Vor drei Wochen wurde in Nürnberg die Oper Prospero von Friedrich Christian Delius und Luca Lombardi uraufgeführt – eine mit anachronistischen Mitteln hantierende Literatur-Oper, der an Entschärfung und Begütigung des historischen Sujets gelegen war. Und nun, ausgehend vom selben Shakespeare-Stück, der Kontrast, der deutlicher nicht hätte ausfallen können.
Auch Helmut Oehrings neue Arbeit für das Musiktheater beordert den auf eine einsame Insel vertriebenen Mailänder Herzog Prospero und seine Tochter Miranda herbei. Der um seine Freiheit gebrachte Insulaner Caliban und der vom Propheten Jesaja auf den Weg durch die Zeiten gebrachte Windgeist Ariel nehmen gleichfalls Schlüsselpositionen ein in dieser neuen Sturm-Musik, die in vielfältiger Weise anknüpft an die Ende des 17. Jahrhunderts entstandene und ausführlich vorgeladene von Henry Purcell.
Helmut Oehrings komplexes Werk erscheint durchstrukturiert in sieben Tages-Abschnitten von jeweils rund 20 Minuten Dauer. Dem Montag kommt die Funktion des Prologs, dem Sonntag die des Epilogs zu; der Donnerstag richtet sich gegen "die Lügenwelt des Kulturbetriebsdrecksacks", der Freitag Schuld, Reue und Mitleid. Im Gewebe der Texte und Noten-Schichten sind Prospero & Co. nicht einfach dingfest zu machen: ihre Partien changieren mit denen aus einer ganz anderen Geschichte. Die 1914 zur Antarktis-Überquerung aufgebrochene Forschungsfahrt von Sir Ernest Shackleton und deren katastrophales Scheitern werden durch Positionsbestimmungen und Tagebuchaufzeichnungen des Expeditionsleiters in Erinnerung gerufen.
Die Wind- und Wettermusik des großen Symphonie-Orchesters bedient sich live-elektronischer Beimengungen, lässt Cellisten und Kontrabassisten für härteres Pizzicato zu Telefonkarten greifen und fordert vom E-Gitarristen "extremen Stuff-Dreck-Sound". Zwar gibt es im eigentlichen Sinn kaum "Handlung", die Solisten freilich von dramatischen Ereignissen singen und sagen. Dabei trägt sie zusätzlich ein Leuchtschriftband mit lyrischer Sprache, die durch Mohnaugenbrombeeren gewürzt ist und inselduftend fortwebt.
Die Partitur fordert die Koexistenz des "klassischen" Orchesters mit seiner höheren Stimmung und des Barock-Ensembles im Theater, das ca. einen halben Ton tiefer intoniert. Die Sänger müssen sich, je nach Lage der Dinge, in beide Klangsphären einfügen, die zunächst als schroffer und eisiger Kontrast erscheinen, sich dann aber auch überlagern, inspirieren, verschlingen und verbinden. Der tastende Klang zielt auf ein Theater der Ohren und stellt eine Positionsbestimmung des neuen Musiktheaters dar: 69° südl. Länge, 51°10’ westl. Breite.
Auf der von Christian Schmidt entworfenen Bühne tut sich, inspiriert von "Prospero’s Books", eine Bibliothekswelt auf: ein klassizistischer Rundbau beherbergt in mehreren Etagen wertvolles Schrifttum, die Choristen und Solisten. Für die Polar-Expeditionsszenen öffnet sich der Riesen-Zylinder und gibt den Blick auf einen Rundhorizont frei, in dem die "Endurance" ins Packeis gerät und pinguingroße Forscher aufs Glatteis gehen. Bei jedem neuen Erscheinen des Eisinsel-Bildes ist der Zerstörungsgrad des Dreimasters fortgeschritten, die Lage der Besatzung desolater. Aus den Eisschollen heben sich drei weißgewandete Gestalten: es sind die in Oehrings Werken allenthalben zum Einsatz gelangende Gebärden-Solisten, deren akustische Bemühung den Arielgeist ebenso plausibel machen wie die Seelenzustände vor dem Tod durch Erfrieren.
Die Basler Musiker um die beiden Dirigenten, den "Barock"-Spezialisten Giorgio Paronuzzi und den fürs Ganze zuständigen Jürg Henneberger leisten bemerkenswertes. Indem Oehring seiner neuen Partitur eine massive Traditionsschiene einbaute, diese aber immer wieder verläßt und mit radikal modernen musikalischen Mitteln bricht, entfaltet sich eine komplexe "Expeditionsmusik" mit hohen theatralen Qualitäten. Sie taucht die insgesamt nur mäßig glückliche Amtszeit des Direktors Michael Schindhelm in freundliches Abendrot.
