"Hmhh, mal sehen, was muss ich denn noch einkaufen. "
"Trinkwasser, einschließlich Quellwasser und Tafelwasser, das in zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen in den Verkehr gebracht wird = 19 Prozent Umsatzsteuer"
" " ... und Bananenmilch brauche ich auch noch"
"Getränke aus Milch mit Zusatz anderer Stoffe = 19 Prozent Umsatzsteuer.
Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens fünfundsiebzig Prozent des Fertigerzeugnisses = 7 Prozent Umsatzsteuer"
"Riesengarnelen – die sind bestimmt im Tiefkühl – oder soll ich doch lieber die Langusten nehmen?"
"Fische und Krebstiere ... = 7 Prozent Umsatzsteuer
... mit Ausnahme von Langusten, Hummer, Austern und Schnecken = 19 Prozent Umsatzsteuer"
"Hmhh, Physalis, das könnte gut passen ..."
"Genießbare Früchte und Nüsse = 7 Prozent Umsatzsteuer"
"Dijonnaise, wo ist das denn ... "
"Verschiedene Lebensmittelzubereitungen = 7 Prozent Umsatzsteuer"
"Toilettenpapier brauchen wir auch noch ... Und wo steht jetzt wieder die Zahnpasta?"
"Nicht in der Anlage des Umsatzsteuergesetzes aufgeführte Gegenstände sind nicht begünstigt = 19 Prozent Umsatzsteuer"
"So, da habe ich fast alles. Aber wo bekomme ich jetzt frischen Trüffel her?"#
"Anderes Gemüse, frisch oder gekühlt = 7 Prozent Umsatzsteuer"
Eigentlich ist alles so einfach. Zwei Klassen von Produkten und Dienstleistungen: zwei Mehrwertsteuersätze. Eigentlich. Aber die Realität in der umsatzbesteuerten Welt in Deutschland sieht anders aus. Allein das Umsatzsteuergesetz listet zehn verschiedene Gruppen von Waren und Dienstleistungen auf, die mit dem ermäßigten Satz von 7 Prozent besteuert werden. Darunter nicht nur Lebensmittel, sondern auch die Leistungen von Zahntechnikern, Zirkusvorführungen oder die Personenbeförderung auf Schiffen. Ein Anhang zum Umsatzsteuergesetz führt darüber hinaus in 54 Punkten und noch mehr Unterpunkten die verschiedensten Waren auf, die im Gesetz selbst noch nicht konkret benannt sind: von A wie Abfälle der Lebensmittelindustrie bis Z wie zoologische Sammlungsstücke. Und weil damit immer noch nicht alle Fragen geklärt sind, gibt das Bundesfinanzministerium in regelmäßigen Abständen ein Schreiben heraus, das inzwischen stolze 140 Seiten umfasst und letzte Abgrenzungsprobleme zu klären versucht. Zum Beispiel, wie denn nun bestimmte Bücher – die der Norm zufolge auch mit 7 Prozent besteuert werden – zu behandeln sind.
"Hierzu gehören Bilderalben und Bilderbücher, bei denen die Bilder vorherrschend sind und der Text nur untergeordnete Bedeutung hat und die nach ihrer Beschaffenheit offensichtlich zur Unterhaltung von Kindern bestimmt sind (...). Nicht begünstigt sind dagegen Bilderbücher für Kinder, mit Bildern oder Vorlagen zum Ausschneiden, bei denen mehr als die Hälfte der Seiten ganz oder teilweise zum Ausschneiden bestimmt sind, sowie bewegliche Zieh- und Aufstellbilderbücher, die im Wesentlichen Spielzeug darstellen."
Das ist nur ein Beispiel für die vielen logischen Brüche, die das Mehrwertsteuersystem in Deutschland inzwischen prägen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich auf die Fahne geschrieben, das Steuersystem zu vereinfachen. Union und FDP haben daher schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben, eine Kommission einzusetzen, die den Katalog der ermäßigten Umsatzsteuersätze durchforsten soll. Ein Gutachten, das Wirtschaftswissenschaftler der Universität Saarbrücken in diesen Tagen dem Bundesfinanzministerium überreicht haben, soll dafür letzte Ideen liefern, bevor die Kommission im Herbst ihre Arbeit aufnimmt. Auch den Bundesrechnungshof beschäftigt das Thema schon seit vielen Jahren. Im Juni fasste er seine Prüfungsergebnisse in einem Bericht zusammen. Martin Winter, Sprecher des Bundesrechnungshofs:
"Wir haben bei unterschiedlichen Leistungen und Gütergruppen, bei unterschiedlichen Ermäßigungen, sind wir immer wieder auf ähnliche oder auf die gleichen systematischen Schwächen gestoßen. Da ist zum einen die Abgrenzungsproblematik. Wir haben also festgestellt, dass es bei sehr vielen Ermäßigungen nicht mehr nachvollziehbar ist, weshalb ein Produkt, ein Gut oder eine Leistung in den ermäßigten Steuersatz fällt und weshalb eine andere Leistung in den Regelsteuersatz fällt."
