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Unruhen an der Ole Miss

Vor 50 Jahren spielten die Footballer der Universität von Mississippi eine bis dahin einmalige Rekordsaison. Dennoch wird der Herbst 1962 an der Ole Miss bis heute nicht vorrangig mit dem sportlichen Erfolg in Verbindung gebracht, sondern mit den schweren Rassenunruhen, die zeitgleich dort stattfanden und deren Folgen bis heute nachwirken.

Von Heiko Oldörp | 06.01.2013
    Dan Rather ist 81 Jahre alt und gilt als einer der bekanntesten Nachrichtensprecher der USA. Im Herbst 1962 indes ist er noch ein junger Fernsehjournalist, der aus Oxford berichtet, von den Entwicklungen auf dem Campus der Universität von Mississippi. Hier, so Rather, sei es wie im Auge eines Hurrikans. Du weißt, du bist inmitten von Problemen, aber die Stille und Gelassenheit um dich herum versuchen, dich zu täuschen.

    "”Being on the Ole Miss campus is something like being in the eye of an hurricane. You know you are in the midst of trouble but there is a quietness and serenity here that tries to mislead you.”"

    Es ist der 25. September 1962, als an der Universität von Mississippi Geschichte geschrieben werden soll. So jedenfalls will es der US Supreme Court. Das oberste Gericht der USA hat angeordnet, dass die Ole Miss mit James Meredith erstmals einen Farbigen aufnehmen soll. Der Aufschrei ist groß – vor allem bei Gouverneur Ross Barnett. Er betont dass in keiner Schule Mississippis farbige und weiße Kinder integriert werden, so lange er im Amt sei.

    "”No school will be integrated in Mississippi while I am your governor.”"

    Mississippi ist 1962 das Armenhaus Amerikas, hat das geringste Einkommen und investiert am wenigsten pro Kopf in die Bildung. Vor allem ist Mississippi aber eines – die Hochburg der Rassentrennung. Knapp 100 Jahre zuvor hatte der Bundesstaat den 13. Zusatzartikel der US-Verfassung abgelehnt, der das Ende der Sklaverei in ganz Amerika beinhaltet. Für einen Afroamerikaner ist das Leben 1962 hier fast genauso hart und hoffnungslos wie drei Generationen zuvor.

    James Meredith ist das jedoch egal. Er pocht auf sein Recht zur freien Universitätswahl und will als Bürger von Mississippi am College seines Bundesstaates studieren.

    "”So komisch es sich anhören mag, ich fühlte mich persönlich dafür verantwortlich, das Unfaire richtig zu stellen. Und ich wusste, wenn ich dabei keine Furcht zeige, wird das genau denen einen Schrecken einjagen, die denken, ich sollte Angst haben.”"

    Meredith wird unter Polizeischutz auf den Campus gebracht, um sich einzuschreiben. Doch auf ihn wartet bereits Ross Barnett, der Meredith die Aufnahme verweigert. Seine Begründung:

    ""Es gibt in der Geschichte keinen Fall, der aufzeigt, dass die weiße Rasse soziale Integrierung überlebt hat. Wir werden nicht vom Kelch des Völkermordes trinken.”"

    Präsident John F. Kennedy verhandelt über Wochen mit Barnett. Dieser ist zwar nicht sonderlich beliebt gewesen in seinem Bundesstaat, durch die Abfuhr an Meredith jedoch plötzlich populär. Bei den Football-Spielen von Ole Miss wird er von den Zuschauern frenetisch bejubelt und gibt ebenso patriotische wie rassenfeindliche Halbzeitreden.

    Mit erhobener rechter Faust brüllt Barnett ins Mikrofon, dass er das "alte Mississippi” liebe – mit anderen Worten, das der konsequenten Rassentrennung.

    "” I love the old Mississippi.”"

    Curtis Wilkie ist Spieler der Football-Mannschaft und zuckt noch heute zusammen, wenn er an Barnetts Auftritt denkt. Die Szene, so Wilkie, hätte auch von Hitlers Reichsparteitag in Nürnberg stammen können.

    "”I later described that seeing it, I thought it was straight out of Nuremberg and Hitler.”"

    Präsident Kennedy hat genug, beordert am 30. September die Bundespolizei nach Oxford und lässt Meredith unter Geleitschutz zur Uni bringen. Für Studenten und Bewohner eine Provokation – 97 Jahre nach Ende des Civil War entflammt der Bürgerkrieg neu. In der Nacht beginnen auf dem Campus die Ausschreitungen. Backsteine und Molotow-Cocktails werden geworfen, Autos angezündet, die Südstaatenflagge gehisst. Die schwer bewaffnete Polizei setzt Tränengas ein. "Der Campus”, so Dan Rather, "gleicht einem Kriegsgebiet.”

    ""Ich bin in Texas aufgewachsen, wir hatten ebenfalls Rassentrennung und ich dachte, ich wüsste, was da auf mich zukommt. Aber ich hatte keine Ahnung.”"

    Die US-Armee marschiert auf. Hunderte Menschen werden verletzt, zwei sterben. Einige sprechen sich dafür aus, die Universität zu schließen. Ein Grund, der dagegenspricht, ist das starke Football-Team. Mississippi mag in vielen Bereichen Schlusslicht in Amerika sein, aber auf dem Football-Feld können die "Rebels”, so ihr Spitzname, mit den Besten des Landes mithalten.

    Die Mannschaft wird zum Strohhalm des gesamten Bundesstaates. Amerika hat das hässliche Gesicht von Mississippi gesehen, die Footballer von Ole Miss wollen der Nation nun die andere Seite zeigen. Sie gewinnen alle zehn Spiele – ein Rekord bis heute und für Dan Rather immer noch nahezu unbegreiflich.

    "”Wie Trainer und Spielern dies gelungen, während ihre Uni zeitgleich komplett auseinandergenommen wurde, ist eine der beachtenswertesten Leistungen im College-Sport.”"

    Dem Team zu Ehren gibt es seit 1998 auf dem Unigelände den "Walk of Champions”, auch James Meredith hat mittlerweile sein Denkmal. Und dennoch ist längst nicht alles friedlich. Die Krawalle haben dem Image von Mississippi in den vergangenen 50 Jahren geschadet, sagt Ex-Spieler Woddy Dabbs. Und er wisse nicht, ob man darüber schon hinweg sei.

    "”To have the riot take place has hurt the image of Mississippi for the last 50 years. And I don't know that we are over it yet.”"

    Seine Zweifel sind erst kürzlich wieder bestätigt worden. Nachdem in der Nacht des 6. November Präsident Barack Obama für eine zweite Amtsperiode wiedergewählt wurde, demonstrierten an der Ole Miss rund 200 Studenten - mit rassistischen Sprechchören.