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Stühlerücken - auch in Bayern

Erst Merkel, dann Seehofer? Die Frage nach der Zukunft des CSU-Chefs und Bundesinnenministers rückt wieder in den Fokus. Zumindest Seehofers Tage als Parteichef scheinen gezählt. Einen Abgang in Würde wünscht ihm seine CSU-Basis und glaubt doch selbst nicht recht daran.

Von Michael Watzke | 01.11.2018
    CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer auf einer Pressekonferenz am Tag nach der bayerischen Landtagswahl.
    Treibt Seehofer vielleicht auch die Motivation an, die Kanzlerin politisch zu überleben? (AP / Matthias Schrader)
    In der CSU beginnt gerade das große Stühlerücken. Allerdings erstmal nur an der Basis. Stephan Gollwitzer, der CSU-Kreisvorsitzende von Weiden in der Oberpfalz, bereitet den Vereinssaal für ein wichtiges Treffen vor.
    "Das ist eine besondere Delegierten-Versammlung anlässlich der kommenden Europa-Wahl. Es ist unsere Aufgabe, von der Basis aus Delegierte zu wählen, die dann am 24.November in München den CSU-Spitzenkandidaten für die EU-Kandidatur festlegen und wählen."
    Gesprächs-Thema Nummer 1 ist allerdings der Rücktritt der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Maria Sponsel aus der Jungen Union war überrascht. Sie findet:
    "Wenn man über einen Politiker sagen kann: Eigentlich schade, dass er jetzt aufhört, überraschend, ach, hätte doch noch ein bisschen... - dann ist es genau der richtige Zeitpunkt. Den hat Angela Merkel genau getroffen. Ich bin wirklich begeistert von ihrer Entscheidung."
    Merkel-Rückzug: "Warum so spät?"
    Nicht alle in der CSU sehen das so. Alois Lukas etwa, der stellvertretende Kreisvorsitzende, fragt sich: wenn Angela Merkel ihren Entschluss wirklich schon vor Monaten gefasst hat - warum hat sie ihn dann nicht vor der bayerischen Landtagswahl verkündet?
    "Das hätte sie doch auch eher sagen können. Dann hätten wir vielleicht die Wahlen mit anderen Ergebnissen geschafft. Das ist uns ja oft an der Basis gesagt worden: ‚Die soll endlich gehen. Die will die ganze Welt retten, aber in Deutschland hat sie keine Zeit!"
    Lukas, ein Landwirt aus der Oberpfalz, ärgert sich über die Reaktionen auf Merkels Entschluss:
    "Ja, man hat die Frau Merkel ständig bekämpft, und auf einmal wird’s von den Medien bedauert. Das ist a bissel schizophren für mich, was da in der Öffentlichkeit abgeht."
    Moment mal: das Merkel-Mitleid kam doch vom CSU-Parteivorsitzenden. Horst Seehofer hatte nach Merkels Rückzug mit traurigem Dackelblick gesagt:
    "Ich war wirklich betroffen, weil wir jetzt seit 30 Jahren zusammenarbeiten. Gut zusammenarbeiten!"
    Horst Seehofers Zukunft
    Einige in der Oberpfälzer CSU haben darüber so laut gelacht, dass es fast das Stühlerücken übertönte. Andere schüttelten auch den Kopf über den eigenen Chef. Etwa der Weidener CSU-Bürgermeister Lothar Höher:
    "Das tut mir eigentlich weh, wenn ich das Ende seiner politischen Laufbahn betrachte. Die Angela Merkel hat sicher einen guten Weg gefunden, dass sie jetzt selbstbestimmt ihren Abschied nimmt. Und das würde ich auch dem Horst wünschen, dass er die Entscheidung selber trifft. Bevor die Diskussion weitergeht. Und die kann er eigentlich nur verlieren."
    Die Messe, so klingt das, ist gelesen. Neulich, in der Münchner Ludwigskirche, flochten die Parteifreunde schon Lorbeerkränze, dabei war Seehofer nicht mal anwesend:
    "Ein Intellektueller!", "Ein scharfer Denker", "Ein pointierter Vordenker!", "Ein geschichtsmächtiger Mann!", "Ein Leuchtturm für die CSU in schwieriger Zeit!"
