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Unsichtbare Kräfte

Physik. - Vor 20 Jahren schlug die Entdeckung von Alex Müller und Georg Bednorz in der Fachwelt ein wie ein Blitz. Sie entdeckten, dass bestimmte Materialien auch bei relativ hohen Temperaturen elektrischen Strom ohne Widerstand leiten können. Nur ein Jahr später bekamen sie dafür den Nobelpreis. Diese Woche tagen in Dresden rund 900 Wissenschaftler aus mehr als 50 Ländern, die immer noch nach Erklärungen für dieses Phänomen suchen.

Von Michael Fuhs |
    Der Strom aus der Steckdose hat einen langen Weg hinter sich. Das letzte Stück unter der Erde fließt er oft in Kupferkabeln. Darin gehen bis zu vier Prozent der elektrischen Energie verloren. Denn die Elektronen, die den Strom ausmachen, müssen einen Spießrutenlauf absolvieren. Sie fließen zwischen den Atomen hindurch, aus denen der Leiter aufgebaut ist. Wenn sie dagegen stoßen, werden sie abgebremst.

    "Normalerweise wenn man Strom durch einen Leiter schickt, dann heizt der den Leiter auf. Das kennt man von der Glühbirne. Die wird dann warm und sendet Licht aus. Und Supraleitung passiert eben ohne das Warmwerden des Leiters, ohne Widerstand."

    Deshalb wird in den USA ernsthaft diskutiert, das Stromnetz mit Supraleitern zu modernisieren, erklärt Jörg Fink vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden und Organisator der Konferenz. Die ersten Leiter ohne Widerstand wurden schon 1911 gefunden. Doch sie mussten auf sage und schreibe minus 269 Grad gekühlt werden, was bei Stromleitungen kaum machbar ist. Bei diesen tiefen Temperaturen werden die Elektronen durch kleine Schwingungen der Atome des Materials gezwungen, sich zu Paaren zusammen zu tun. Zu zweit können sie sich dann widerstandslos durch den Leiter bewegen. Bis vor 20 Jahren konnte sich niemand vorstellen, dass das es auch bei höheren Temperaturen so einen Klebstoff für Elektronen geben könnte. Fink:

    "Man hat überhaupt nicht damit gerechnet, weil man immer gesagt hat, man muss Metalle nehmen, um hohe Übergangstemperaturen in den supraleitenden Zustand zu bekommen. Da gab es Regeln, dass man Oxide vermeiden sollte. Und der Alex Müller und der Georg Bednorz haben dann versucht, Supraleitung in den Oxiden zu finden und dann haben sie gemerkt, dass es dort Übergangstemperaturen gibt, die wesentlich höher liegen. Das sind Keramiken und die enthalten in allen Fällen Kupferoxide."

    Also Verbindungen mit Sauerstoff. Solche Materialien sind bis zu minus 140 Grad supraleitend. Für Physiker ist das eine hohe Temperatur. Denn die können sie durch Kühlen mit flüssigem Stickstoff erreichen, der relativ billig ist. Er sieht aus wie Wasser, ist minus 196 Grad kalt und kann in Thermoskannen gelagert werden. Konsequenterweise heißen die neuen Materialien "Hochtemperatur-Supraleiter". 20 Jahre ihrer Entdeckung ist immer noch nicht klar, was bei ihnen der Klebstoff für die Elektronen ist. Bernhard Keimer, Direktor am Max-Planck Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, will das mit Neutronen heraus bekommen. Das sind winzige Bausteine der Atomkerne, die genauso unsichtbar sind wie die Elektronen und die Kräfte im Supraleiter. Er richtet sie auf seine Proben. Keimer:

    "Neutronen kann man auch als winzige Stabmagnete ansehen. Die erfahren, wenn sie mit den Elektronen in dem Material in Berührung kommen magnetische Kräfte und dadurch wird der Neutronenstrahl abgelenkt. Und wenn man diesen abgelenkten Neutronenstrahl analysiert, kann man Rückschlüsse ziehen auf die Art der magnetischen Ordnung, die in dem Material vorliegt."

    Es zeigt sich, dass sich in den Hochtemperatur-Supraleitern Atome und Elektronen magnetisch orientieren und dass diese Orientierung fluktuiert. Da das immer bei den Temperaturen auftritt, wenn das Material supraleitend ist, vermutet Bernhard Keimer, dass das der gesuchte Klebstoff ist. Mit seiner Vermutung ist er nicht allein. Umstritten ist vor allem, ob zusätzlich der Mechanismus eine Rolle spielt, der für die Tieftemperatur- Supraleiter verantwortlich ist. Keimer:

    "Langfristig ist es so, dass wenn man versteht, wie die Supraleitung funktioniert, dann kann man auch gezielter nach neuen Materialien suchen, die noch besser supraleiten und dieses Phänomen bei noch höheren Temperaturen zeigen. Und unser Fernziel ist natürlich, irgendwann einmal einen Raumtemperatur Supraleiter zu finden."

    Ganz unrealistisch ist das nicht. Es ist zumindest kein physikalisches Prinzip bekannt, nach dem Raumtemperatursupraleitung unmöglich wäre.