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Ungleichgewicht im Gehirn

Medizin. - Borderline-Patienten leiden unter jäh schwankenden Stimmungsextremen, die sowohl ihr Privatleben als auch ihr berufliches Fortkommen stark beeinflussen. Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin wird diskutiert, welche Veränderungen im Gehirn zu einer Borderline-Persönlichkeit führen, und wie den Betroffenen geholfen werden kann.

Von Volkart Wildermuth |
    Schillernde Persönlichkeiten, so kann man "Borderliner" beschreiben. Ihre Gefühle fahren einen Schleuderkurs von extrem anhänglich zu extrem wütend zu extrem verzweifelt. Sie sind interessante Bekanntschaften, die ihre Partner aber schnell überfordern. Viele genießen ihre intensiven Erfahrungen, aber viele leiden auch darunter und suchen Hilfe, besonders wenn es wieder einmal mit einer Beziehung, einem Job nicht geklappt hat. Wo die Wurzeln einer Borderline-Persönlichkeit liegen, ist unklar. Lange galten schreckliche Erlebnisse in der Kindheit, wie sexueller Missbrauch oder eine permanente Ablehnung durch die Eltern als Ursache, doch solche Traumata finden sich bei vielen Menschen. Wie auch immer die besondere Instabilität der Gefühle entsteht, sie hinterlässt in jedem Fall Spuren im Gehirn. In diesem Jahr zeigen mehrere Arbeiten, dass auf der einen Seite die Gefühlszentren überreagieren, während parallel eher verstandesmäßig, kontrollierenden Hirnregionen nicht recht anspringen. Betrachtet man den zeitlichen Verlauf der Nervenaktivität sind die Gefühls- und Kontrollzentren sozusagen entkoppelt, erläutert Professor Sabine Herpertz von der Universität Rostock.

    "Unsere Annahme ist, dass es hier zu einem Ungleichgewicht kommt. Es ist ja wichtig, dass sich Gefühle auch durchsetzen können, wenn es zum Beispiel um bedrohliche Situationen geht, auf die man sofort reagieren muss, da sollen auch solche regulierenden Zentren gar nicht anspringen, aber gerade wenn mehr zielgerichtetes Verhalten gefordert ist, müsste es so sein. Und das scheint bei Borderline-Patienten so nicht zu funktionieren."

    Das passt zu der Achterbahn der Gefühle dieser Menschen. Doch obwohl offenbar die Hirnchemie verändert ist, sollte nicht in erster Linie mit Psychopharmaka behandelt werden, betont Sabine Herpertz:

    "Ich denke, dass der Schluss nicht ganz richtig ist, dass wenn Störungen eine biologische Grundlage haben, dass dann in erster Linie Medikamente angezeigt sind."

    Bei schweren Fällen können Psychopharmaka hilfreich sein, vielen "Borderlinern" lässt sich aber auch mit einer gezielten Psychotherapie helfen. Hier haben in jüngster Zeit mehrere Studien gezeigt, welche Ansätze funktionieren und vor allem welche nicht. Eher schädlich ist zum Beispiel der früher oft eingesetzte heiße Stuhl, auf dem man die Patienten in einer Gruppe sozusagen öffentlich mit ihren Schwächen konfrontiert hat. Heute gehen die Therapeuten positiv auf Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeit zu, helfen ihnen, ihre besondere emotionale Empfindlichkeit auch als Stärke zu deuten. Das gelingt eher in einer Einzeltherapie, meint Professor Peter Fiedler von der Universität Heidelberg, bei der die ganz praktische Hilfe für den Alltag im Vordergrund steht:

    "Was sich eventuell etwas geändert hat, dass man sich stärker auf die gegenwärtige Situation von Patienten kümmern muss, also unter welchen Bedingungen leben sie, wo liegen die gegenwärtigen problematischen Bedingungen, während früher vielleicht viel mehr Zeit darauf verwandt wurde ein Problem aus der Historie heraus, aus der Lebensgeschichte heraus zu verstehen."

    Statt mögliche Verletzungen in der frühen Kindheit zu deuten, wird ganz praktisch trainiert, wie in Beruf und Beziehung mit den überschießenden Gefühle umgegangen werden kann. Im Rahmen einer solchen Therapie können dann Worte auch Einfluss nehmen auf die Biologie des Gehirn. Das konnte Sabiene Herpertz nachweisen, in dem sie ihre Patienten immer wieder in einem Gehirnscanner untersuchte:

    "Wir haben schon gefunden, dass es eben über eine zwölfwöchige Behandlung zu eben Veränderungen im Bereich dieser regulierenden Zentren kommt, und wir haben gefunden, dass bei den Patienten, die auf diese Psychotherapie nun gut angesprochen haben, dass die eine verminderte der Aktivität in diesen Zentren zeigten, die jetzt primär wichtig sind für emotionale Ansprechbarkeit im Sinne einer Dämpfung."

    Die Therapie stärkt generell die Kontrollzentren im Stirnhirn, doch das reicht nicht aus um die Gefühle von der Achterbahn zu bekommen. Erst wenn sich auch das emotionale Erleben verändert, bekommen die Menschen ihr Leben wieder besser in den Griff.