    Das ist natürlich geflunkert. Das Lob dieser Herren bezog sich selbstverständlich auf Wilfried Scharnagl, das kürzlich verstorbene CSU-Urgestein. Das ganze Who-is-who der Christsozialen saß bei der Trauerfeier in der Münchner Ludwigskirche - nur Parteichef Seehofer weihte im Saarland ein Anker-Zentrum ein. Wer CSU-Generalsekretär Markus Blume auf den Chef ansprach, bekam Fahrplan-Auskünfte:
    "Wir bleiben bei unserem Fahrplan, das heißt: rasch eine Regierung in Bayern bilden, dann sicherstellen, dass wir Manfred Weber als Spitzenkandidat in Europa durchbringen. Und dann werden wir gemeinschaftlich in der CSU über das weitere Vorgehen beraten."
    Postenkarussell bei der CSU
    Horst Seehofer selbst hat angekündigt:
    "Dann wird es sehr schnell eine Debatte und von mir auch eine Entscheidung geben, wie es inhaltlich, strategisch und personell mit der CSU in Bayern weitergehen wird."
    Doch ob Horst Seehofer diese Entscheidung tatsächlich noch in der Hand hat? Er kann nicht viel mehr machen, als es Angela Merkel gleichzutun und seinen Rückzug zu verkünden. Wer sein Amt als Parteichef übernimmt, entscheidet Seehofer nicht mehr selbst. Wahrscheinlich wird es sich Markus Söder greifen - viele Parteifreunde raten ihm dazu. Söders innerparteilicher Gegenspieler Manfred Weber ist möglicherweise bald neuer EU-Kommissions-Präsident. Als solcher kann er kaum CSU-Chef werden, findet Stephan Gollwitzer, der CSU-Kreisvorsitzende von Weiden in der Oberpfalz:
    "In Moment würde ich mir Manfred Weber in Brüssel wünschen. Weil beide Ämter sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Da muss man auch vor Ort sein, um wirken zu können."
    Und Horst Seehofer? Kann er Bundes-Innenminister bleiben, wenn er nicht mehr CSU-Chef ist? Selbstverständlich, findet Maria Sponsel von der Jungen Union:
    "... Das eine ist ein Partei-Amt, das andere ist ein Regierungs-Amt, für das er bestellt wurde. Von daher hat das eine mit dem anderen nichts zu tun..."
    Der Weidener CSU-Bürgermeister Lothar Höher findet:
    "Innenminister ist eine schwierige Position. Wäre ich Horst Seehofer – ich würde mich zurückziehen. 69 Jahre, ein reiches politisches Leben - er würde sich selbst einen Gefallen tun, wenn er sagte: ‚Jetzt höre ich auf!‘"
    Aber vielleicht treibt den Bundes-Innenminister auch die Motivation an, die Kanzlerin politisch zu überleben. Sollte die Große Koalition zerbrechen, dürfte Angela Merkels Kanzlerschaft zu Ende sein. Aber ein Bundes-Innenminister Seehofer könnte unter Umständen auch in einer Jamaika-Koalition dienen. Auch wenn ein solches Gedankenspiel den Grünen wahrscheinlich Angstschweiß auf die Stirn treibt. In Bayern jedenfalls ist der Fahrplan klar: Nächste Woche will die CSU die Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern abschließen. Danach würde Markus Söder dann vom Landtag zum Ministerpräsident gewählt. Und Anfang Dezember bestimmt die CSU dann auf einem Sonder-Parteitag ihren neuen Vorsitzenden – genau eine Woche vor der Schwesterpartei CDU. Ob Angela Merkel diesmal zum Parteitag nach München kommt, um neben Horst Seehofer auf der Bühne zu stehen? Es wäre ein einmaliges Schauspiel, bei dem man das Stühlerücken hören könnte, sogar ganz ohne Stühle...