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Uni-Seminar in Briefform
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Hinsetzen, nachdenken, aufschreiben: Ein ganzes Semester haben Studierende der Universität der Künste in Berlin untereinander und mit ihrer Seminarleiterin in Briefform kommuniziert. Das Ergebnis hat selbst die Dozentin überrascht.

Von Anja Nehls | 26.02.2021
Ein Mann schreibt einen Brief
Jeweils zu zweit sollten sich Studierende in Berlin per Brief darüber austauschen, ob Briefe noch zeitgemäß sind. (picture alliance / dpa / Christin Klose)
"Habt ihr Euch da immer so ein Zeitfenster genommen und gesagt o.k., jetzt setze ich mich mit dem Brief hin und lese den? Also weil manche haben auch geschrieben, sie haben die Brief von mir so in der Bahn gelesen"

"Tatsächlich muss ich sagen, ich habe mich immer voll gefreut, wenn ich den Brief so im Briefkasten gesehen habe und habe den auch immer gleich mitgenommen, ob ich jetzt Zeit hatte, den zu lesen oder nicht."

Eine ungewöhnliche Idee in der Coronazeit

Heute trifft Studentin Maya von Matuschka das erste Mal ihre Seminarleiterin Annika Haas in einem Berliner Park. Ein Semester lang wurde in dieser Lehrveranstaltung an der Universität der Künste nur in Briefform kommuniziert. Der Brief war sowohl die Form, als auch der Inhalt des Seminars. Eine ungewöhnliche Idee, meint Emma Bervard, die an der UDK Illustration studiert:
"Ich glaube, dass es gar nicht mehr so üblich ist, dass man sich Briefe schreibt und ich schreibe vor allem Postkarten so an Freunde, gelegentlich mal so einen Brief an sehr enge Freunde oder so und deswegen fand ich das ganz cool, öfters Briefe zu schreiben und dann auch an Menschen, die ich nicht kenne."
Jeweils zu zweit sollten sich die Studierenden per Brief darüber austauschen, ob Briefe noch zeitgemäß sind, welche Form Korrespondenz annehmen kann und was es überhaupt heißt, zu antworten. Die Idee kam Annika Haas als sie während eines Forschungsaufenthalts in Paris den ersten Lockdown erlebte und an einer dortigen Veranstaltung auf einmal nicht mehr persönlich teilnehmen konnte:
"Und dann kamen aber per Mail Briefe, also in PDF Form. Und das fand ich sehr schön und auch in diesem ersten Moment des Lockdowns, der ja in Paris auch ein sehr harter Lockdown war, war das natürlich auch ein Stück weit nicht Erleichterung aber vielleicht ein bisschen Ablenkung oder es hat irgendeine Form von Verbindung gestiftet."
Annika Haas sorgte nun als Lehrende in Berlin mit zehn Seminarbriefen für Denkanstöße. Die Studierenden kommunizierten ebenfalls per Brief. Studentin Karen Exner und ihre Tandempartnerin haben sich dabei zum Beispiel mit Briefen beschäftigt, die nie ankommen: "Auch vor dem Hintergrund, dass man ja auch oft Briefe schreibt, die man vielleicht auch gar nicht abschickt, einfach um selbst zu reflektieren und man beim Briefeschreiben eher Zweisprache mit sich selbst hält, als an den Adressaten oder die Adressatin."
Ein Roboter mit Tastaturmund und großen Augen sitzt vor einer Klaviatur und Mikrofon und scheint zu musizieren. 
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Sich Zeit lassen für klare Ausdrucksweise

Und was sie denkt, schreibt Karen Exner dann ebenfalls in einem Brief, den sie heute auch dabei hat: "Ich habe das Gefühl, dass man in der direkten mündlichen Kommunikation oft aneinander vorbei redet, wohingegen man bei der schriftlichen eher reflektiert und sich Zeit lässt für eine klare Ausdrucksweise und auch ehrlicher ist, weil man der direkten Reaktion der anderen Person nicht direkt ausgesetzt ist."
Die Handschrift von Karen Exner ist klein und geschwungen, der Brief auch grafisch aufwendig gestaltet. Jeder Brief ist anders, sagt Seminarleiterin Annika Haas, sie habe sich nicht nur über den Inhalt, sondern auch über die Gestaltung gefreut: "Also ich habe Briefe in Origamiform erhalten oder Briefe, die waren so groß wie eine Visitenkarten oder Briefe, die falten sich über ganze Tischlänge auf."
Und auch sie habe in der brieflichen Kommunikation mit ihren Studierenden viel gelernt – vor allem, dass der Postweg beschwerlicher ist als ein Austausch über E-Mails: "Und ich habe eben überhaupt nicht damit gerechnet, dass Briefe nicht ankommen oder dass sie zehn Tage unterwegs sind. Ich hatte zu Beginn auch eine ganz andere Taktung vorgesehen und dachte, was ich heute abschicke ist morgen da und dann können die Studierenden gleich wieder antworten."

Trotzdem: Wunsch nach Rückkehr zur Normalität

Und es gibt noch einen weiteren entscheidenden Unterschied zur E-Mail, meint Karen Exner: "Wenn man per Hand schreibt, also direkt aufs Papier, dann muss das ja direkt stimmen, dann hat man einen Gedanken, den man von Anfang bis Ende zusammenführt. Sonst arbeitet man ja immer so mit Word, dass man immer mal so Gedankenfetzen aufschreibt und die dann so zusammencollagiert. Und das ist ein ganz anderes Denken, wenn man weiß, ich fange hier an und dann geht das so stringent bis zu Ende."
Ein interessantes Experiment – dennoch wünschen sich alle die Rückkehr zur Normalität, sagt Annika Haas: "Also der Brief ersetzt das Präsenzseminar auf keinen Fall. Aber ich glaube, es ist eine gute neue Seminarform, Oder ein gute alte neue. Ja."