Eine Hinterhofwerkstatt im Istanbuler Stadtteil Güngören, weitab vom Bosporus und dem Betrieb der Kulturhauptstadt. In einem schlecht beleuchteten Raum sitzen ein Dutzend Frauen über ihre Nähmaschinen gebeugt. Die Werkstatt ist in einem Wohngebäude in einer der vielen Gassen von Güngören untergebracht, in denen es hunderte solcher Kleinbetriebe gibt.
In solchen Werkstätten wird der größte Teil der türkischen Textilproduktion erledigt. Oft beschäftigen die Betriebe nicht mehr als ein oder zwei Dutzend Arbeiter – oder vielmehr Arbeiterinnen, denn etwa 60 Prozent der Beschäftigten in der Textilbranche sind Frauen und Mädchen. Zeynep Uyar war 16 Jahre alt, als sie in einer Garnfabrik anfing:
"Zwölf Stunden am Tag ist die Arbeitszeit, sechs Tage die Woche, von Montag bis Samstag, da bleibt nicht viel übrig vom Leben. Und wenn die Regelarbeitszeit herum ist am Samstagabend, dann fangen die Überstunden an. Oft schon haben wir bis Sonntagabend 24 Stunden durchgearbeitet, ohne zu schlafen oder auszuruhen, vier Sonntage im Monat. Das kann man sich nicht aussuchen, sonst wird man hinausgeworfen."
Gesetzliche Arbeitszeiten sind das natürlich nicht - die liegen in der Türkei bei 45 Stunden die Woche, gelten aber freilich nur für gesetzlich angestellte Arbeiter. Das ist in der Türkei nur jeder zweite. Fast die Hälfte aller türkischen Beschäftigten, laut Statistikamt 44 Prozent, sind illegal angestellt, unversichert und rechtlos. Für den türkischen Mindestlohn von monatlich 300 Euro schuften Millionen Menschen wie die Sklaven, sagt Zeynep:
"Das ist überall so, in allen Betrieben, die schwarz beschäftigen. Es gibt keinen Schwarzarbeiter, der nach acht Stunden am Tag Schluss macht, so was hab ich noch nie gesehen. Da arbeiten alle mindestens zwölf Stunden am Tag."
Wo bleiben da die Gewerkschaften? Glaubt man dem türkischen Arbeitsministerium, sind 75 Prozent aller Arbeiter im Lande organisiert – doch das Ministerium erfasst mit seiner Statistik nur die legal beschäftigten Arbeiter in legal angemeldeten Betrieben, also eine Minderheit. In Wahrheit beträgt der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Türkei keine zehn Prozent, und in der Textilbranche ist er mit kaum zwei Prozent besonders niedrig. Kein Wunder, sagt Kazim Dogan vom Vorstand der Textilgewerkschaft DISK-Tekstil:
"Bis zum Militärputsch von 1980 waren 85 Prozent aller Arbeiter im Textilsektor organisiert. Heute sind es zwei Prozent. Was ist der Grund? Die Verfassung und die Gesetzgebung, die nach 1980 von den Putschisten erlassen wurden und bis heute fortgelten, haben die gewerkschaftliche Organisation absichtlich erschwert. Die Militärs wollten eine gewerkschaftsfreie Gesellschaft schaffen, und das ist ihnen gelungen."
Um Gewerkschaftsmitglied zu werden, reicht es in der Türkei nicht, eine Beitrittserklärung auszufüllen.
"Um einer Gewerkschaft beizutreten, muss ein Arbeiter zum Notar gehen. Das ist schon wegen seiner Arbeitszeiten eigentlich unmöglich, denn die Notare haben nur von neun Uhr bis halb fünf geöffnet. Dort muss er einen Sozialversicherungsnachweis vorlegen – aber den hat er in der Regel ja gar nicht."
Denn nur legal beschäftigte Arbeiter sind sozialversichert; das Heer der unversichterten und rechtlosen Schwarzarbeiter kann sich also gar nicht gewerkschaftlich organisieren. Doch damit nicht genug, sagt Kazim Dogan:
"Bevor die Gewerkschaft in einem Betrieb aktiv werden darf, müssen ihr erst mindestens 51 Prozent der Beschäftigten angehören. Dann müssen wir als Gewerkschaft eine Genehmigung vom Arbeitsministerium einholen, mit dem Unternehmen verhandeln zu dürfen. Dagegen kann der Arbeitgeber aber Widerspruch einlegen, woraufhin die Sache vor Gericht geht und dort versandet. Es gibt da einen Betrieb, dessen Arbeiter haben wir 1994 organisiert, da dauert das Gerichtsverfahren noch immer an."
An der elenden Lage der Arbeiter in der Türkei werde sich nichts ändern, bis das Land endlich eine demokratische Verfassung habe, meint der Gewerkschaftsführer Dogan. Große Hoffnungen setzt er in den jüngsten Anlauf zu einer Verfassungsreform freilich nicht:
"Die Regierungschefs sind gekommen und gegangen seit 1982: Özal, Ecevit, Demirel, Yilmaz, jetzt haben wir Erdogan. Und jeder von ihnen hat das Maul aufgerissen: Wir werden diese Verfassung ändern! Aber nichts hat sich geändert. Und unser Volk wird weiter geknechtet von dieser Verfassung."