Diese Abgrenzungsprobleme tauchen übrigens nicht nur bei den Lebensmitteln auf, wo regelmäßig Feinschmeckerprodukte als Negativ-Beispiele für den ermäßigten Steuersatz herhalten müssen, während etwa Mineralwasser mit 19 Prozent besteuert wird. Auch in anderen Bereichen fällt es der Finanzverwaltung immer schwerer, klare Grenzen zu ziehen. Das bekam auch Alfons Kühn, Leiter der Abteilung Steuern beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag am eigenen Fuß zu spüren:
"Ich habe vor wenigen Tagen ein paar neue Einlagen abgeholt, orthopädische Einlagen, stelle fest, dass die Einlagen mit 7 Prozent Mehrwertsteuer belegt sind. Die Verkäuferin hat mir dann erzählt, dass Schuherhöhungen, die zum Ausgleich unterschiedlicher Beinlänge im Schuh direkt angebracht werden, aber mit 19 Prozent versteuert werden müssen. Eine Widersprüchlichkeit, die das System unbedingt renovierungsbedürftig machen."
Derartige Widersprüchlichkeiten sind systemimmanent. Ein klares System, das jeder versteht, sieht anders aus. Dabei stecken hinter den unübersichtlichen Ermäßigungen durchaus achtbare Motive. Denn das Umsatzsteuerrecht, so wie wir es heute kennen, gibt es in Deutschland erst seit 1968. Frank Zschaler, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, erklärt die Gründe für den damaligen Systemwechsel:
"Die heutigen Ermäßigungstarife sind sozusagen Ergebnisse von Diskussionen über die Steuergerechtigkeit und über die Ethik in Steuersystemen. In der Regel war es so, dass die Umsatzsteuern, im Speziellen auch die tatsächlichen Verbrauchsteuern, die man bis zum Ende der Neuzeit erhoben hat, Steuern gewesen, die insbesondere auf die Massengüter erhoben worden sind. Also auf Getreide, auf Branntwein, was seinerzeit auch ein Massengut gewesen ist, auf Fleisch. Und damit wollte der Staat halt auf Güter zugreifen, die von vielen konsumiert werden - was freilich zur Folge hatte, dass Menschen mit außerordentlich niedrigem Einkommen, also die Armen und Bedürftigen in der damaligen Zeit, sehr ungerecht von diesen Steuern getroffen worden sind."
Der deutsche Steuergesetzgeber zog aus diesen historischen Erfahrungen Konsequenzen: Man wollte zwar eine ertragreiche Einnahmequelle etablieren – und mit der Einführung einer allgemeinen Umsatzsteuer in Höhe von damals 10 Prozent erreichte man in der Tat genau dieses; bis heute trägt die Umsatzsteuer ein gutes Drittel zu den Steuereinnahmen bei. Trotzdem sollten auch Geringverdiener sich Lebensmittel leisten und am gesellschaftlich-kulturellen Leben teilhaben können. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz war erfunden.
Aber schon damals gab es Ausnahmen von der Regel, die nicht mehr zeitgemäß waren. So wurden bestimmte Verkehrsgüter mit dem ermäßigten Satz belegt – etwa der öffentliche Nahverkehr in einem Umkreis von 50 Kilometern. Und auch für Pferde und Maulesel wurde nur der halbe Umsatzsteuersatz verlangt. Dabei waren die Tiere schon in den 60er-Jahren in der Landwirtschaft kaum noch im Einsatz. Wie bei so vielen Steuervergünstigungen ging es auch beim ermäßigten Umsatzsteuersatz bald um pure Subventionspolitik. Das jüngste Beispiel dafür ist die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen Anfang dieses Jahres. Eugen Schlachter, finanzpolitischer Sprecher der Grünen in Baden-Württemberg, hält daher wenig vom Verteilungsinstrument Umsatzsteuer:
"Grundsätzlich ist es so, dass weder die Supermarktkasse noch die Theaterkasse den sozialen Stand und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dessen kennt, der sich dort eine Leistung erkauft. Insofern eignet sich natürlich die Umsatzsteuer überhaupt nicht. Und weil es eben so war, haben die Lobbyisten in den letzten 50 Jahren ganze Arbeit geleistet und jeder hatte wohl eine Idee, was lebensnotwendig ist und was aus seiner Leistung mit einem ermäßigten Steuersatz zu belegen sei."
Daher wundert es nicht, dass Berichte von Experten über die Problematik des ermäßigten Satzes weitgehend unbeachtet bleiben. So auch ein Gutachten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Schon vor einigen Jahren stellten die Wissenschaftler dort fest: Der ermäßigte Umsatzsteuersatz ist als Instrument der Verteilungspolitik denkbar ungeeignet.
