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Universum Picasso

Seine weltweit erste Museumsausstellung hatte Pablo Picasso 1932 im Kunsthaus Zürich. Die Werke dafür hatte er persönlich ausgewählt. Nun kehren 70 der damals gezeigten Gemälde aus den berühmtesten internationalen Sammlungen zu einer sensationellen Schau nach Zürich zurück.

Von Christian Gampert |
    Der Ausstellungs-Typus, der heute den Kunstbetrieb dominiert, ist die Retrospektive – und ihr Erfinder heißt, erstaunlicherweise, Picasso. Im Sommer 1932 wollte der Künstler, als Antwort auf Matisse, in der Pariser Galerie Georges Petit eine Schau neuer Arbeiten veranstalten; und da das Interesse an all dem, was er vor dem Kubismus gemalt hatte, eher gering war, man andererseits aber riesige Räume zur Verfügung hatte, nahm man das frühere Werk gleich dazu.

    Picasso war damals 50 Jahre alt und auf dem Höhepunkt der Karriere. Als Kurator hatte er allerdings seine Macken: Die Fotos der Pariser Ausstellung zeigen eine bizarre Hängung, ein absurdes Durcheinander. Das Züricher Kunsthaus, das im Herbst 1932 das Gesamtpaket übernahm und Picasso so zu seiner ersten wirklichen Museums-Schau verhalf, machte es erheblich besser. Man hängte die Werke übersichtlich und chronologisch – mit durchschlagendem Erfolg: C.G. Jung hielt den Künstler für schizophren, aber das Publikum strömte, und diverse neue Werke wurden aus der Ausstellung heraus verkauft.

    Ein ganzes Stockwerk hatte das Kunsthaus damals für Picasso frei geräumt, und wenn die Züricher jetzt, zum 100.Geburtstag ihres Kunsthauses, eine Ausstellung über jene historische Ausstellung von 1932 veranstalten, dann wollen sie sich selbst natürlich ein bisschen auf die Schulter klopfen und sagen: Schaut, WIR haben Picasso erst salonfähig gemacht; andererseits will der Kurator Tobia Bezzola aber, jenseits der Blockbuster-Wirkung, den Blick erforschen, den Picasso auf sich selber hatte.
    Und der war natürlich gnadenlos: schon in der Gewichtung zeigt sich, dass Picasso die Frühphase, also blaue und rosa Periode, mit ihren Elendsgestalten, Harlekinen und melancholischen Paaren später nicht so arg wichtig fand; die gesamte Entwicklung des analytischen und synthetischen Kubismus dagegen ist stark vertreten, die primitivistische und klassizistische Phase mit den voluminösen Weibern etwas weniger; und Picassos Haupt-Augenmerk galt – damals - der Gegenwart, also dem, was er zwischen 1922 und 32 gemacht hatte. Ab den zwanziger Jahren nämlich hangelt er sich nicht mehr von einer Ideologie zur nächsten, sondern verfügt völlig frei über die unterschiedlichsten Stilmittel, die nebeneinander existieren, bei Bedarf aber auch kombiniert werden – allerdings, wie Bezzola meint, bei wachsendem Einfluss des Surrealismus und der Sexualität:

    "Die ganze aggressiv-sadistische Erotik, die das Zentrum war des surrealistischen Denkens, rückt auch bei Picasso prominent in den Vordergrund. Aber auch im Formalen: Man sieht schon, dass er sich Mirò, Dali, Masson angeguckt hat. Tanguy – die ganze entstehende surrealistische Malerei. Und wie immer hat er da diesen Kompetitionsdrang. Er wollte immer allen zeigen: Schaut, ich kann's auch, aber besser als ihr!"

    Und er wollte natürlich auch sagen: Schaut, ihr könnt mich kaufen! Der Kunstmarkt lag 1932, nach Börsencrash und Wirtschaftskrise, am Boden; diverse konkurrierende Händler, von Vollard bis Wildenstein, vertraten den Künstler – und nutzten nun in Zürich die Chance, Bilder an den Mann zu bringen.

    Picasso hatte allerdings auch nur das ausgestellt, was einzelne Werkphasen meisterhaft auf den Punkt bringt. So ist besonders der Weg in die kubistische Aufsplitterung der Welt in Zürich nun komprimiert zu verfolgen; auch das Dekorativ-Flächige und Popbunte der 20iger-Jahre-Stilleben und die zunehmend abstrakte surreale Verrenktheit der späteren Menschenattrappen sind wunderbar beglaubigt.

    Kurator Bezzola hat das, was 1932 schon historisch war, vor petroldunkle Wände gehängt, während die damals neuen Arbeiten vor weißen Wänden präsentiert werden. Immerhin 100 der ursprünglich 229 ausgestellten Werke konnte das Kunsthaus Zürich nun beschaffen, aus großen Museen und vor allem von privaten Leihgebern. Der Aufwand an Versicherungsprämien für die Schau ist immens: je teurer die Werke, desto teurer auch die Versicherung. Möglicherweise kommt das Modell Retrospektive aus solch ökonomischen Gründen jetzt an seine Grenze.

    Das größte Bild der Ausstellung kommt übrigens aus Teheran: "der Maler und sein Modell" von 1927. Der Schah hat es gekauft: verzerrte, verzogene weibliche Formen mit Amöben-Kopf und Brustnippel. Herrn Ahmadinedschad kann man sich vor diesem Bild nicht wirklich vorstellen.