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"Uns fehlen die jungen Leute, die Technik studieren"

Deutschland hat sie auch in diesem Jahr wieder gesucht: die Ingenieure. Über 20.000 offene Stellen konnten aktuell nicht besetzt werden. Besonders gefahndet wird nach Maschinenbauern und Elektroingenieuren. Eike Lehmann, Präsident des Verbands Deutscher Ingenieure, warnt davor, dass sich der Mangel noch verschärfen könnte, wenn nicht mehr junge Leute für eine technische Ausbildung begeistert werden können.

Moderation: Kate Maleike |
    Kate Maleike: Deutschland hat sie auch in diesem Jahr wieder gesucht: die Ingenieure. Über 20.000 offene Stellen konnten aktuell nicht besetzt werden. Besonders gefahndet wird nach Maschinenbauern und Elektroingenieuren. Keine neue Erkenntnis allerdings, denn diese Problemzone auf dem heimischen Arbeitsmarkt gibt es schon länger. Was kann da helfen, welche Strategien müssen eingeschlagen werden, damit dieser Fachkräftemangel sich nicht noch vergrößert? Professor Eike Lehmann, der Präsident des VDI, des Verbands Deutscher Ingenieure, ist nun am Telefon. Wie ernst würden Sie denn die Lage beurteilen?

    Eike Lehmann: Im Moment ist sie besorgniserregend. Noch nicht ernst, aber für die nächste Zukunft sehen wir eben große Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die nicht so leicht, wie sie ja wissen, behoben werden können. Denn Bildung und Ausbildung ist ja eine langfristige Angelegenheit, und uns fehlen die jungen Leute, die Technik studieren.

    Maleike: Stimmt es denn, dass wir derzeit 30.000 arbeitslose Ingenieure haben?

    Lehmann: Ja, das ist im Prinzip richtig. Wir haben aber vor anderthalb Jahren 60.000 Arbeitslose gehabt, sodass wir praktisch eine Halbierung der Arbeitslosenziffer haben. Und wenn Sie bedenken, das wir rund eine Million Ingenieure in Deutschland haben, dann sind das Quoten, die liegen bei zwei oder drei Prozent Arbeitslosigkeit.

    Maleike: Wenn man das aber direkt vergleicht, könnte man sagen: Wenn wir 30.000 arbeitslose Ingenieure haben, und 20.000 offene Stellen, dann könnte man doch die offenen Stellen füllen?

    Lehmann: Ja, wenn das so einfach wäre! Man muss sich darüber klar sein, dass eine Reihe von Kollegen eben mit ihrer Qualifikation nicht mehr so am Markt gefragt werden, und andersrum neue Qualifikationen insbesondere in den neuen Techniken, also Lasertechnik zum Beispiel oder Nanotechnik, nicht in dem Maße vorhanden sind. Also es ist ein strukturelles Problem, das sich eben letztlich auch aus der Tatsache erklärt, dass die Technik sich doch in schnellem Wandel befindet.

    Maleike: Ich habe das ja vorhin schon angedeutet: Das Problem ist nicht neu, und es gab auch gerade in den letzten Jahren nicht wenig Gegeninitiativen. Also wenn ich da zum Beispiel mal nenne so was wie Karrieretage, Schnupperstudien und auch das Wissenschaftsjahr der Technik. Das hatten wir ja alles schon. Hat das alles nicht gegriffen?

    Lehmann: Doch das hat schon sagen wir mal die Tendenz etwas abgeflacht. Wir haben leider eine generelle Abnahme an Interesse an der Technik, in der technischen Ausbildung seit etwa 20 Jahren. Und das haben wir natürlich versucht, vom VDI aus zu beeinflussen. Wir machen sehr große Projekte mit großen Firmen zusammen, werben wir. Wir haben Karriereplanungen und wir können also, ich sage mal, für jeden jungen Menschen das richtige finden. Also wir haben auch für Menschen, die sich vielleicht selbst gar nicht so sehr einschätzen würden, dass sie geeignete Ingenieure wären, durchaus Plätze in der Welt der Technik, weil eben die Vielzahl der Aufgaben auch die unterschiedlichsten Talente fordern.

    Maleike: Erfreulich ist aber, dass die Zahl der Frauen bei den Ingenieuren zunimmt.

    Lehmann: Das ist eine sehr erfreuliche Angelegenheit, und das genießen wir auch ein wenig. Wir haben ja als VDI eine spezielle Einrichtung geschaffen, "Frauen und Technik", und fördern das in großem Maße. Ich kann als Hochschullehrer Ihnen sagen: Die jungen Damen sind im Schnitt eifriger, besser und zielstrebiger manchmal als die jungen Herren.

    Maleike: Lassen sie uns noch mal auf den Mangel zurückkommen: Wie können wir das in den Griff bekommen? Fachkräfte aus dem Ausland anwerben?

    Lehmann: Partiell ist das möglich, aber das löst das Problem nicht. Denn erstens sind in den Ländern, aus denen geeignete Kandidaten komme, ähnliche Probleme vorhanden. Zum Teil kommen ja junge Leute aus den Ländern des europäischen Ostens, die auch sehr gut sich hier einarbeiten können. Aber generell müssen wir dieses Problem natürlich im Lande lösen. Das heißt, wir müssen mehr junge Leute aus den geisteswissenschaftlichen Bereichen in die ingenieurnaturwissenschaftlichen Bereiche bringen.

    Maleike: Und die Unternehmen im Land müsste man dazu auffordern, vielleicht auch mal ältere Ingenieure einzustellen?

    Lehmann: Ja, das ist eine interessante Bemerkung. Mittlerweile haben viele Unternehmer begriffen, dass ein älterer, also das heißt einer der über 55 ist, interessanter wird aus verschiedenen Gründen. Erstens ist er meistens sehr erfahren. Er ist sich bewusst, dass das möglicherweise das letzte Mal ist, dass er in eine Position kommt. Er ist zuverlässig, auch zeitlich zuverlässig. Und es macht sich immer mehr die Erkenntnis breit, dass es vielleicht besser ist, für fünf oder zehn Jahre einen guten Ingenieur zu bekommen, als überhaupt keinen zu bekommen.

    Maleike: Herr Lehmann, Ihr Wunsch für 2007, für die Ingenieure in Deutschland?

    Lehmann: Mein Wunsch ist, dass die Bundesregierung auf dem Weg weitermacht und Reformen insbesondere auch im Bildungswesen in massiver Weise unterstützt und die Attraktion dieser Berufe, die ich genannt habe, also insbesondere der Ingenieurberufe, aber auch der Naturwissenschaften, wirklich substanziell unterstützt. Das heißt, die Fachhochschulen vernünftig ausstattet mit Mitteln, die Universitäten entlastet von ungeeigneten Ausbildungsaufgaben, sage ich mal etwas vorsichtig. Also insgesamt eine Bildungsinitiative, denn das ist die Investition, die uns in den nächsten Jahren die Chance gibt, im Wettbewerb der Völker unseren Lebensstandard zu erhalten.