"Insgesamt sind die Verteilungswirkungen der Umsatzsteuerermäßigung eher gering und liefern keine starke Rechtfertigung für eine Differenzierung des Umsatzsteuersatzes. Bedeutsamer sind demgegenüber die branchenspezifischen Effekte dieser Differenzierung. Von der Wirkungsweise her ist die Umsatzsteuerermäßigung also eher eine Branchensubvention."
Die Politik hat – zumindest in den Ministerien – bereits Überlegungen dazu angestellt, wie der ermäßigte Satz in der Praxis wirkt – oder eben nicht wirkt. Martin Winter, Sprecher des Bundesrechnungshofes:
"Das hat zum einen das Bundesfinanzministerium ja auch festgestellt in einem Bericht von 2007, dass die Ermäßigung oft nicht an den Endverbraucher weitergegeben wird – das heißt sich im Preis nicht wieder findet. Die Europäische Kommission hat auch Untersuchungen angestellt und den Schluss gezogen, würde man einen einheitlichen Steuersatz haben, dann hätte ich ein viel effizienteres System, ich hätte weniger Wettbewerbsverzerrung und letztendlich dann auch einen Vorteil für den Endverbraucher."
Mitnahmeeffekte, fehlende Zielgenauigkeit, mangelnde Transparenz, hoher bürokratischer Aufwand. All das sind Punkte, die im Grunde gegen die Steuervergünstigung sprechen. Trotzdem dürfte es eine schwierige Aufgabe werden, das System zu reformieren und beispielsweise den ermäßigten Satz einfach zu streichen. Alexander Wiedow ist bei der EU-Kommission Direktor für indirekte Steuern. Wunsch und Wirklichkeit liegen nach seiner Auffassung bei der Umsatzsteuer weit auseinander:
"Ein einheitlicher Steuersatz für alle Arten von Konsum wäre eigentlich die einfachste und die fairste und gerechteste Lösung. Aber sie ist politisch natürlich nur sehr schwer durchsetzbar. Das liegt daran, dass auf der einen Seite man zwar sich durchaus einig ist, dass ein ermäßigter Steuersatz nur begrenzte Lenkungswirkung hat, weil er nicht immer automatisch im Preis abgebildet wird und dem Verbraucher zugutekommt. Aber umgekehrt weiß man auch, dass, wenn man einen Mehrwertsteuersatz erhöht, dass dann die Wirkung auf den Verbraucher unmittelbar ist. Wenn Sie einen ermäßigten Steuersatz hochsetzen auf den Normalsteuersatz haben, werden Sie sofort erhebliche Preissteigerungen haben, die sich für den Verbraucher niederschlagen."
Bei der Umsatzsteuer gibt zwar inzwischen die Europäische Union den Takt vor. Denn seitdem es den Binnenmarkt gibt, müssen Steuern, die diesen Markt betreffen, harmonisiert werden. So gibt es eine Spannweite für die Höhe der Sätze und einen Rahmen für die Bereiche, in denen ermäßigte Sätze angewendet werden dürfen. Trotzdem sind Reformbemühungen der EU-Kommission wie zuletzt 2007, die ermäßigten Sätze auf die nötigsten Produkte zu reduzieren und einen einheitlichen Satz anzustreben, bislang ohne Erfolg geblieben. Alexander Wiedow:
"Das hat leider nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Insbesondere hat man sich von Seiten der Mitgliedsstaaten geweigert, das gesamte Gerüst der ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf den Prüfstand zu stellen. Und damit war das Thema erstmal wieder abgehakt und vom Tisch für die nächsten Jahre, jedenfalls aus Sicht der Mitgliedstaaten, die sich einer solchen Diskussion verweigert haben – weil sie sagen, das ist ein so heikles politisches Thema, das man mit Sachargumenten eine Entscheidung nicht vernünftig vertreten kann."
Hinzu kommt, dass in diesem steuerlichen Bereich auch das Staatsverständnis des einzelnen EU-Mitgliedslandes eine Rolle spielt – und ob Steuern stärker auf direktem Wege über die Einkommen oder auf indirektem Wege über die Verbraucher eingenommen werden sollen. Dies zeigt sich zum Beispiel auch daran, dass es in manchen Staaten bis zu vier Umsatzsteuersätze gibt und lediglich ein Mitgliedsland sich auf einen Normalsatz beschränkt: Dänemark hat zwar nur einen Regelsteuersatz, der liegt dafür aber bei 25 Prozent. Götz Neuhahn, bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers Bereichsleiter für die indirekte Besteuerung kennt diese Probleme:
"Es gibt bestimmte Auslegungen, die den jeweiligen nationalen Staaten aus ihrer soziokulturellen Herkunft schlicht obliegen. Wir haben ein anderes Zivilrecht als Frankreich oder als England und deswegen werden Dinge unterschiedlich ausgelegt. Und da ist das genau der Punkt, wo der Europäische Gerichtshof relativ häufig berufen ist zu erklären, wie die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ausgelegt werden soll."
