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"Unsere Sportler! Das sind doch unsere Größten und unsere Besten!"

Die ehemalige DDR errang zahlreiche Medaillen. Denn für deren Politkader stellte der Sport ein wichtiges Vehikel dar, sich in der Welt zu positionieren. Dementsprechend fiel auch die staatliche Sportföderung aus. Dessen Dimensionen stellte die Funktionäre bei der Fusion der beiden Nationalen Olympischen Komitees sowie der Sportverbände vor große Probleme.

Von Jens Weinreich | 07.08.2010
    Worum es ging, ließ sich so kurz und knapp formulieren wie es einst der olympische Ordensträger Erich Honecker schaffte ...

    "”Die Deutsche Demokratische Republik wurde zu einer Weltnation auf dem Gebiete des Sportes.”"

    ... oder etwas feierlicher, wie die damalige "Weltsportlerin des Jahres 1986” Heike Drechsler 1987 in Leipzig:

    "”Wir junge Sozialisten, Teilnehmer des 8. Turn- und Sportfestes und der 11. Kinder- und Jugend-Spartakiade der Deutschen Demokratischen Republik, wir geloben: Mit unseren sportlichen Übungen, mit unserem Kampf um höchste Ziele in den Wettkämpfen uns würdig zu zeigen des Vertrauens der Partei der Arbeiterklasse, stets mit allen Kräften einzutreten für die großen Ideale des Sozialismus, stets uns des Namens Sportler würdig zu erweisen, zum Ruhm und zur Ehre unseres sozialistischen Vaterlandes, der Deutschen Demokratischen Republik.”"

    Es ging um Ideologie - nachrangig um Sport. Es ging um Propaganda. Das Sportprojekt ließ sich die DDR einiges kosten. In den letzten Jahren ihrer Existenz flossen jährlich rund 1,2 Milliarden Ostmark direkt in den Sporthaushalt. Hinzu kamen die Aufwendungen verschiedener Ministerien, der großen Sportverbände Dynamo (Stasi und Polizei) und der Armeesportvereinigung - und die Sportetats etlicher Kombinate, der jeweiligen SED-Bezirkssekretäre für Sport.

    Mit diesen Mitteln wurden unter anderem 28 Sportklubs unterhalten, 25 Kinder- und Jugendsportschulen - und auch ein gigantisches Dopingsystem. In der Spitze war das System gnadenlos auf Auslese programmiert - man muss schon viele Nebenwirkungen ausblenden, um dieses System effizient zu nennen. Es war zu teuer für die DDR und eigentlich nicht zu finanzieren. Das wussten die Planer im so genannten Staatssekretariat für Körperkultur und Sport, das mit den ersten freien Wahlen aufgelöst wurde, schon seit Mitte der 80er-Jahre.

    Einige Zahlen zur viel zitierten Kader-Pyramide: in den achtziger Jahren trainierten rund 67.000 jugendliche Sportler in den DDR-Trainingszentren. Etwa 2.500 wurden jährlich an die Sportschulen delegiert, wo stets zwischen 10.000 bis 12.000 Athleten trainierten. Von denen sollte jeder Zehnte internationales Niveau erreichen - und 700 Sportler Olympianiveau.

    Der Investitionsbedarf für Sportstätten war enorm und ging in die Milliarden. Während alle Mittel für den Leistungssport zusammengekramt wurden, waren die staatlichen Planer schon lange nicht mehr in der Lage, die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung nach Sportausrüstungen zu befriedigen - nicht einmal nach Turnschuhen und Fahrrädern. An das dringend benötigte Westgeld kam man auf teils abenteuerlichen Wegen.

    Hans-Georg Aschenbach, Skisprung-Olympiasieger, Armee-Offizier und Republik-Flüchtling, formuliert es so:

    "Im Leistungssport war alles da. Damit hat man halt versucht, auch zu kleistern, zuzudecken, Farbe drüber und zu sagen: Wir sind erfolgreich! Ihr habt zwar ein Problem in der Versorgung mit Material, und es gibt das nicht zu essen oder es gibt das nicht zum anziehen, aber seht doch: Unsere Sportler! Das sind doch unsere Größten und unsere Besten!"

    Die Größten und die Besten. 35.000 Ostmark und 6.000 Westmark in Forumschecks gab es für einen Olympiasieg 1988. Normalsterbliche hätten für diese Summe Ostgeld fünf Jahre arbeiten müssen - für das Westgeld bei einem Schwarzmarktkurs von eins zu zehn weitere acht Jahre.

    DDR-Sportler gewannen insgesamt 203 Olympische Goldmedaillen - 768 Athleten durften sich Weltmeister und 747 Europameister nennen. 1988 belegte man in der Olympischen Nationenwertung bei Sommer- und Winterspielen Rang zwei hinter der Sowjetunion, jeweils vor den USA. 1989 stellte man 71 Mal Welt- und Europameister.

    Und im August 1990, kurz vor der deutschen Einheit, triumphierte die DDR-Leichtathletikauswahl um den Jungstar Katrin Krabbe bei der Europameisterschaft in Split mit zwölf Gold-, zwölf Silber- und zehn Bronzemedaillen. Zum Vergleich die Zahlen des westdeutschen DLV: drei Gold, je zweimal Silber und Bronze.

    Schaut man sich die Ergebnislisten von damals näher an, wird klar, das keiner der DDR-Medaillengewinner nicht die Dopingschule durchlaufen hatte. Andererseits ist offen, wer von den westdeutschen Athleten sauber war. Die DLV-Funktionäre um Präsident Helmut Meyer hatten damals schon alles eingeleitet, um sich die Dienste der DDR-Dopingtrainer zu sichern. Und die Bild-Zeitung hatte bereits ein halbes Jahr zuvor, zum Jahreswechsel 89/90 halluziniert, ein vereinigtes deutsches Olympiateam werde 140 Medaillen holen. Mindestens.

    Aus der Armee der rund 32.000 hauptamtlichen Mitarbeiter im DDR-Sport konnten nur wenige übernommen werden. Oft genug traf es die falschen Trainer, Betreuer und Funktionäre - Doping-Täter, Stasi-Mitarbeiter. Daran laboriert der deutsche Sport teilweise bis heute.