Auch Helmut Oehrings neue Arbeit für das Musiktheater beordert den auf eine einsame Insel vertriebenen Mailänder Herzog Prospero und seine Tochter Miranda herbei. Der um seine Freiheit gebrachte Insulaner Caliban und der vom Propheten Jesaja auf den Weg durch die Zeiten gebrachte Windgeist Ariel nehmen gleichfalls Schlüsselpositionen ein in dieser neuen Sturm-Musik, die in vielfältiger Weise anknüpft an die Ende des 17. Jahrhunderts entstandene und ausführlich vorgeladene von Henry Purcell.
Helmut Oehrings komplexes Werk erscheint durchstrukturiert in sieben Tages-Abschnitten von jeweils rund 20 Minuten Dauer. Dem Montag kommt die Funktion des Prologs, dem Sonntag die des Epilogs zu; der Donnerstag richtet sich gegen "die Lügenwelt des Kulturbetriebsdrecksacks", der Freitag Schuld, Reue und Mitleid. Im Gewebe der Texte und Noten-Schichten sind Prospero & Co. nicht einfach dingfest zu machen: ihre Partien changieren mit denen aus einer ganz anderen Geschichte. Die 1914 zur Antarktis-Überquerung aufgebrochene Forschungsfahrt von Sir Ernest Shackleton und deren katastrophales Scheitern werden durch Positionsbestimmungen und Tagebuchaufzeichnungen des Expeditionsleiters in Erinnerung gerufen.
Die Wind- und Wettermusik des großen Symphonie-Orchesters bedient sich live-elektronischer Beimengungen, lässt Cellisten und Kontrabassisten für härteres Pizzicato zu Telefonkarten greifen und fordert vom E-Gitarristen "extremen Stuff-Dreck-Sound". Zwar gibt es im eigentlichen Sinn kaum "Handlung", die Solisten freilich von dramatischen Ereignissen singen und sagen. Dabei trägt sie zusätzlich ein Leuchtschriftband mit lyrischer Sprache, die durch Mohnaugenbrombeeren gewürzt ist und inselduftend fortwebt.
Die Partitur fordert die Koexistenz des "klassischen" Orchesters mit seiner höheren Stimmung und des Barock-Ensembles im Theater, das ca. einen halben Ton tiefer intoniert. Die Sänger müssen sich, je nach Lage der Dinge, in beide Klangsphären einfügen, die zunächst als schroffer und eisiger Kontrast erscheinen, sich dann aber auch überlagern, inspirieren, verschlingen und verbinden. Der tastende Klang zielt auf ein Theater der Ohren und stellt eine Positionsbestimmung des neuen Musiktheaters dar: 69° südl. Länge, 51°10’ westl. Breite.
Auf der von Christian Schmidt entworfenen Bühne tut sich, inspiriert von "Prospero’s Books", eine Bibliothekswelt auf: ein klassizistischer Rundbau beherbergt in mehreren Etagen wertvolles Schrifttum, die Choristen und Solisten. Für die Polar-Expeditionsszenen öffnet sich der Riesen-Zylinder und gibt den Blick auf einen Rundhorizont frei, in dem die "Endurance" ins Packeis gerät und pinguingroße Forscher aufs Glatteis gehen. Bei jedem neuen Erscheinen des Eisinsel-Bildes ist der Zerstörungsgrad des Dreimasters fortgeschritten, die Lage der Besatzung desolater. Aus den Eisschollen heben sich drei weißgewandete Gestalten: es sind die in Oehrings Werken allenthalben zum Einsatz gelangende Gebärden-Solisten, deren akustische Bemühung den Arielgeist ebenso plausibel machen wie die Seelenzustände vor dem Tod durch Erfrieren.
Die Basler Musiker um die beiden Dirigenten, den "Barock"-Spezialisten Giorgio Paronuzzi und den fürs Ganze zuständigen Jürg Henneberger leisten bemerkenswertes. Indem Oehring seiner neuen Partitur eine massive Traditionsschiene einbaute, diese aber immer wieder verläßt und mit radikal modernen musikalischen Mitteln bricht, entfaltet sich eine komplexe "Expeditionsmusik" mit hohen theatralen Qualitäten. Sie taucht die insgesamt nur mäßig glückliche Amtszeit des Direktors Michael Schindhelm in freundliches Abendrot.