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Unkenntnis besser zugeben

In Spanien haben die Bilder aus Oslo Erinnerungen an die Madrider Zuganschläge vom 11. März 2004 wachgerufen, bei denen mehr als 190 Menschen starben. Vorschnell war die spanische Aznar-Regierung damals mit Schuldzuweisungen an die baskische ETA zur Stelle, doch islamistische Fanatiker hatten die Bomben gelegt.

Von Hans-Günter Kellner |
    Spaniens ehemaliger Innenminister Ángel Acebes erklärt im spanischen Fernsehen kurz nach den Anschlägen vom 11. März 2004 in völliger Gewissheit, die ETA sei dafür verantwortlich. Es gebe zahlreiche Parallelen zu fehlgeschlagenen ähnlichen Aktionen der ETA, die baskische Terrorgruppe habe so etwas geplant. Doch nach und nach stellte sich heraus: Die Bomben hatten islamistische Fanatiker gelegt. Armando Recio, Professor für politische Kommunikation an der Madrider Complutense-Universität kommentiert:

    "Spanien hat leider 40 Jahre Erfahrung mit dem Terrorismus der ETA. Da war es naheliegend, die Anschläge der ETA zuzuschreiben. Aber es gab zahlreiche Vorzeichen, die Zweifel rechtfertigten. Das Beste, was man in einem solchen Augenblick machen kann, ist, vorsichtig und so ehrlich und objektiv wie möglich zu sein. Wenn man nicht weiß, wer einen Anschlag verübt hat, sollte man das auch so sagen, dass die Hintergründe noch untersucht werden und man rechtzeitig informieren wird. Gerade, wenn es sich um einen Terroranschlag handelt."

    Zumal in der Bevölkerung nach und nach der Eindruck entstand, die Regierung habe mehr als nur fehlerhafte Erklärungen abgegeben. Es verdichtete sich der Eindruck, sie lüge bewusst, um die Parlamentswahlen nicht zu verlieren. Mit dieser Entrüstung wurde die konservative Volkspartei ein paar Tage später tatsächlich abgewählt. Kommunikationswissenschaftler Recio meint, die Leute hätten damals das richtige Gespür gehabt:

    "Umfragen kündigten den Verlust der absoluten Mehrheit an. Die Bevölkerung unterstützte die spanische Beteiligung am Irakkrieg nicht, das Krisen-Management während der Ölpest des Tankers Prestige war schlecht. Aber der Kampf gegen die ETA war einer der Pluspunkte der Regierung. Sie dachte, wenn hinter den Anschlägen auf die Vorortzüge von Madrid die ETA steckt, würden die Leute sie bei den Wahlen unterstützen. Statt stichhaltige Informationen abzuwarten, setzte sie sofort auf die ETA. Das war ein Fehler, der sich zu einer richtigen Lüge entwickelte. Denn noch als zahlreiche Indizien für einen islamistischen Hintergrund sprachen, hielt sie an der ETA-These fest. Das führte schließlich zu ihrer Abwahl."

    Allerdings: Einen Politiker, der zugeben würde, etwas nicht zu wissen, gibt es in Spanien auch heute noch nicht. Wenn Aznars Nachfolger, Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero vor die Presse tritt und sich zur Finanzkrise äußert, wirkt er entschlossen, in Gesten wie in Worten. So als hätte er die Finanzkrise, die Spekulationen mit Spaniens Auslandsanleihen und auch die Arbeitslosigkeit völlig unter Kontrolle. Doch es wirkt auch alle ein wenig einstudiert, meint Armando Recio:

    "Politiker haben Angst, der Bevölkerung nichts anbieten zu können. Während oft vor allem Zurückhaltung angesagt wäre. Leider verlangen die Journalisten heute aber praktisch jede Minute nach einer neuen Aktualisierung. Die Online-Medien wollen ständig neue Informationen anbieten. Das beeinträchtigt die Qualität der Information. Wer ständig etwas Neues anbieten will, wird Nachrichten nicht überprüfen oder unbedeutende Daten hinzufügen, die nichts wirklich Neues bringen. Aber das Eine sind die Bedürfnisse der Medien und etwas Anderes die Aufgabe der öffentlichen Verwaltung. Das gilt natürlich erst recht bei einem so schwerwiegenden Anlass wie einem Terroranschlag, wie er jetzt in Norwegen oder damals in Spanien passiert ist."

    Zumal in den Talkshows unzählige Journalisten schon darauf warten, zögerliche und damit unkompetent wirkende Politiker zu zerreißen. Seit in Spanien das digitale terrestrische Fernsehen mit zahlreichen neuen Kanälen eingeführt worden ist, werden die Bildschirme und Radios mit Talkshows regelrecht überschwemmt. Die meisten der Talkgäste treten täglich gleich in mehreren dieser in Spanien "tertulias" genannten Sendungen auf.

    "Das Problem daran ist: Diese Leute machen Meinung! Diese Sender laden auch keine Leute mit unterschiedlichen Positionen ein. Sie verbreiten ihre Botschaft am Morgen, Mittag und am Abend und treffen damit auf ein Publikum, das auf diese Art der Kommunikation nicht vorbereitet ist."