Nicht nur der Europäische Gerichtshof, auch die deutschen Gerichte müssen sich häufig mit dem Thema Umsatzsteuer beschäftigen. Allein am Finanzgericht Köln waren 2009 rund 250 Verfahren dazu anhängig, das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zählte im gleichen Zeitraum fast doppelt so viele Verfahren – und in diesem Jahr geht es dort bereits in 254 Prozessen um umsatzsteuerrechtliche Spezialfragen.
Die Umsatzsteuer ist eine der größten Einnahmequellen des Staates. Seit 1998 werden auch die Kommunen am Aufkommen beteiligt. Laut der jüngsten Steuerschätzung belaufen sich die Einnahmen aus der Umsatzsteuer im laufenden Jahr auf rund 180 Milliarden Euro. Davon entfallen auf den ermäßigten Satz rund 12,6 Milliarden Euro. Zahlen, die Finanzpolitikern wie Eugen Schlachter Gedankenspiele erlauben. Er hat jüngst mit dem grün-nahen Unternehmerverband "Unternehmensgrün" einen Vorschlag für die Reform der Mehrwertsteuer vorgelegt. Der Tenor: Der ermäßigte Steuersatz wird gestrichen, dafür wird der Regelsatz gesenkt.
"Wenn wir auf alle mehrwertsteuerpflichtigen Umsätze 16 Prozent als Staat erheben, dann haben wir weiterhin die 178 Milliarden Euro wie bisher. Aber da würden wir die Bezieher unterer Einkommen, Familien mit Kindern usw. dann belasten. Deshalb schlagen wir vor einen Steuersatz von 17 Prozent. Dadurch würde das Volumen mit elf Milliarden Euro höher sein und wir würden dann aus diesen elf Milliarden heraus empfehlen, die Hartz-IV-Sätze zum Beispiel für die Bezieher direkter Transferleistungen angemessen zu erhöhen oder wir könnten einen degressiven Steuerabzugsbetrag einbauen ins Steuerrecht oder es gibt ein sozial gestaffeltes, höheres Kindergeld."
Vorschläge dieser Art gibt es inzwischen einige. Die Schwierigkeit dürfte jedoch darin bestehen, dass steuerliche Subventionen gleich welcher Art – einmal etabliert – nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen sind. Die Empfänger haben sich an die Förderung per Steuergeschenk gewöhnt; Pläne, sie abzuschaffen oder zu kürzen, stoßen stets auf große Widerstände. Wobei nicht hinter jedem ermäßigten Steuersatz eine große Lobby steckt, wie der PwC-Steuerexperte Götz Neuhahn meint:
"Vieles ist gewachsen, es ist gewachsenes Recht. Es geht gar nicht so sehr darum, dass einzelne Interessengruppen nun laut aufrufen und sagen, wir werden benachteiligt, sondern es ist häufig so, dass eine Diskussion entsteht, wo es heißt, es gibt Steuererhöhungen, weil die Ermäßigungen hier gestrichen werden und vielleicht gegenläufige Maßnahmen gar nicht so gesehen werden."
Das ist womöglich auch der Grund, warum Politiker verschiedenster Partei-Couleur das Umsatzsteuerrecht zwar reformieren, den ermäßigten Steuersatz etwa für Grundnahrungsmittel aber beibehalten wollen. Der Steuerexperte Alfons Kühn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag glaubt, die Motivation hierfür zu kennen:
"Das Beharrungsvermögen ist groß und die harten Diskussionen, die dann vor Ort von dem einen oder anderen Politiker geführt werden müssen, die werden natürlich gescheut. Sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der vielleicht wenig Geld in der Tasche hat und der für sein Heimtierfutter dann später mehr, auch wenn es nur minimal mehr ist, zu zahlen hat, das ist kommunikativ eine harte Herausforderung. Das wird im politischen Tagesgeschäft gescheut."
Ein normaler Lebensmitteleinkauf mit einem Netto-Wert von 25 Euro würde sich – je nachdem, für welche Höhe von Regelsteuersatz man sich entscheidet – um zwei bis drei Euro verteuern. Eine Summe, die vielleicht besser durch direkte Transfers als durch ein Dickicht von Steuerermäßigungen aufgefangen werden könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu so einer Reform kommt, hält der Steuerhistoriker Frank Zschaler aber für gering:
"Wenn Sie sich anschauen, wie komplex ein Steuersystem ist, ein historisch gewachsenes Steuersystem, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir hier eine Radikalreform haben werden. Die würde ich persönlich auch nicht für sinnvoll halten. Alle wirklich großen Radikalreformen, die es in der Geschichte der Besteuerung gab, haben nicht zu dem Ergebnis geführt, das man sich erhofft hat."
Ist Pessimismus angebracht? In den kommenden Wochen wird die Kommission der Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen. Wie umfassend sie ihre Reformaufgabe versteht, ist noch offen. Klar ist aber eines: Nichts ist so schwierig, wie etwas zu vereinfachen.
