalen Olympischen Komitee, dem IOC, erreicht, dass DDR-Sportler bis 1968 lediglich in gesamtdeutschen Olympiamannschaften antreten durften.
"Durch den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik in ihrem außenpolitischen Radius extrem beschränkt, begann die DDR, diesen westdeutschen Eindämmungsmechanismus bereits kurz nach ihrer Gründung systematisch zu unterlaufen","
schreibt die Autorin und erinnert an die III. Karl-Marx-Städter Sportkonferenz 1955 mit der Rede des Ersten Sekretärs des ZK der SED und späteren Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht,
""in der er den Sport offiziell als Sphäre der Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus deklarierte. Demnach galt es, 'die Überlegenheit der Deutschen Demokratischen Republik, die unser gesellschaftliches System bereits bewiesen hat, auch auf dem Gebiet der Ökonomik, der kulturellen Entwicklung, des Sports usw. zu beweisen.'"
1952 in Helsinki, als die Deutschen erstmals nach dem Krieg wieder in den Schoß der olympischen Familie zurückkehren durften, saß der DDR-Sport noch im Schmollwinkel. Dieser Fehler wurde vier Jahre später revidiert, das gleichberechtigte Mitwirken in der ungeliebten gesamtdeutschen Mannschaft wurde von Ost-Berlin zum propagandistischen Erfolg umgemünzt:
"Und in diesem Augenblick, meine Hörer, kommt die Olympiamannschaft der Deutschen Demokratischen Republik in einer gesamtdeutschen Mannschaft hier in die Seelenbinder-Halle hineinmarschiert, vorneweg die schwarz-rot-goldene Fahne."
Ulbricht: "Liebe Sportfreunde! Die Leistungen der Olympiateilnehmer der DDR haben zum guten Ergebnis der gesamtdeutschen Mannschaft bedeutend beigetragen. Es ist bekannt, dass die gesamtdeutsche Mannschaft aus Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik und der westdeutschen Bundesrepublik zustande kam, weil es die Sportler und breite Kreise der Bevölkerung forderten und weil die Leistungen der Sportler der Deutschen Demokratischen Republik das Internationale Olympische Komitee veranlassten, das NOK der DDR anzuerkennen."
Die DDR entschied diesen Anerkennungskampf auch deshalb für sich, weil sie sich im Laufe der 60er Jahre in der internationalen Sportwelt durch ihre Leistungsstärke in der unmittelbaren sportlichen Konkurrenzsituation einen Namen gemacht hatte. Uta Andrea Balbier:
"Die DDR-Sportbewegung machte dabei keinen Hehl daraus, daß sportliche Leistung aus ihrer Sicht kein politisches Neutrum war, das sich aus Zehntel-, Hundertstel- und Tausendstelsekunden zusammensetzte. Vielmehr galt sportliche Leistung als Konsequenz der sozialistischen Planung und Produkt der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse. In der Bundesrepublik verboten sich solche staatlichen Fördermaßnahmen für den 'unpolitischen Sport' zunächst von selbst. Sportliche Leistung galt hier als beiläufiges, wenn auch hart erarbeitetes individuelles Verdienst und fand wenig gesellschaftliche Würdigung. Eher begleitete ein intellektuelles Naserümpfen die Trainingsbemühungen der Läufer, Schwimmer und Radfahrer."
Diese bundesdeutsche Haltung - Buchautorin Balbier spricht von einer gesellschaftlich etablierten Dichotomie zwischen Staat und Sport - habe sich mit Beginn des Leistungsbooms im DDR-Sport nicht mehr aufrechterhalten lassen. Unter dem Druck des Kalten Krieges entwickelte sich der bundesdeutsche Sport
"vom schwitzenden Stiefkind zum ernstzunehmenden Partner auf Augenhöhe mit Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur"."
