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Unstimmigkeit vor dem EU- Gipfel

Die geplante Reform des Euro-Stabilitätspakts wird heute beim zweitägigen Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungs-Chefs in Brüssel zur Zerreißprobe für die Europäische Union, denn Bundeskanzlerin Merkel hat im Vorfeld des Treffens gedroht, dass sie einem neuen Stabilitätspakt nur zustimmen werde, wenn die übrigen EU- Staaten den von Deutschland und Frankreich gewünschten "Krisenmechanismus" akzeptierten.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Konkret fordern Deutschland und Frankreich, dass Länder, die wiederholt gegen die wirtschafts- und finanz- politischen Prinzipien der EU verstoßen, im EU- Ministerrat entmachtet werden sollen durch den Entzug des Stimmrechts. Des Weiteren sollen künftig bei Fällen, wie der Finanzkrise in Griechenland, nicht allein die europäischen Steuerzahler zur Kasse gebeten werden, sondern auch Privatgläubiger zahlen, also große Banken, die Kredite an das verschuldete Land gegeben haben. Dazu müsse der EU- Grundlagen-Vertrag geändert werden.

    Der Streit um die Reform der Währungsunion am Beispiel der Niederlande.

    "Angela Merkel hat recht. Wie heißt es bei uns in den Niederlanden so schön: Wer sich den Hintern verbrannt hat, muss auf den Blasen sitzen!"

    "Ich finde diese Maßnahmen zu hart, natürlich wollen wir alle nicht, dass sich die Griechenlandkrise wiederholt, aber so weit sollten wir nicht gehen."
    "Ich finde schon! Wer beschlossen hat, der EU-Staatengemeinschaft anzugehören, muss sich auch an die Regeln halten!"

    Niederländer über die rigorosen Maßnahmen, die Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy einführen wollen, um notorische EU-Defizitsünder zu strafen. So soll EU-Staaten, die den sogenannten Euro-Stabilitätspakt nicht einhalten und sich weiterhin tief verschulden, zeitweise das Stimmrecht entzogen werden. Außerdem, so wollen es Merkel und Sarkozy, sollen diesen Ländern auch Subventionen gestrichen werden. Zur Einführung dieser drastischen Sanktionen müsste zwar der Lissabon-Vertrag geändert werden, der gerade erst vor knapp einem Jahr in Kraft getreten ist, nach jahrelangem Ringen. Doch das, so Merkel und Sarkozy nach ihrem Treffen letzte Woche im französischen Deauville, sei nötig, um die Währungsunion krisenfest zu machen.

    Vielen niederländischen Wählern sprechen sie damit aus dem Herzen: Die Finanzhilfen an Griechenland hatten dort besonders viel Empörung ausgelöst. In den Medien wurde ausführlichst darauf eingegangen:
    Sowohl eine Mehrheit der Wähler als auch der Abgeordneten war strikt dagegen, für die Griechen auch nur einen Cent an niederländischen Steuergeldern auszugeben. Das lag zum einen daran, dass die Niederlande jahrelang EU-Nettozahler waren, das heißt, sie haben mehr an Brüssel gezahlt, als sie bekommen haben.

    Zum anderen ist kaum einem anderen EU-Land der Abschied von der alten Währung so schwer gefallen wie den Niederlanden: Jeder zweite Niederländer wünscht sich immer noch den guten alten Gulden zurück, das ergab eine Untersuchung im vergangenen Jahr. 97 Prozent rechnen bei großen Beträgen immer noch um. Und 89 Prozent geben dem Euro die Schuld an den gestiegenen Preisen. Angesichts der Wirtschaftskrise auch noch für die Griechen zu zahlen, kam für viele Niederländer deshalb nicht infrage.

    Es kam anders. Auch die Niederlande zahlen für die Griechen. Doch so weit soll es nie mehr kommen, und deshalb können viele niederländische Wähler die Pläne von Merkel und Sarkozy nur begrüßen.

    Die Begeisterung ihrer neuen Regierung unter dem rechtsliberalen Premierminister Mark Rutte hingegen hält sich in Grenzen. Im Gegensatz zu den weitaus meisten anderen EU-Ländern hat der deutsch-französische Alleingang in Den Haag zwar keine scharfe Kritik ausgelöst, dort gibt man sich bedeckt. Aber der niederländische Finanzminister Kees de Jager dürfte zumindest unangenehm überrascht gewesen sein.

    Denn das deutsch-französische Treffen in der Normandie hat dazu geführt, dass Kanzlerin Merkel nach gab und nicht mehr auf automatische Sanktionen für Euro-Defizitsünder besteht. Frankreich hatte diese Maßnahme vehement abgelehnt. Der niederländische Finanzminister hingegen hatte sich zusammen mit den skandinavischen Ländern letzte Woche in Luxemburg beim Treffen der EU-Finanzminister genau dafür starkgemacht – und dabei glaubte sich der Niederländer auch der Unterstützung von Berlin sicher:

    Aber, so musste de Jager konstatieren, Deutschland habe sich dann doch nicht als Verbündeter und echter Hardliner erwiesen - und auf die Seite der Franzosen geschlagen.

    Die Folge ist ein Kompromiss: Automatische Sanktionen, so das Vorhaben, können verhindert werden, wenn sich eine Zweidrittelmehrheit der EU-Länder dagegen ausspricht.

    De Jager fand sich trotz aller Enttäuschung schnell mit der neuen Situation ab. Noch am selben Abend wandte er sich von Luxemburg aus an die Wähler zuhause und sprach trotz allem von einem großen Schritt vorwärts:

    "Die Absprache, die wir dann doch noch treffen konnten, ist klar und stark. Ich jedenfalls kann gut damit leben."

    Mit diesem Kompromiss allerdings, so ließ der niederländische Premierminister Rutte inzwischen vermelden, sei für die Niederländer die Untergrenze erreicht; noch mehr Wasser wollen sie nicht in den Wein schütten. Und was die Pläne von Merkel und Sarkozy betreffe, als drastischen Ausgleich Euro-Defizitsündern das Stimmrecht zu entziehen und den Lissabon-Vertrag zu ändern: Darüber, so Den Haag in typisch kalvinistischer Nüchternheit, müsse man heute und morgen in Brüssel erst einmal gut nachdenken.