"Trinkwasser, einschließlich Quellwasser und Tafelwasser, das in zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen in den Verkehr gebracht wird = 19 Prozent Umsatzsteuer"
" " ... und Bananenmilch brauche ich auch noch"
"Getränke aus Milch mit Zusatz anderer Stoffe = 19 Prozent Umsatzsteuer.
Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens fünfundsiebzig Prozent des Fertigerzeugnisses = 7 Prozent Umsatzsteuer"
"Riesengarnelen – die sind bestimmt im Tiefkühl – oder soll ich doch lieber die Langusten nehmen?"
"Fische und Krebstiere ... = 7 Prozent Umsatzsteuer
... mit Ausnahme von Langusten, Hummer, Austern und Schnecken = 19 Prozent Umsatzsteuer"
"Hmhh, Physalis, das könnte gut passen ..."
"Genießbare Früchte und Nüsse = 7 Prozent Umsatzsteuer"
"Dijonnaise, wo ist das denn ... "
"Verschiedene Lebensmittelzubereitungen = 7 Prozent Umsatzsteuer"
"Toilettenpapier brauchen wir auch noch ... Und wo steht jetzt wieder die Zahnpasta?"
"Nicht in der Anlage des Umsatzsteuergesetzes aufgeführte Gegenstände sind nicht begünstigt = 19 Prozent Umsatzsteuer"
"So, da habe ich fast alles. Aber wo bekomme ich jetzt frischen Trüffel her?"#
"Anderes Gemüse, frisch oder gekühlt = 7 Prozent Umsatzsteuer"
Eigentlich ist alles so einfach. Zwei Klassen von Produkten und Dienstleistungen: zwei Mehrwertsteuersätze. Eigentlich. Aber die Realität in der umsatzbesteuerten Welt in Deutschland sieht anders aus. Allein das Umsatzsteuergesetz listet zehn verschiedene Gruppen von Waren und Dienstleistungen auf, die mit dem ermäßigten Satz von 7 Prozent besteuert werden. Darunter nicht nur Lebensmittel, sondern auch die Leistungen von Zahntechnikern, Zirkusvorführungen oder die Personenbeförderung auf Schiffen. Ein Anhang zum Umsatzsteuergesetz führt darüber hinaus in 54 Punkten und noch mehr Unterpunkten die verschiedensten Waren auf, die im Gesetz selbst noch nicht konkret benannt sind: von A wie Abfälle der Lebensmittelindustrie bis Z wie zoologische Sammlungsstücke. Und weil damit immer noch nicht alle Fragen geklärt sind, gibt das Bundesfinanzministerium in regelmäßigen Abständen ein Schreiben heraus, das inzwischen stolze 140 Seiten umfasst und letzte Abgrenzungsprobleme zu klären versucht. Zum Beispiel, wie denn nun bestimmte Bücher – die der Norm zufolge auch mit 7 Prozent besteuert werden – zu behandeln sind.
"Hierzu gehören Bilderalben und Bilderbücher, bei denen die Bilder vorherrschend sind und der Text nur untergeordnete Bedeutung hat und die nach ihrer Beschaffenheit offensichtlich zur Unterhaltung von Kindern bestimmt sind (...). Nicht begünstigt sind dagegen Bilderbücher für Kinder, mit Bildern oder Vorlagen zum Ausschneiden, bei denen mehr als die Hälfte der Seiten ganz oder teilweise zum Ausschneiden bestimmt sind, sowie bewegliche Zieh- und Aufstellbilderbücher, die im Wesentlichen Spielzeug darstellen."
Das ist nur ein Beispiel für die vielen logischen Brüche, die das Mehrwertsteuersystem in Deutschland inzwischen prägen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich auf die Fahne geschrieben, das Steuersystem zu vereinfachen. Union und FDP haben daher schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben, eine Kommission einzusetzen, die den Katalog der ermäßigten Umsatzsteuersätze durchforsten soll. Ein Gutachten, das Wirtschaftswissenschaftler der Universität Saarbrücken in diesen Tagen dem Bundesfinanzministerium überreicht haben, soll dafür letzte Ideen liefern, bevor die Kommission im Herbst ihre Arbeit aufnimmt. Auch den Bundesrechnungshof beschäftigt das Thema schon seit vielen Jahren. Im Juni fasste er seine Prüfungsergebnisse in einem Bericht zusammen. Martin Winter, Sprecher des Bundesrechnungshofs:
"Wir haben bei unterschiedlichen Leistungen und Gütergruppen, bei unterschiedlichen Ermäßigungen, sind wir immer wieder auf ähnliche oder auf die gleichen systematischen Schwächen gestoßen. Da ist zum einen die Abgrenzungsproblematik. Wir haben also festgestellt, dass es bei sehr vielen Ermäßigungen nicht mehr nachvollziehbar ist, weshalb ein Produkt, ein Gut oder eine Leistung in den ermäßigten Steuersatz fällt und weshalb eine andere Leistung in den Regelsteuersatz fällt."
