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Unparteiischer mit Parteibuch

Der NPD-Funktionär Stephan Haase ist seit vier Jahren Schiedsrichter in der Fußball-Kreisliga C. In seiner Heimatstadt Lüdenscheid liegt der Bevölkerungsanteil mit einem Migrationshintergrund bei 15 Prozent. Kann ein rechtsextremer NPD-Mann, der die Demokratie infrage stellt und Einwanderer ablehnt, Gleichberechtigung gegenüber Migrantenvereinen fördern?

Von Ronny Blaschke | 14.05.2011
    Ein Sonntagmorgen in Rönsahl, einer kleiner Gemeinde im Sauerland. Einfamilienhäuser schmiegen sich an sanfte Hügel. Dazwischen ein Fußballplatz, auf dem der Schiedsrichter Stephan Haase zwei Mannschaften auf ein Spiel einstimmt. In der Kreisliga C, tiefer geht es nicht.

    Stephan Haase ist ein freundlicher Mann von groß gewachsener Statur. Seinen Namen lässt er gegenüber Spielern unerwähnt, seinen Beruf auch. Keines seiner Gespräche wird länger als zwei Minuten dauern. Er ist akzeptiert. Unbeliebt macht er sich höchstens auf dem Rasen - wenn er Elfmeter pfeift.

    Stephan Haase ist auch Politiker. Ein rechtsextremer Politiker. Er war Mitglied der "Nationalistischen Front", bis diese 1992 verboten wurde, wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus. Haase betrieb einen Versand für einschlägige Devotionalien, wurde wegen Volksverhetzung verurteilt. Er war Vorsitzender der NPD in Nordrhein-Westfalen und sitzt seit 2009 im Stadtrat von Lüdenscheid. Politisch macht er Stimmung gegen Einwanderer, doch in seinem Hobby leitet er Fußballspiele von Migrantenvereinen. Wie er wohl vorgehen würde, wenn er politische Macht hätte?

    "Da wir ja politisch den Großteil der in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimatländer zurück schicken möchten, würde sich die Frage, jetzt kämen wir dann zum Sport, von ausländischen Vereinen im Wesentlichen erledigt haben, da es dann voraussichtlich gar keine Spieler mehr für die meisten Vereine geben würde."

    Politisch ist Stephan Haase im Stadtrat isoliert - doch im Fußball ist er ein geschätztes Mitglied der Familie. Kann Haase, der die Verfassung für fragwürdig hält und nicht an die Demokratie glaubt, auf dem Rasen Gleichberechtigung fördern? In Rönsahl kicken Deutsche, Türken und Griechen miteinander und gegeneinander. Der 42-jährige Haase behauptet, er würde alle gleich behandeln:

    "Ich komme da hin als Schiedsrichter, ich stell mich da nicht namensmäßig vor, so dass ich davon ausgehe, dass der Großteil der Spieler gar nicht weiß, wer ich bin. Da von den Spielern noch nie jemand was wegen meiner politischen Einstellung gesagt hat, muss ich also davon ausgehen, dass es ihnen entweder egal ist, oder es einfach in der Masse wahrscheinlich gar nicht wissen."

    Bernd Benscheidt gehört zu den wenigen, die sich von solchen Aussagen nicht besänftigen lassen. Der Sprecher der Friedensgruppe Lüdenscheid glaube nicht daran, dass Stephan Haase den Fußball als Bühne für Rassismus missbraucht. Gefährlich sei für ihn die Botschaft, die ein Rechtsextremer im Sport ausstrahlt.

    "Wenn Personen solche Funktionen bekommen, damit haben sie auch die Chance, ihre Gedanken gerade bei Jugendlichen und im Fußball unterzubringen. Dass denen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Gedanken durch eine anerkannte Funktion in der Gesellschaft in die Gesellschaft rein zu transportieren."
    Immer wieder schreibt Bernd Benscheidt Briefe, sucht Partner, gründet Initiativen. Ende 2009 wandte er sich an den Deutschen Fußball-Bund und den Zentralrat der Juden. Daraufhin fand ein Gespräch mit Vertretern aus Fußball und Politik statt. Am Ende sagte der DFB, dass Stephan Haase juristisch nicht auszuschließen sei. Lokale Vereine und Verbände gaben sich damit zufrieden. Bernd Benscheidt protestiert weiter:

    "Wir sind enttäuscht vom DFB, dass sie da, wo sie aktiv handeln können, nichts machen. Sie geben viel Geld aus für Präventionsarbeit in ihren Stadien: Rote Karte, das Beispiel, gegen Rassismus. Aber wenn es drauf ankommt, haben sie, auf Deutsch gesagt, den Schwanz eingezogen."
    Die NPD nutzt den Protest gegen Haase für die üblichen Verfolgungstheorien. Der ach so engagierte Schiedsrichter kann sich im Wahlkampf als Opfer vermarkten:
    "Das einzige, was ich jetzt auch für mich als Bestätigung sehe, ist eben, dass diejenigen, die von Meinungsfreiheit und Toleranz sprechen, eben genau diese vermissen lassen, indem sie versuchen, mich da raus zu drängen. Und da kann ich natürlich als Beispiel, gerade ich persönlich, kann das besonders gut in Unterhaltungen mit einfließen lassen und sehr überzeugend dann auch darstellen."
    Diplomatische Worte, doch Haase kann auch anders. Im Juli 2010 pfeift er in der Nähe von Düren ein Turnier von Rechtsextremen. Die Freizeitteams geben sich einschlägige Namen: NS Wuppertal, Nationaler Widerstand Leverkusen, SC Schafspelz oder Skinhead Front Dorstfeld.

    Im Internet verdeutlicht ein Video mit dramatischer Musik den Kick als Kameradschaftspflege. Darf Stephan Haase Begegnungen mit Spielern leiten, die den Staat ablehnen? Und darf er in der Kreisliga die Bühne des Breitensports betreten, die der Staat mit Millionen fördert? Dieter Dzewas hat eine klare Antwort: Natürlich dürfe er das nicht. Der sozialdemokratische Bürgermeister von Lüdenscheid plädiert für eine politische Auseinandersetzung mit Haase und seinen Wählern:
    "Weil sie repräsentieren ja in manchem, ich glaube, nicht in dieser Stadt Mehrheitsmeinungen, aber doch Meinungen vieler Menschen. Bedrohungsängste sind ja da. Man macht es sich auch zu leicht, wenn man in einer Debatte wie bei Sarrazin lediglich auf Blockieren setzt, sondern man muss sich schon inhaltlich mit den Thesen auseinandersetzen und dann allerdings auch deutlich machen, was eigentlich in der letzten Endkonsequenz dahinter steckt."
    Dass Haase durch seine Vergangenheit und sein Umfeld Einfluss auf das Toleranzverständnis des Sports nimmt, will er nicht zugeben. In der NPD stärkt er durch das Ehrenamt seine Position - in der kleinen Gemeinde Rönsahl scheint das niemanden zu interessieren. Das Spiel endet 2:2 - und alle sind zufrieden.

    Ronny Blaschke: "Angriff von Rechtsaußen - Wie Neonazis den Fußball missbrauchen" (Verlag Die Werkstatt, 224 Seiten, 16,90 Euro, ISBN: 3895337714)