Donnerstag, 28. März 2024

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"Unsichtbare Räume"
Figuren isolieren, verdichten, emporheben

Die Francis Bacon-Ausstellung "Unsichtbare Räume" in der Staatsgalerie Stuttgart spürt diesen architektonischen Strukturen im Schaffen des Künstlers nach. Neben den Käfigen, die in seinen Gemälden immer wiederkehren, beleuchtet die Ausstellung auch das Kruzifix als architektonische Körperstruktur.

Von Christian Gampert | 10.10.2016
    Gleich zur Begrüßung sehen wir diesen nackten Mann, der sich rasiert. Dreimal, ein Triptychon. Er hängt auf einem Hocker irgendwo im leeren Raum, vor ihm ein verrutschter Spiegel, und aus vielen Kommentaren wissen wir, dass es sich um George Dyer handelt, über viele Jahre Bacons Lover, ein Kleinkrimineller und Alkoholiker aus der Unterschicht (der sich später umbringen wird, am Vernissage-Abend der bis dahin größten Bacon-Ausstellung in Paris).
    Der Mann wird von einer seltsamen Kabine eingerahmt – oder ist es ein Käfig? Ein angedeutetes Dachzimmer? Ein geometrisches System? Abgesehen davon, dass fast alle Räume bei Francis Bacon Folterkammern sind, ist dieses Triptychon aus dem Jahr 1970 besonders leer, und es firmiert unter der unverfänglichen, kunsthistorischen Bezeichnung "Drei Studien des männlichen Rückens".
    Studien der Hölle
    Der Rückenakt als Vorwand für drei Studien der Hölle, der ist schon stark. Aber dieser nackte, sich sexuell anbietende, in sich verdrehte, fallende, wahrscheinlich betrunkene Mann ist das eine. Das andere ist dieser Nicht-Raum, dieses Vakuum, in dem er sich befindet. Er besteht aus einem nackten Boden, einer kahlen Wand, dem Gestänge um den Mann herum. Auf dem mittleren Bild scheint der Stuhl sich aufzulösen, er zerfließt quasi wie bei dem Surrealisten Yves Tanguy.
    "Unsichtbare Räume" heißt die Ausstellung; und weil man bei Bacon so sehr auf die Figuren schaut, auf diese leidenden, verzerrten, in sich gekrümmten Leiber, will die Kuratorin Ina Conzen unseren Blick auf Bacons Raum-Strategien lenken, darauf, wie die Einsamkeit dieser Personen überhaupt hergestellt wird.
    "Bacon hat eher lapidar gesagt, was die Funktion dieser Käfigmotive ist: es geht darum, die Figur zu isolieren, sie zu verdichten, sie emporzuheben. Dieses Motiv hat aber auch eine inhaltliche Dimension. Die sich gerade auch an dieser Verschmelzung zwischen Tierischem und Menschlichem festmachen lässt. Wir haben einen Raum in der Ausstellung mit wunderbaren Bildern, die vier schreiende Päpste zeigen. Und gegenüber sieht man schreiende Tiere. Und beide sind gefangen in diesen einengenden Gehäusen."
    Die Menschen schreien bei Bacon, vor Lust und vor Leid; sie sind gepeinigt von ihrer rein physischen Existenz, von der Sexualität, von ihrer Kreatürlichkeit - sogar der Papst schreit bei ihm, eingeklemmt in seinen Thron. Obwohl auch das natürlich kunsthistorisch abgefedert ist, denn es bezieht sich auf das starre Velazquez-Portrait von Papst Innozenz X. Diesen sich windenden, zähnebleckenden Päpsten nun Bacons Pavian-Porträts aus dem Zoo gegenüberzustellen, das ist schön frech - aber es weist schon auf die Spätphase voraus, in der Bacons Figuren immer mehr zu Ausstellungsstücken werden, inszeniert auf Podien oder wie im Schaufenster oder eben wie im Zoo.
    Multiperspektivität dieser Sado-Maso-Keller
    In den 50iger Jahren sind Bacons Bilder noch düster, schwarz, bläulich schimmernd, die Figuren treten kaum aus dem Hintergrund heraus. Seltsame Relings, Raster, Fenstergitter umgeben sie, manchmal werden schon da durchsichtige Kuben um sie herumgebaut, die sie vom Rest der Welt isolieren. Während Giacometti die Figur zeichnerisch umkreist, sich annähert, sperrt Bacon die Personen immer mehr weg. Als scharfer Gegner der abstrakten Malerei beschäftigt er sich fast zwanghaft mit dem Körper – und doch: die zunehmende Flächigkeit der Räume, die Multiperspektivität dieser Sado-Maso-Keller, die ab den 1970iger Jahren immer schriller werdenden kontrastierenden Farben verraten, dass er sich bei den Zeitgenossen auskennt.
    Chaotisches Nacht- und Liebesleben
    Die Körper werden in der Spätphase dann plastischer - und das Drehmoment, der Verzerrungs-Effekt bei den sexuell ineinander verkeilten Figuren nimmt zu; Bacon hat die Zeitlupenstudien von Eadweard Muybridge offenbar gekannt. Die Isolation dieser verwischten Menschen-Skulpturen aber wird durch relativ abstrakte, ineinander verschränkte Räume hergestellt. Und durch Käfige, Betten, Kabinen, Sockel, Gitterstrukturen, Spiegel.
    Die Ausstellung führt die Entwicklung dieses Raumkonzepts anhand von großartigen Leihgaben vor und setzt immer wieder Fotografien von Bacons Atelier dagegen, das mit Malutensilien völlig zugemüllt war. Francis Bacon, der ein chaotisches Nacht- und Liebesleben führte, hat sein Atelier offenbar nie aufgeräumt. Dafür malte er am Ende leere, klinisch saubere, böse Entfremdungs-Räume. Vielleicht bedingt das eine ja das andere.