
Schellnhuber: Ja, im Grunde genommen ist es sogar noch schwieriger, weil wir haben die Entwicklungsländer, die echten Entwicklungsländer, wir haben die Schwellenländer und die Industrieländer. Und die Schwellenländer benutzen die Bedürfnisse, also die wohlbegründeten Anliegen der Entwicklungsländer sehr häufig, um selbst sich aus dem Bezahlen der Rechnung herauszumogeln.
Zurheide: Haben wir nicht insgesamt den Konflikt, der ja noch ein Stück weitergeht unter der Überschrift, na ja, alle Länder haben da so ihre eigenen Interessen. Der Vorwurf, den die Schwellenländer, aber auch vor allen Dingen die Entwicklungsländer erheben, lautet da: Na ja, ihr im Westen produziert pro Kopf mehr CO2, und wenn ihr jetzt uns in unserer CO2-Entwicklung behindert, dann behindert ihr auch unsere wirtschaftliche Entwicklung. Dieser Grundvorwurf ist ja nicht ganz falsch, oder?
Schellnhuber: Nein, der Grundvorwurf ist richtig. Im Prinzip versucht jedes Land, geltend zu machen, dass es das Recht auf Entwicklung hat. Das Problem ist nur, dass die Entwicklung eben auf die alte, schmutzige Weise geschehen soll, nämlich über fossile Brennstoffe, und es gäbe Alternativen dazu. Nein, aber das Spiel ist wirklich insofern ziemlich perfide, dass eben Länder, die längst relativ reich sind, ihren hohen Pro-Kopf-Ausstoß haben, immer noch sozusagen – nennen wir es beim Namen, China etwa – also immer noch ein wirklich armes Land wie Burkina Faso oder Senegal vorschiebt, um zu sagen: Wir sind ja alle die Armen dieser Welt, also der globale Süden und der reiche Norden. Was jetzt da das Problem verursacht hat historisch, sozusagen jetzt wieder aufräumen, den Müll hinaustragen, das wird nicht funktionieren. Und deswegen müssen wir einfach wirklich mal blicken auf die Länder, die im Grunde genommen schon mitten in der Industrialisierung sind. Die zur Erderwärmung beitragen, und die dann in die Pflicht zu nehmen. Die wirklich armen Länder kann man eigentlich völlig draußen halten. Die spielen eigentlich nur die Rolle von Verhandlungsmasse am Tisch.

Zurheide: Schauen wir genau deshalb auf Indien und China. China haben Sie gerade angesprochen. Die Chinesen haben jetzt noch mal gesagt, na ja, wir setzen auf der einen Seite auf Atomkraft und auf Solar. Die Inder brauchen auch Wachstumsraten oder gehen davon aus, zwischen sieben und zehn Prozent, und Wachstum, Wachstum ist die Philosophie. Die setzen dann auf Kohle und Solar. Kann das funktionieren?

Schellnhuber: Indien erstickt auch an sich selbst, zumindest in den Städten. Das Absurde ist, dass in Indien noch stärkere Luftverschmutzung in den Zentren herrscht. Ich glaube, 13 der 20 schmutzigsten Länder, wenn es um Feinstaub zum Beispiel geht, Städte, wenn es um Feinstaub geht, liegen in Indien. Nur, in Indien gibt es sozusagen kein Bewusstsein dessen. Die Leidensfähigkeit ist offensichtlich noch sehr viel höher bei der armen Stadtbevölkerung. Insofern wird in Indien das Ganze niemals zu einer großen Debatte. Allerdings, auch da ändert sich das Ganze. Ich bin vorgestern auf die Webseite der großen Tageszeitung "The Hindu" gegangen in Chennai, wo ja gerade die großen Überschwemmungen sind. Gleichzeitig war da ein großer Bericht über den Smog in Indien, also in Delhi in diesem Fall. Die Dinge ändern sich dort auch, aber in Indien glaubt man eben wirklich, dass die einzige Alternative der Entwicklung der Kohle ist, und da wird entsprechend investiert. China, um darauf noch mal zurückzukommen, China wird seine Emissionsreduktionen wahrscheinlich viel früher erfüllen als angekündigt, also weit vor 2030. Wenn ich mit den Experten dort rede, dann ist das einhellig der Ton. Tatsächlich ist der Kohlekonsum schon stark abgesunken, und der Trend geht weiter nach unten, während in Indien genau das Gegenteil der Fall ist.

Schellnhuber: Bei Indien ist genau Folgendes der Fall, wir haben uns das sehr genau angesehen. In Indien verspricht die Regierung, dass alle Menschen Anschluss ans Stromnetz bekommen. Sie versucht das eben über Kohlekraft zu tun und dann über das nationale Netz im Grunde genommen. Aber das wird auch in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten meiner Ansicht nach nicht funktionieren. Tatsächlich ist es so, dass nur das alternative Modell, nämlich dezentrale Energie, vor allem Solar, Wind, Biomasse funktionieren kann. Das heißt, es ist nicht nur so, dass das jetzige Entwicklungsmodell schädlich für den Planeten ist. Es wird auch nicht funktionieren. Insofern gibt es nur die Alternative, so schnell wie möglich dezentral über die erneuerbaren Energien voranzugehen. Das wissen im Grunde genommen auch die Eliten und die Verantwortlichen in Neu Delhi et cetera. Aber man pokert jetzt, man will dafür extrem viel Unterstützung aus dem Ausland bekommen, wobei vieles berechtigt ist. Also erstens, die Unterstützung wäre sinnvoll aus der historischen Verantwortlichkeit des Westens heraus, vor allem aber müsste es einen Zugang zu den neuen Technologien möglichst ohne Lizenzgebühren geben. Und da haben Sie ja gehört, es gibt ja eine Initiative von Zuckerberg, von Bill Gates und so weiter. Man könnte sich vorstellen, dass also so eine Art globaler Technologiefonds gegründet wird oder Pool geschaffen wird, aus dem sich etwa Indien bedienen kann. Wann immer ich die Idee ins Spiel bringe bei Gesprächen mit indischen Partnern, sind die sehr entzückt darüber.
Zurheide: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Hans-Joachim Schellnhuber vor allen für diesen letzten Vorschlag, dem wir dann alles Gute und viel Erfolg wünschen auf dieser Konferenz um 6:59 Uhr. Danke schön und auf Wiederhören!
Schellnhuber: Wiederhören! Gern geschehen.