Diese Abgrenzungsprobleme tauchen übrigens nicht nur bei den Lebensmitteln auf, wo regelmäßig Feinschmeckerprodukte als Negativ-Beispiele für den ermäßigten Steuersatz herhalten müssen, während etwa Mineralwasser mit 19 Prozent besteuert wird. Auch in anderen Bereichen fällt es der Finanzverwaltung immer schwerer, klare Grenzen zu ziehen. Das bekam auch Alfons Kühn, Leiter der Abteilung Steuern beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag am eigenen Fuß zu spüren:
"Ich habe vor wenigen Tagen ein paar neue Einlagen abgeholt, orthopädische Einlagen, stelle fest, dass die Einlagen mit 7 Prozent Mehrwertsteuer belegt sind. Die Verkäuferin hat mir dann erzählt, dass Schuherhöhungen, die zum Ausgleich unterschiedlicher Beinlänge im Schuh direkt angebracht werden, aber mit 19 Prozent versteuert werden müssen. Eine Widersprüchlichkeit, die das System unbedingt renovierungsbedürftig machen."
Derartige Widersprüchlichkeiten sind systemimmanent. Ein klares System, das jeder versteht, sieht anders aus. Dabei stecken hinter den unübersichtlichen Ermäßigungen durchaus achtbare Motive. Denn das Umsatzsteuerrecht, so wie wir es heute kennen, gibt es in Deutschland erst seit 1968. Frank Zschaler, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, erklärt die Gründe für den damaligen Systemwechsel:
"Die heutigen Ermäßigungstarife sind sozusagen Ergebnisse von Diskussionen über die Steuergerechtigkeit und über die Ethik in Steuersystemen. In der Regel war es so, dass die Umsatzsteuern, im Speziellen auch die tatsächlichen Verbrauchsteuern, die man bis zum Ende der Neuzeit erhoben hat, Steuern gewesen, die insbesondere auf die Massengüter erhoben worden sind. Also auf Getreide, auf Branntwein, was seinerzeit auch ein Massengut gewesen ist, auf Fleisch. Und damit wollte der Staat halt auf Güter zugreifen, die von vielen konsumiert werden - was freilich zur Folge hatte, dass Menschen mit außerordentlich niedrigem Einkommen, also die Armen und Bedürftigen in der damaligen Zeit, sehr ungerecht von diesen Steuern getroffen worden sind."
Der deutsche Steuergesetzgeber zog aus diesen historischen Erfahrungen Konsequenzen: Man wollte zwar eine ertragreiche Einnahmequelle etablieren – und mit der Einführung einer allgemeinen Umsatzsteuer in Höhe von damals 10 Prozent erreichte man in der Tat genau dieses; bis heute trägt die Umsatzsteuer ein gutes Drittel zu den Steuereinnahmen bei. Trotzdem sollten auch Geringverdiener sich Lebensmittel leisten und am gesellschaftlich-kulturellen Leben teilhaben können. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz war erfunden.
Aber schon damals gab es Ausnahmen von der Regel, die nicht mehr zeitgemäß waren. So wurden bestimmte Verkehrsgüter mit dem ermäßigten Satz belegt – etwa der öffentliche Nahverkehr in einem Umkreis von 50 Kilometern. Und auch für Pferde und Maulesel wurde nur der halbe Umsatzsteuersatz verlangt. Dabei waren die Tiere schon in den 60er-Jahren in der Landwirtschaft kaum noch im Einsatz. Wie bei so vielen Steuervergünstigungen ging es auch beim ermäßigten Umsatzsteuersatz bald um pure Subventionspolitik. Das jüngste Beispiel dafür ist die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen Anfang dieses Jahres. Eugen Schlachter, finanzpolitischer Sprecher der Grünen in Baden-Württemberg, hält daher wenig vom Verteilungsinstrument Umsatzsteuer:
"Grundsätzlich ist es so, dass weder die Supermarktkasse noch die Theaterkasse den sozialen Stand und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dessen kennt, der sich dort eine Leistung erkauft. Insofern eignet sich natürlich die Umsatzsteuer überhaupt nicht. Und weil es eben so war, haben die Lobbyisten in den letzten 50 Jahren ganze Arbeit geleistet und jeder hatte wohl eine Idee, was lebensnotwendig ist und was aus seiner Leistung mit einem ermäßigten Steuersatz zu belegen sei."
Daher wundert es nicht, dass Berichte von Experten über die Problematik des ermäßigten Satzes weitgehend unbeachtet bleiben. So auch ein Gutachten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Schon vor einigen Jahren stellten die Wissenschaftler dort fest: Der ermäßigte Umsatzsteuersatz ist als Instrument der Verteilungspolitik denkbar ungeeignet.
