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Unter Bäumen

Arminius und Rotkäppchen, Siegfried, Hänsel und Gretel, der Lindwurm – egal ob Heldensagen, Märchen oder Lieder: Ohne den Wald geht es nicht bei den Deutschen. "Die Deutschen und der Wald" heißt eine neue Ausstellung - passenderweise "Unter den Linden" im Deutschen Historischen Museum Berlin.

Frank Hessenland |
    "Die Deutschen sind ein Waldvolk, sie kommen aus dem Wald und finden ihren eigentlichen Raum, auch den eigentlichen Kampfraum aus dem sie dann als Sieger hervorgehen .. im Wald."

    so fasst Kuratorin Ursula Breymayer einen Hauptstrang des deutschen Nationalmythos zusammen, wie er im Zuge der Nationalstaatsbildung im 18. und 19.Jahrhundert immer wieder in Anlehnung an den römischen Historiker Tacitus nacherzählt wurde. Die germanische, also ur-deutsche Landschaft besteht aus finsteren, schaurigen Wäldern, die Deutschen halten Gottesdienst unter Bäumen ab und schlagen im Unterschied zu den Galliern die römischen Besatzer in einer Schlacht im (Teutoburger) Wald. Diese Zuschreibung des Tacitus wird nicht nur militärisch in den Befreiungskriegen gegen Napoleon wichtig, wo viele Freikorps gegen die Franzosen aus den Wäldern heraus agieren. Auch im kulturellen Selbstverständnis reproduziert sich diese Identitätserzählung, sagt Kurator Bernd Ulrich

    "Denken Sie an Klopstocks Oden, seine Hermannschlacht.. Caspar David Friedrich, Blechen, andere, die dann vor allen Dingen im 19.Jahrhundert den Wald malen und interpretieren und schließlich als letztes die nationale ... Verdichtung des Waldes .. als deutscher Freiheitsraum, als politischer Raum, ...Das hält sich dann über alle historischen Zeithorizonte hinweg, über alle sozialen und politischen Verwerfungen hinweg.. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein."

    Von diesem Standpunkt aus gesehen wird plötzlich plausibel, dass wohl nur die deutsche Landschaftsmalerei Gott in der Natur auszumachen sucht und warum über hundert Jahre deutsche Nationaldenkmäler vom Kyffhäuser, über das Vielvölkerschlachtdenkmal, die Hermannstatue bis zu den hunderten Bismarcktürmen alle ausgerechnet in den tiefen Wald gestellt wurden: weil, wie noch Friedrich Ebert sagte, dass das "Herz der Deutschen im Wald schlägt". Der Nationalmythos macht klar, warum die Deutschen im Unterschied zu den Spaniern, Italienern, Engländern, teilweise Franzosen ihren Wald trotz industrieller Nachfrage erhalten und wieder aufgeforstet haben, statt die Kahlschläge der Erosion freizugeben; warum die Deutschen im Unterschied zu anderen Kulturnationen, die Norweger vielleicht ausgenommen Sonntags Waldspaziergänge unternehmen und über alle Parteigrenzen hinweg gegen das Waldsterben kämpften.

    Die Ausstellung "Unter Bäumen – die Deutschen und der Wald" im Deutschen Historischen Museum präsentiert zu diesem Zusammenhang eine Fülle von Kunst und Alltagsgegenständen. Mit Caspar David Friedrich, Carl Blechen, über Leistikov, Böcklin, Max Ernst, Hofer, Dix bis Anselm Kiefer sind Bilder der größten deutschen Maler ausgestellt. Daneben gibt es Holzlexika, Kuckucksuhren, Hirschgeweihe, Jagdfotos von Hermann Göring, die Flinte von Honecker, Baumstämme mit Schnitzereien von KZ-Häftlingen, andere mit Projektilen von Kampfflugzeugkanonen, dann wieder Märchenbilder, Heimatfilme und Plakate gegen das Waldsterben. Die Aufgabe, diese einander in Sachen des guten Geschmacks, der ethischen Grundlagen, der Weltanschauung und Bedeutung widersprechenden Gegenstände in Einklang zu bringen, hat das DHM nicht schlecht, aber auch nicht begeisternd gelöst. Herausgekommen ist ein reich bestückter Publikumspfad, der sich dann nicht entscheiden kann, ob er sein Thema chronologisch oder thematisch strukturiert und es dann mal so und mal so versucht.

    Was vor allem fehlt, ist der Mut des Museums mal eine erkennbare, klare Geschichte zu seinem Sujet "Die Deutschen und der Wald" zu erzählen. Denkbar: Wie die Idee des Schutz- und Freiheitsraumes der deutschen Familie zum Vernichtungsraum für als nicht-deutsch erkannte Menschen wurde: Die meisten KZs standen ja auch in den Wäldern. Alternativ hätte man das Material auch als Archiv begreifen können und dem Besucher die Möglichkeit geben sich seinen Weg durch den Wald der Musealen selbst zu suchen. In der jetzt realisierten Form – vorgeschriebener Weg ohne provokative Aussage- lässt sie einen jedoch ein wenig unentschieden zurück.