In solchen Werkstätten wird der größte Teil der türkischen Textilproduktion erledigt. Oft beschäftigen die Betriebe nicht mehr als ein oder zwei Dutzend Arbeiter – oder vielmehr Arbeiterinnen, denn etwa 60 Prozent der Beschäftigten in der Textilbranche sind Frauen und Mädchen. Zeynep Uyar war 16 Jahre alt, als sie in einer Garnfabrik anfing:
"Zwölf Stunden am Tag ist die Arbeitszeit, sechs Tage die Woche, von Montag bis Samstag, da bleibt nicht viel übrig vom Leben. Und wenn die Regelarbeitszeit herum ist am Samstagabend, dann fangen die Überstunden an. Oft schon haben wir bis Sonntagabend 24 Stunden durchgearbeitet, ohne zu schlafen oder auszuruhen, vier Sonntage im Monat. Das kann man sich nicht aussuchen, sonst wird man hinausgeworfen."
Gesetzliche Arbeitszeiten sind das natürlich nicht - die liegen in der Türkei bei 45 Stunden die Woche, gelten aber freilich nur für gesetzlich angestellte Arbeiter. Das ist in der Türkei nur jeder zweite. Fast die Hälfte aller türkischen Beschäftigten, laut Statistikamt 44 Prozent, sind illegal angestellt, unversichert und rechtlos. Für den türkischen Mindestlohn von monatlich 300 Euro schuften Millionen Menschen wie die Sklaven, sagt Zeynep:
"Das ist überall so, in allen Betrieben, die schwarz beschäftigen. Es gibt keinen Schwarzarbeiter, der nach acht Stunden am Tag Schluss macht, so was hab ich noch nie gesehen. Da arbeiten alle mindestens zwölf Stunden am Tag."
Wo bleiben da die Gewerkschaften? Glaubt man dem türkischen Arbeitsministerium, sind 75 Prozent aller Arbeiter im Lande organisiert – doch das Ministerium erfasst mit seiner Statistik nur die legal beschäftigten Arbeiter in legal angemeldeten Betrieben, also eine Minderheit. In Wahrheit beträgt der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Türkei keine zehn Prozent, und in der Textilbranche ist er mit kaum zwei Prozent besonders niedrig. Kein Wunder, sagt Kazim Dogan vom Vorstand der Textilgewerkschaft DISK-Tekstil:
"Bis zum Militärputsch von 1980 waren 85 Prozent aller Arbeiter im Textilsektor organisiert. Heute sind es zwei Prozent. Was ist der Grund? Die Verfassung und die Gesetzgebung, die nach 1980 von den Putschisten erlassen wurden und bis heute fortgelten, haben die gewerkschaftliche Organisation absichtlich erschwert. Die Militärs wollten eine gewerkschaftsfreie Gesellschaft schaffen, und das ist ihnen gelungen."
Um Gewerkschaftsmitglied zu werden, reicht es in der Türkei nicht, eine Beitrittserklärung auszufüllen.
"Um einer Gewerkschaft beizutreten, muss ein Arbeiter zum Notar gehen. Das ist schon wegen seiner Arbeitszeiten eigentlich unmöglich, denn die Notare haben nur von neun Uhr bis halb fünf geöffnet. Dort muss er einen Sozialversicherungsnachweis vorlegen – aber den hat er in der Regel ja gar nicht."
Denn nur legal beschäftigte Arbeiter sind sozialversichert; das Heer der unversichterten und rechtlosen Schwarzarbeiter kann sich also gar nicht gewerkschaftlich organisieren. Doch damit nicht genug, sagt Kazim Dogan:
"Bevor die Gewerkschaft in einem Betrieb aktiv werden darf, müssen ihr erst mindestens 51 Prozent der Beschäftigten angehören. Dann müssen wir als Gewerkschaft eine Genehmigung vom Arbeitsministerium einholen, mit dem Unternehmen verhandeln zu dürfen. Dagegen kann der Arbeitgeber aber Widerspruch einlegen, woraufhin die Sache vor Gericht geht und dort versandet. Es gibt da einen Betrieb, dessen Arbeiter haben wir 1994 organisiert, da dauert das Gerichtsverfahren noch immer an."
An der elenden Lage der Arbeiter in der Türkei werde sich nichts ändern, bis das Land endlich eine demokratische Verfassung habe, meint der Gewerkschaftsführer Dogan. Große Hoffnungen setzt er in den jüngsten Anlauf zu einer Verfassungsreform freilich nicht:
"Die Regierungschefs sind gekommen und gegangen seit 1982: Özal, Ecevit, Demirel, Yilmaz, jetzt haben wir Erdogan. Und jeder von ihnen hat das Maul aufgerissen: Wir werden diese Verfassung ändern! Aber nichts hat sich geändert. Und unser Volk wird weiter geknechtet von dieser Verfassung."