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"Unser Land schwimmt doch auf Erdöl!"

Leonid aus der Gegend von Tver ist sauer. Er steht mit seinem rostroten Lada in einer langen Warteschlange am Straßenrand. Gut 200 Meter weiter sind die Zapfsäulen einer Tankstelle zu sehen. Sein Tank ist fast leer. Ob es dort Sprit geben wird?

Von Robert Baag |
    Eher nicht, macht ein Gerücht die Runde.

    "Der Preis da vorne... Sehen Sie? 23 Rubel 50 Kopeken für den Liter! In Moskau kostet der jetzt schon über 24 Rubel...", schimpft Leonid und ist sich sicher: "Die haben einfach das Preisschild noch nicht aktualisiert. Wenn sie den neuen Preis aushängen, dann wird's auf einmal auch wieder Benzin geben!"

    Hinter ihm lehnt sich ein anderer Autofahrer aus dem Seitenfenster. Seine Stimme trieft vor Hohn:

    "Unser Land schwimmt doch auf Erdöl. Doch egal was mit dem Benzinpreis weltweit passiert, ob er nach oben geht oder nach unten - bei uns wird das Benzin immer nur teurer!"

    Viel Unmut hat sich seit dem vergangenen Wochenende aufgestaut, als im südlichen Ural-Gebiet, bald darauf auch in der Gegend um St.Petersburg sowie anderen Regionen Russlands Benzin auf einmal Mangelware ist wie zu Sowjetzeiten, manchmal nur 20- oder 10-literweise verkauft wird. Die Autofahrer bilden auch in Russland eine durchaus Ernst zu nehmende große gesellschaftliche Gruppe. Sie vor den Mai-Feiertagen, den Sommerferien, vor allem aber vor den Parlamentswahlen im Dezember derart zu verärgern, ist riskant. Ob die Regierung unter dem schon längst wahlkämpfenden Ministerpräsidenten Putin dies damals im Februar bedacht hat? Das fragt sich nur der Wirtschaftswissenschaftler Michail Chazin:

    "Die Tankstellen hat das staatliche Anti-Monopol-Komitee damals überfallartig heimgesucht. Ordnete, wie wir wissen, an: 'Benzin darf nicht allzu teuer sein! Wenn jemand von euch zu teuer verkauft, kriegt ihr was auf die Mütze.' Ergebnis dieser Aktion: Völlig unerwartet gibt es auf einmal überhaupt kein Benzin mehr!"

    Chazins Fach-Kollege Sergej Aleksaschenko, Direktor des Moskauer Instituts für Makroökonomie, fügt im Sender "Echo Moskwy" hinzu:

    "In Europa klettert der Benzinpreis immer weiter nach oben. Und: Eigentlich haben wir hier doch eine Marktwirtschaft, oder? Wenn hier bei uns das Benzin, sagen wir mal umgerechnet 80 Cent pro Liter kostet, und in Europa inzwischen das Doppelte ... Da muss man als Unternehmer doch ein kompletter Idiot sein, den Sprit hierzulande zu verkaufen, anstatt ihn nach Europa zu exportieren. Das lohnt sich selbst, wenn noch 40 Cent Eisenbahn-Transportkosten pro Liter abzuziehen wären ...""

    Gleichzeitig finde eine Art Marktbereinigung statt, hat seinerseits Michail Chazin beobachtet:

    "Die Raffinerien gehören den großen Mineralöl-Produzenten. Und da kommt jetzt so ein kleines Netz, dem vielleicht zehn Zapfsäulen gehören. Die bitten die Raffinerien: 'Verkauft uns Benzin!'- Die aber sagen jetzt: 'Wisst ihr: Heute nicht! Wir haben keins. Für unsere Tankstellen schon. Für eure nicht.' - So etwas überleben die Kleinen vielleicht eine Zeit lang. Dann sind sie gezwungen, ihre Tankstellen an die Großen zu verkaufen. Und dann, oh Wunder, gibt's auf einmal auch wieder Benzin."

    Wahlkampf-affin hat die Partei "Gerechtes Russland" sofort ein publikumswirksames Thema für sich gewittert. Diese in der Duma vertretene, gemeinhin jedoch als sogenannte "linke System-Opposition" bespöttelte Partei, schlägt prompt vor, per Regierungs-Ukas keine weiteren Preissteigerungen mehr zuzulassen, die dem russischen Autofahrer noch mehr Geld abzwacken würden.

    Verfechter des Prinzips von Angebot und Nachfrage haben es schwer in Russland - in Wahlkampfzeiten allemal. Und so verkündete noch gestern Abend der stellvertretende Energieminister Sergej Kudrjashov rasch, wenn auch ein wenig verwirrend per Radio und Fernsehen der Öffentlichkeit:

    "Wir haben jetzt mit den Benzin-Produzenten vereinbart, dass sie ausschließlich unseren Binnenmarkt beliefern werden. Also: kein Benzin für die Ausfuhr. Im Februar, März klappte der Verkauf über unsere Börse nicht so recht und deshalb haben die Firmen einen Teil ihres Ausstoßes exportiert."

    Doch schon gibt es auch hier die berühmte Ausnahme von der Regel, melden russische Medien: LUKOIL, eine der größten staatskontrollierten Firmen Russlands darf sein Benzin auch weiter nach Europa verkaufen, da es sich um die Spezialmarke "EURO 2" handle, die auf dem russischen Markt schließlich gar nicht zugelassen sei.