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Unmögliche Liebe zu dritt

Benjamin sitzt im Rollstuhl. Er hat sich mit einer Mischung aus Resignation und Sarkasmus in seinem Leben mit der Querschnittslähmung eingerichtet. Er lebt allein und ihm ist jeweils ein Zivildienstleistender zugeteilt, die er mit coolen Sprüchen und boshafter Konsequenz rasch "verschleißt". Der Kern aller Geschichten, die er erzählt, ist Provokation.

Von Josef Schnelle |
    Auch bei seiner Diplomarbeit trickst er herum. Er schickt sogar seinen Zivi zum Professor, um Aufschub für den Abgabetermin zu erbitten, auch wenn er in Wahrheit gar nicht mehr seinen Abschluss machen will. Wieder einmal bekommt er einen neuen Helfer zugeteilt, den er wie üblich zunächst hart angeht. Doch Christian steckt das überraschend schnell weg. Ein halbes Jahr wird er bei Benjamin bleiben und dann seine große Reise starten. Was sind da schon ein paar Kränkungen eines zwar gleichaltrigen aber hilflosen Querschnittgelähmten.

    Doch dann kommt etwas dazwischen: Annika, die manchmal buchstäblich mit ihrem Fahrrad "die Kurve nicht kriegt" und genau vor dem Fenster von Bens Wohnung an den Baum knallt. Sie rappelt sich aber immer wieder hoch und radelt weiter. Von seinem exklusiven Fensterplatz schaut Benjamin ihr schon lange zu und hat sich längst verliebt in die Cello-Studentin, die gerade mal wieder an ihrer vermeintlichen Erfolglosigkeit auf der Bühne verzweifelt. Benjamin, den sie natürlich bald kennenlernt, eröffnet ihr mit seiner dreisten und direkten Art und Schutzschirm gegen die Verzweiflung, eine neue Welt. Doch auch sie hat etwas zu bieten.

    Doch auch Zivi Christian gefällt ihr mit seiner träumerischen Verspieltheit an der Benjamins Sarkasmus förmlich abperlt.

    Eine komplexe Dreiecksgeschichte beginnt, bei der die drei Hauptfiguren sich jeweils ihren größten Ängsten stellen müssen. Aber eine Solidargemeinschaft, in der jeder die Schwächen des anderen ausgleicht, werden sie auch. Jules et Jim im Zeitalter der aktuellen Jugendkultur. Liebe und Freundschaft sind eben oft kaum voneinander zu unterscheiden. Benjamin traut sich plötzlich, auch einmal schwach zu sein und von der auf den ersten Blick "unmöglichen Liebe" zu träumen. Christian begreift endlich den Ernst hinter Bens Späßen. Annika bekommt durch die Unterstützung ihrer Freunde den Mut, sich zu bewähren. Und dann sitzen die drei gemeinsam unter den Sternen und fühlen sich unsterblich.

    Natürlich geht die Liebe nicht zu dritt, zumindest nicht auf Dauer. Die Utopie der "Ménage à Trois" ist aber in der "Nouvelle Vague" fast ein Genre geworden. Francois Truffaut, Alain Godard und Alain Tanner haben in ihren Filmen immer wieder Geschichten erzählt von der Liebe ohne Besitzanspruch und vom Leben als Experiment mit überraschenden Glückskonzepten. Dietrich Brüggemann fügt sich in diese Tradition nicht nur ein, er geht auch noch einen Schritt weiter. Seine behinderte Hauptfigur Ben muss nicht von emotionalen Almosen leben. Er kann auf Augenhöhe sich verlieben, als schöne empfindsame Seele. Die Tabus fallen wie morsche Mauern. Behinderte dürfen als individuelle Menschen abgelehnt und sogar gehasst werden. Und geliebt. Hauptdarstellerin Anna Brüggemann, die auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, springt beherzt über alle Grenzen hinweg.

    Überhaupt sind die Darsteller in diesem frischen Film aus der ganz neuen deutschen Filmemacherriege eine sichere Bank. Neben Anna Brüggemann ist auch Robert Gwisdeck mit seiner Spielfreude eine grandiose Entdeckung.

    Ganz leise leistet Dietrich Brüggemann mit diesem ebenso wahren wie heiteren und emotional überzeugenden Film mehr für die Integration Behinderter als manche Story mit Zeigefinger und Moralin.