"Insgesamt sind die Verteilungswirkungen der Umsatzsteuerermäßigung eher gering und liefern keine starke Rechtfertigung für eine Differenzierung des Umsatzsteuersatzes. Bedeutsamer sind demgegenüber die branchenspezifischen Effekte dieser Differenzierung. Von der Wirkungsweise her ist die Umsatzsteuerermäßigung also eher eine Branchensubvention."
Die Politik hat – zumindest in den Ministerien – bereits Überlegungen dazu angestellt, wie der ermäßigte Satz in der Praxis wirkt – oder eben nicht wirkt. Martin Winter, Sprecher des Bundesrechnungshofes:
"Das hat zum einen das Bundesfinanzministerium ja auch festgestellt in einem Bericht von 2007, dass die Ermäßigung oft nicht an den Endverbraucher weitergegeben wird – das heißt sich im Preis nicht wieder findet. Die Europäische Kommission hat auch Untersuchungen angestellt und den Schluss gezogen, würde man einen einheitlichen Steuersatz haben, dann hätte ich ein viel effizienteres System, ich hätte weniger Wettbewerbsverzerrung und letztendlich dann auch einen Vorteil für den Endverbraucher."
Mitnahmeeffekte, fehlende Zielgenauigkeit, mangelnde Transparenz, hoher bürokratischer Aufwand. All das sind Punkte, die im Grunde gegen die Steuervergünstigung sprechen. Trotzdem dürfte es eine schwierige Aufgabe werden, das System zu reformieren und beispielsweise den ermäßigten Satz einfach zu streichen. Alexander Wiedow ist bei der EU-Kommission Direktor für indirekte Steuern. Wunsch und Wirklichkeit liegen nach seiner Auffassung bei der Umsatzsteuer weit auseinander:
"Ein einheitlicher Steuersatz für alle Arten von Konsum wäre eigentlich die einfachste und die fairste und gerechteste Lösung. Aber sie ist politisch natürlich nur sehr schwer durchsetzbar. Das liegt daran, dass auf der einen Seite man zwar sich durchaus einig ist, dass ein ermäßigter Steuersatz nur begrenzte Lenkungswirkung hat, weil er nicht immer automatisch im Preis abgebildet wird und dem Verbraucher zugutekommt. Aber umgekehrt weiß man auch, dass, wenn man einen Mehrwertsteuersatz erhöht, dass dann die Wirkung auf den Verbraucher unmittelbar ist. Wenn Sie einen ermäßigten Steuersatz hochsetzen auf den Normalsteuersatz haben, werden Sie sofort erhebliche Preissteigerungen haben, die sich für den Verbraucher niederschlagen."
Bei der Umsatzsteuer gibt zwar inzwischen die Europäische Union den Takt vor. Denn seitdem es den Binnenmarkt gibt, müssen Steuern, die diesen Markt betreffen, harmonisiert werden. So gibt es eine Spannweite für die Höhe der Sätze und einen Rahmen für die Bereiche, in denen ermäßigte Sätze angewendet werden dürfen. Trotzdem sind Reformbemühungen der EU-Kommission wie zuletzt 2007, die ermäßigten Sätze auf die nötigsten Produkte zu reduzieren und einen einheitlichen Satz anzustreben, bislang ohne Erfolg geblieben. Alexander Wiedow:
"Das hat leider nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Insbesondere hat man sich von Seiten der Mitgliedsstaaten geweigert, das gesamte Gerüst der ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf den Prüfstand zu stellen. Und damit war das Thema erstmal wieder abgehakt und vom Tisch für die nächsten Jahre, jedenfalls aus Sicht der Mitgliedstaaten, die sich einer solchen Diskussion verweigert haben – weil sie sagen, das ist ein so heikles politisches Thema, das man mit Sachargumenten eine Entscheidung nicht vernünftig vertreten kann."
Hinzu kommt, dass in diesem steuerlichen Bereich auch das Staatsverständnis des einzelnen EU-Mitgliedslandes eine Rolle spielt – und ob Steuern stärker auf direktem Wege über die Einkommen oder auf indirektem Wege über die Verbraucher eingenommen werden sollen. Dies zeigt sich zum Beispiel auch daran, dass es in manchen Staaten bis zu vier Umsatzsteuersätze gibt und lediglich ein Mitgliedsland sich auf einen Normalsatz beschränkt: Dänemark hat zwar nur einen Regelsteuersatz, der liegt dafür aber bei 25 Prozent. Götz Neuhahn, bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers Bereichsleiter für die indirekte Besteuerung kennt diese Probleme:
"Es gibt bestimmte Auslegungen, die den jeweiligen nationalen Staaten aus ihrer soziokulturellen Herkunft schlicht obliegen. Wir haben ein anderes Zivilrecht als Frankreich oder als England und deswegen werden Dinge unterschiedlich ausgelegt. Und da ist das genau der Punkt, wo der Europäische Gerichtshof relativ häufig berufen ist zu erklären, wie die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ausgelegt werden soll."