Analog zur DDR habe sich der bundesdeutsche Sport als fester Bestandteil der Gesellschaft der Bundesrepublik entwickelt, stellt die Autorin fest, und verbindet dies mit der Empfehlung:
""Daher sollte ihn die zukünftige historische Forschung stärker als Indikator für gesellschaftliche und intellektuelle Wandlungsprozesse heranziehen."
Außerdem, so liest man, könnten anhand des Sports Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, wie sich das Verhältnis der bundesdeutschen Gesellschaft zur DDR wandelte:
"Gleichzeitig begleitete ein zunehmend abgeklärter Umgang mit DDR-Modellen die sich anbahnende politische Entspannung. Die DDR-Sportförderstrukturen wurden daher in der Bundesrepublik zunächst diskutierbar und im nächsten Schritt adaptierbar."
Eine solche Bewertung geht allerdings weit an der Realität vorbei. Die Unterschiedlichkeit hier wie dort in den Förderstrukturen blieb bis zuletzt fundamental. Ein Beispiel: Der von Freiwilligkeit und spontanem Engagement der Sportlehrer geprägte bundesdeutsche Schulsportwettbewerb "Jugend trainiert für Olympia" hat noch nicht einmal in Ansätzen an sein ursprüngliches Vorbild, die Kinder- und Jugend-Spartakiaden der DDR, herangereicht, die dort bereits ein Teil des geschlossenen Leistungssportsystems waren.
Wohl entstanden im Westen immer mehr Sport-Leistungszentren des Bundes und der Länder vorwiegend für die olympischen Disziplinen, aber zum Ärger der Befürworter eines strikten Zentralismus im Sport konnten föderale, ja selbst regionale und lokale Prioritäten nie wirklich überwunden werden. Versuche des bundesdeutschen Sports, das ostdeutsche Erfolgsfördermodell wirkungsvoll zu kopieren, sind freilich sämtlich gescheitert, etwa das so genannte Modell "Arbeitsplatz Spitzensport". Die Idee stammte von Karl-Heinz Gieseler, dem langjährigen Generalsekretär des Deutschen Sportbundes und einzig ernstzunehmendem Vordenker im bundesdeutschen Sport. Seine Initiative sah vor, Spitzensportler aus ihren Heimatvereinen herauszulösen und in zentralen Sportclubs, etwa bei Bayer Leverkusen, zu konzentrieren. Das Echo, das Gieseler damit auslöste, war jedoch querbeet durch die westdeutsche Sportlandschaft derart niederschmetternd, dass der Vorschlag noch nicht einmal Debattenstatus in den entscheidenden Sportgremien erreichte.
Mit "Kalter Krieg auf der Aschenbahn - der deutsch-deutsche Sport 1950 -1972" hat Uta Andrea Balbier eine verdienstvolle Arbeit vorgelegt, mit der die Stipendiatin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2005 an der Universität Potsdam promovierte. Der Deutsche Olympische Sportbund zeichnete das Buch mit dem zweiten Rang seines Wissenschaftspreises 2006 aus. Seine Stärke liegt in der aufwendigen, intellektuell glänzend umgesetzten Auswertung der wesentlichen Archive aus Sport und Politik in Ost- und West-Deutschland sowie am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees in Lausanne in der Schweiz.
Eben diese Stärke ist kurioserweise, neben der bewusst vernachlässigten Beachtung der Bedeutung der Sportmedizin für die DDR-Sporterfolge mit ihren bereits frühen Entartungen und Manipulationen, für die größte Schwäche des vorliegenden Werkes mitverantwortlich. Zitate aus dem Archiv sind nicht immer gleichzusetzen mit der tatsächlich erlebten Wirklichkeit, sie können zu falschen Schlüssen führen. Dies passiert der jungen Autorin, Jahrgang 1974, mehrfach. Zum Beispiel, wenn sie behauptet, in den 50er Jahren
"erblickte der westdeutsche Sport sein Heil nun in der ostdeutschen Kinder- und Jugendschule."
