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Unsichtbare Gefahr

Mit wachsendem Wohlstand gelangen immer mehr synthetischen Substanzen ins Wasser, die auf Lebensfunktionen wie die Fortpflanzung einwirken. Der Umgang mit dieser Problematik wurde bei der Weltwasserwoche in Stockholm diskutiert.

Von Agnes Bührig | 13.09.2010
    Sie verbergen sich in Pestiziden, Lösungsmitteln und Arzneimitteln: Schadstoffe, die giftig wirken oder in das Hormonsystem eingreifen. Eine schleichende Bedrohung für Mensch und Tier, die Forscher in zahlreichen Studien an Fischen, Seeadlern und sogar Eisbären nachgewiesen haben. Von einer Zeitbombe spricht Malin Falkenmark. In Forscherkreisen ist die schwedische Hydrologin für ihre klaren Worte bekannt.

    "Diese Substanzen sind ein ernsthaftes Problem für uns und zukünftige Generationen, weil sie unsere Fortpflanzung beeinflussen. Wenn wir dieser Bedrohung begegnen wollen, müssen wir nach der Quelle der Verschmutzung suchen. Ist ein Stoff erst einmal im Wasser gelöst, wird er sich in der Welt verbreiten, denn das Wasser ist überall."

    Ein großer Teil der Östrogene und synthetischen Hormone gelangt über menschliche Exkremente ins Wasser. Dort sind sie lange aktiv, weil biologisch schwer abbaubar, sagt die Biologin Patricia Holm von der Uni Basel.

    "Die geringsten Konzentrationen können sich im Körper einschalten und können auch, da das Hormonsystem recht konservativ ist, in verwandten Arten Effekte auslösen. Hormone, die von uns Menschen ins Wasser abgegeben werden, wirken auf Fische, Amphibien und andere im Wasser lebende Wirbeltiere ganz ähnlich wie in unserem eigenen Hormonsystem."

    Mit ihrer Forschung stehen die Wissenschaftler noch ganz am Anfang. So hat man erst in jüngster Zeit entdeckt, dass Mikroorganismen in Kläranlagen Stoffwechselprodukte wieder in ihre aktive Form zurückbauen können. Auch die Mischung der Substanzen in Flüssen und Ozeanen kann den Effekt verstärken. Hoch umstritten ist die Wirkung dieser körperfremden Stoffe auf den menschlichen Organismus. Die Beobachtungen der Epidemiologen sind gleichwohl alarmierend:

    "Wir können feststellen, dass die Zahl der Spermien in vielen Ländern in den letzten 50 Jahren stark abgenommen hat, sich zum Teil sogar halbiert hat. Wir wissen auf der Seite des weiblichen Geschlechtssystems, dass wir eine ansteigende Brustkrebsrate haben. Das ist das, was wir beim Menschen beobachten. Auf der anderen Seite wissen wir aus Tierexperimenten, dass zum Beispiel Östrogen bei Ratten eine erhöhte Tumoranfälligkeit vergleichbar mit dem Brustkrebs auslösen."

    Patricia Holm fordert eine gesellschaftliche Debatte, an der sich nicht nur Biologen und Chemiker, sondern auch Juristen und Politiker beteiligen sollten. Auch die Verbraucher müssten sich fragen, welche Substanzen nötig, sinnvoll oder einfach nur bequem seien. Noch immer werden Arzneimittel bedenkenlos durch die Toilette gespült. Rund 30 000 medizinische Präparate sind in der EU gelistet - und täglich werden es mehr. Zwar lassen sich die meisten Schadstoffe durch die moderne Analytik aufspüren und mit teuren Verfahren in den Kläranlagen oxidieren oder gar beseitigen. Das Wasser aus dem Hahn dürfe man bedenkenlos trinken, versichert Claudia Castell-Exner vom DVGW, einem Lobbyverband der deutschen Wasserwirtschaft. Doch die Versorger könnten nicht allein die gewaltigen Folgekosten durch synthetische Schadstoffe schultern.

    "Die Effekte, die Konzentrationen: Das ist wissenschaftlich belegbar. Und da muss man sagen, ist die Pestizid-Industrie mittlerweile stärker aufgeschlossen, gemeinsam mit Landwirten, mit Wasserversorgern, mit den Zulassungsbehörden bei Stoffen, die auffällig werden, Lösungen zu finden. Das kann beispielsweise eine Beratung der Landwirte sein, das kann eine Mittel-Substitution sein, bis hin zum Verbot durch die Zulassungsbehörde. Und da würden wir uns wünschen, dass die Pharmaindustrie als Beispiel für eine Produktgruppe, die uns momentan in der aquatischen Umwelt Probleme macht, dass die ebenfalls auch aufgeschlossen sind und sich an einen runden Tisch setzen und gemeinsam Lösungen finden."