Nicht nur der Europäische Gerichtshof, auch die deutschen Gerichte müssen sich häufig mit dem Thema Umsatzsteuer beschäftigen. Allein am Finanzgericht Köln waren 2009 rund 250 Verfahren dazu anhängig, das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zählte im gleichen Zeitraum fast doppelt so viele Verfahren – und in diesem Jahr geht es dort bereits in 254 Prozessen um umsatzsteuerrechtliche Spezialfragen.
Die Umsatzsteuer ist eine der größten Einnahmequellen des Staates. Seit 1998 werden auch die Kommunen am Aufkommen beteiligt. Laut der jüngsten Steuerschätzung belaufen sich die Einnahmen aus der Umsatzsteuer im laufenden Jahr auf rund 180 Milliarden Euro. Davon entfallen auf den ermäßigten Satz rund 12,6 Milliarden Euro. Zahlen, die Finanzpolitikern wie Eugen Schlachter Gedankenspiele erlauben. Er hat jüngst mit dem grün-nahen Unternehmerverband "Unternehmensgrün" einen Vorschlag für die Reform der Mehrwertsteuer vorgelegt. Der Tenor: Der ermäßigte Steuersatz wird gestrichen, dafür wird der Regelsatz gesenkt.
"Wenn wir auf alle mehrwertsteuerpflichtigen Umsätze 16 Prozent als Staat erheben, dann haben wir weiterhin die 178 Milliarden Euro wie bisher. Aber da würden wir die Bezieher unterer Einkommen, Familien mit Kindern usw. dann belasten. Deshalb schlagen wir vor einen Steuersatz von 17 Prozent. Dadurch würde das Volumen mit elf Milliarden Euro höher sein und wir würden dann aus diesen elf Milliarden heraus empfehlen, die Hartz-IV-Sätze zum Beispiel für die Bezieher direkter Transferleistungen angemessen zu erhöhen oder wir könnten einen degressiven Steuerabzugsbetrag einbauen ins Steuerrecht oder es gibt ein sozial gestaffeltes, höheres Kindergeld."
Vorschläge dieser Art gibt es inzwischen einige. Die Schwierigkeit dürfte jedoch darin bestehen, dass steuerliche Subventionen gleich welcher Art – einmal etabliert – nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen sind. Die Empfänger haben sich an die Förderung per Steuergeschenk gewöhnt; Pläne, sie abzuschaffen oder zu kürzen, stoßen stets auf große Widerstände. Wobei nicht hinter jedem ermäßigten Steuersatz eine große Lobby steckt, wie der PwC-Steuerexperte Götz Neuhahn meint:
"Vieles ist gewachsen, es ist gewachsenes Recht. Es geht gar nicht so sehr darum, dass einzelne Interessengruppen nun laut aufrufen und sagen, wir werden benachteiligt, sondern es ist häufig so, dass eine Diskussion entsteht, wo es heißt, es gibt Steuererhöhungen, weil die Ermäßigungen hier gestrichen werden und vielleicht gegenläufige Maßnahmen gar nicht so gesehen werden."
Das ist womöglich auch der Grund, warum Politiker verschiedenster Partei-Couleur das Umsatzsteuerrecht zwar reformieren, den ermäßigten Steuersatz etwa für Grundnahrungsmittel aber beibehalten wollen. Der Steuerexperte Alfons Kühn vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag glaubt, die Motivation hierfür zu kennen:
"Das Beharrungsvermögen ist groß und die harten Diskussionen, die dann vor Ort von dem einen oder anderen Politiker geführt werden müssen, die werden natürlich gescheut. Sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der vielleicht wenig Geld in der Tasche hat und der für sein Heimtierfutter dann später mehr, auch wenn es nur minimal mehr ist, zu zahlen hat, das ist kommunikativ eine harte Herausforderung. Das wird im politischen Tagesgeschäft gescheut."
Ein normaler Lebensmitteleinkauf mit einem Netto-Wert von 25 Euro würde sich – je nachdem, für welche Höhe von Regelsteuersatz man sich entscheidet – um zwei bis drei Euro verteuern. Eine Summe, die vielleicht besser durch direkte Transfers als durch ein Dickicht von Steuerermäßigungen aufgefangen werden könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu so einer Reform kommt, hält der Steuerhistoriker Frank Zschaler aber für gering:
"Wenn Sie sich anschauen, wie komplex ein Steuersystem ist, ein historisch gewachsenes Steuersystem, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir hier eine Radikalreform haben werden. Die würde ich persönlich auch nicht für sinnvoll halten. Alle wirklich großen Radikalreformen, die es in der Geschichte der Besteuerung gab, haben nicht zu dem Ergebnis geführt, das man sich erhofft hat."
Ist Pessimismus angebracht? In den kommenden Wochen wird die Kommission der Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen. Wie umfassend sie ihre Reformaufgabe versteht, ist noch offen. Klar ist aber eines: Nichts ist so schwierig, wie etwas zu vereinfachen.