Richtig ist, dass der weitgehend erfolgreiche Widerstand gegen Sportgymnasien und Kinder- und Jugend-Sportschulen im Westen nicht nur von der Kultusministerkonferenz kam und sich erst mit der deutschen Einheit das Meinungsbild dazu wandelte.
Die Bereitschaft, die Herausforderung des sieggewohnten DDR-Sports anzunehmen, ist in den Sportorganisationen der Bundesrepublik durchaus vorhanden gewesen. Allerdings war es ein ungleiches Duell, beim dem die bundesdeutschen Athleten gegen die Staatssportler der DDR mit deren unverhältnismäßig großen ökonomischen Möglichkeiten von vornherein auf verlorenem Posten standen. Auch wenn man gern erfolgreicher gewesen wäre, noch in der historischen Rückschau gilt, was Bundeskanzler Helmut Schmidt zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Sportbundes in der Frankfurter Paulskirche sagte:
"Auf der anderen Seite bin ich sicher, dass Sie genauso wissen, wie ich glaube, es zu wissen, dass die Zahl von Medaillen nichts aussagt über die Freiheit in einer Gesellschaft, dass sie nichts aussagt über die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft - übrigens auch nicht über den Wohlstand in einer Gesellschaft."
Uta Andrea Balbier: Kalter Krieg auf der Aschenbahn. Der deutsch-deutsche Sport 1950–1972. Eine politische Geschichte.
Schöningh Verlag, Paderborn 2007
277 Seiten, 32,90 Euro
"Zwanzig Mal erklang im Münchner Olympiastadion 'Auferstanden aus Ruinen', zwanzig Mal wurde die Flagge der DDR gehißt. Die DDR war leistungsstärker, effizienter und erfolgreicher als ihr westdeutscher Konkurrenzstaat.[...] Auf diesen protokollarischen und leistungssportlichen Triumph hatte die DDR seit Beginn der 50er Jahre systematisch hingearbeitet."
"Es ist nach meiner Uhr, verehrte Hörer zu Hause, genau 15.16 Uhr. Und das ist, glaube ich, ein Augenblick, der des Festhaltens würdig ist: Die DDR-Mannschaft betritt die Arena; vorneweg die Schilderträgerin; auf blauem Schild die weißen Buchstaben DDR. Und hören Sie den Beifall!"
Mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 strebte deren Sportbewegung gezielt die Repräsentation ostdeutscher Eigenstaatlichkeit in den Sportarenen der Welt an. Dem Drängen der DDR auf die internationale Sportbühne wirkten der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee, das sich offiziell NOK für Deutschland nennen durfte, auf sportpolitischem Wege früh entgegen. So wurde im Internationalen Olympischen Komitee, dem IOC, erreicht, dass DDR-Sportler bis 1968 lediglich in gesamtdeutschen Olympiamannschaften antreten durften.
"Durch den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik in ihrem außenpolitischen Radius extrem beschränkt, begann die DDR, diesen westdeutschen Eindämmungsmechanismus bereits kurz nach ihrer Gründung systematisch zu unterlaufen","
schreibt die Autorin und erinnert an die III. Karl-Marx-Städter Sportkonferenz 1955 mit der Rede des Ersten Sekretärs des ZK der SED und späteren Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht,
""in der er den Sport offiziell als Sphäre der Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus deklarierte. Demnach galt es, 'die Überlegenheit der Deutschen Demokratischen Republik, die unser gesellschaftliches System bereits bewiesen hat, auch auf dem Gebiet der Ökonomik, der kulturellen Entwicklung, des Sports usw. zu beweisen.'"
1952 in Helsinki, als die Deutschen erstmals nach dem Krieg wieder in den Schoß der olympischen Familie zurückkehren durften, saß der DDR-Sport noch im Schmollwinkel. Dieser Fehler wurde vier Jahre später revidiert, das gleichberechtigte Mitwirken in der ungeliebten gesamtdeutschen Mannschaft wurde von Ost-Berlin zum propagandistischen Erfolg umgemünzt:
"Und in diesem Augenblick, meine Hörer, kommt die Olympiamannschaft der Deutschen Demokratischen Republik in einer gesamtdeutschen Mannschaft hier in die Seelenbinder-Halle hineinmarschiert, vorneweg die schwarz-rot-goldene Fahne."
Ulbricht: "Liebe Sportfreunde! Die Leistungen der Olympiateilnehmer der DDR haben zum guten Ergebnis der gesamtdeutschen Mannschaft bedeutend beigetragen. Es ist bekannt, dass die gesamtdeutsche Mannschaft aus Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik und der westdeutschen Bundesrepublik zustande kam, weil es die Sportler und breite Kreise der Bevölkerung forderten und weil die Leistungen der Sportler der Deutschen Demokratischen Republik das Internationale Olympische Komitee veranlassten, das NOK der DDR anzuerkennen."
Die DDR entschied diesen Anerkennungskampf auch deshalb für sich, weil sie sich im Laufe der 60er Jahre in der internationalen Sportwelt durch ihre Leistungsstärke in der unmittelbaren sportlichen Konkurrenzsituation einen Namen gemacht hatte. Uta Andrea Balbier:
"Die DDR-Sportbewegung machte dabei keinen Hehl daraus, daß sportliche Leistung aus ihrer Sicht kein politisches Neutrum war, das sich aus Zehntel-, Hundertstel- und Tausendstelsekunden zusammensetzte. Vielmehr galt sportliche Leistung als Konsequenz der sozialistischen Planung und Produkt der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse. In der Bundesrepublik verboten sich solche staatlichen Fördermaßnahmen für den 'unpolitischen Sport' zunächst von selbst. Sportliche Leistung galt hier als beiläufiges, wenn auch hart erarbeitetes individuelles Verdienst und fand wenig gesellschaftliche Würdigung. Eher begleitete ein intellektuelles Naserümpfen die Trainingsbemühungen der Läufer, Schwimmer und Radfahrer."
Diese bundesdeutsche Haltung - Buchautorin Balbier spricht von einer gesellschaftlich etablierten Dichotomie zwischen Staat und Sport - habe sich mit Beginn des Leistungsbooms im DDR-Sport nicht mehr aufrechterhalten lassen. Unter dem Druck des Kalten Krieges entwickelte sich der bundesdeutsche Sport
"vom schwitzenden Stiefkind zum ernstzunehmenden Partner auf Augenhöhe mit Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur"."
Analog zur DDR habe sich der bundesdeutsche Sport als fester Bestandteil der Gesellschaft der Bundesrepublik entwickelt, stellt die Autorin fest, und verbindet dies mit der Empfehlung:
""Daher sollte ihn die zukünftige historische Forschung stärker als Indikator für gesellschaftliche und intellektuelle Wandlungsprozesse heranziehen."
Außerdem, so liest man, könnten anhand des Sports Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, wie sich das Verhältnis der bundesdeutschen Gesellschaft zur DDR wandelte:
"Gleichzeitig begleitete ein zunehmend abgeklärter Umgang mit DDR-Modellen die sich anbahnende politische Entspannung. Die DDR-Sportförderstrukturen wurden daher in der Bundesrepublik zunächst diskutierbar und im nächsten Schritt adaptierbar."
Eine solche Bewertung geht allerdings weit an der Realität vorbei. Die Unterschiedlichkeit hier wie dort in den Förderstrukturen blieb bis zuletzt fundamental. Ein Beispiel: Der von Freiwilligkeit und spontanem Engagement der Sportlehrer geprägte bundesdeutsche Schulsportwettbewerb "Jugend trainiert für Olympia" hat noch nicht einmal in Ansätzen an sein ursprüngliches Vorbild, die Kinder- und Jugend-Spartakiaden der DDR, herangereicht, die dort bereits ein Teil des geschlossenen Leistungssportsystems waren.
Wohl entstanden im Westen immer mehr Sport-Leistungszentren des Bundes und der Länder vorwiegend für die olympischen Disziplinen, aber zum Ärger der Befürworter eines strikten Zentralismus im Sport konnten föderale, ja selbst regionale und lokale Prioritäten nie wirklich überwunden werden. Versuche des bundesdeutschen Sports, das ostdeutsche Erfolgsfördermodell wirkungsvoll zu kopieren, sind freilich sämtlich gescheitert, etwa das so genannte Modell "Arbeitsplatz Spitzensport". Die Idee stammte von Karl-Heinz Gieseler, dem langjährigen Generalsekretär des Deutschen Sportbundes und einzig ernstzunehmendem Vordenker im bundesdeutschen Sport. Seine Initiative sah vor, Spitzensportler aus ihren Heimatvereinen herauszulösen und in zentralen Sportclubs, etwa bei Bayer Leverkusen, zu konzentrieren. Das Echo, das Gieseler damit auslöste, war jedoch querbeet durch die westdeutsche Sportlandschaft derart niederschmetternd, dass der Vorschlag noch nicht einmal Debattenstatus in den entscheidenden Sportgremien erreichte.
Mit "Kalter Krieg auf der Aschenbahn - der deutsch-deutsche Sport 1950 -1972" hat Uta Andrea Balbier eine verdienstvolle Arbeit vorgelegt, mit der die Stipendiatin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 2005 an der Universität Potsdam promovierte. Der Deutsche Olympische Sportbund zeichnete das Buch mit dem zweiten Rang seines Wissenschaftspreises 2006 aus. Seine Stärke liegt in der aufwendigen, intellektuell glänzend umgesetzten Auswertung der wesentlichen Archive aus Sport und Politik in Ost- und West-Deutschland sowie am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees in Lausanne in der Schweiz.
Eben diese Stärke ist kurioserweise, neben der bewusst vernachlässigten Beachtung der Bedeutung der Sportmedizin für die DDR-Sporterfolge mit ihren bereits frühen Entartungen und Manipulationen, für die größte Schwäche des vorliegenden Werkes mitverantwortlich. Zitate aus dem Archiv sind nicht immer gleichzusetzen mit der tatsächlich erlebten Wirklichkeit, sie können zu falschen Schlüssen führen. Dies passiert der jungen Autorin, Jahrgang 1974, mehrfach. Zum Beispiel, wenn sie behauptet, in den 50er Jahren
"erblickte der westdeutsche Sport sein Heil nun in der ostdeutschen Kinder- und Jugendschule."
Richtig ist, dass der weitgehend erfolgreiche Widerstand gegen Sportgymnasien und Kinder- und Jugend-Sportschulen im Westen nicht nur von der Kultusministerkonferenz kam und sich erst mit der deutschen Einheit das Meinungsbild dazu wandelte.
Die Bereitschaft, die Herausforderung des sieggewohnten DDR-Sports anzunehmen, ist in den Sportorganisationen der Bundesrepublik durchaus vorhanden gewesen. Allerdings war es ein ungleiches Duell, beim dem die bundesdeutschen Athleten gegen die Staatssportler der DDR mit deren unverhältnismäßig großen ökonomischen Möglichkeiten von vornherein auf verlorenem Posten standen. Auch wenn man gern erfolgreicher gewesen wäre, noch in der historischen Rückschau gilt, was Bundeskanzler Helmut Schmidt zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Sportbundes in der Frankfurter Paulskirche sagte:
"Auf der anderen Seite bin ich sicher, dass Sie genauso wissen, wie ich glaube, es zu wissen, dass die Zahl von Medaillen nichts aussagt über die Freiheit in einer Gesellschaft, dass sie nichts aussagt über die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft - übrigens auch nicht über den Wohlstand in einer Gesellschaft."
Uta Andrea Balbier: Kalter Krieg auf der Aschenbahn. Der deutsch-deutsche Sport 1950–1972. Eine politische Geschichte.
Schöningh Verlag, Paderborn 2007
277 Seiten, 32,90 Euro