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Unter dem Mäntelchen neuer Hörerfahrungen

Hinterhäusers Vorliebe für Nonos Raumklangmusiktheater brachte "Der fünfte Kontinent" von Luigi Nonos auf die Bühne der Salzburger Festspiele. Sehr viel überzeugender war aber Salvatore Sciarrinos "Macbeth".

Von Jörn Florian Fuchs | 06.08.2011
    Mit Luigi Nonos Raumklangmusiktheater "Prometeo" hat Markus Hinterhäuser im Jahr 1993 für Furore gesorgt, damals war er noch verantwortlich für die Neue Musik an der Salzach. 2011 ist Hinterhäuser einen Sommer lang Intendant der Festspiele und schenkt sich und dem Publikum eine Art Rückschau auf jene Werke, die ihm besonders wichtig waren und sind.

    Besonders der "Prometeo" hat es ihm angetan, in der Kollegienkirche durfte man nun nochmals eintauchen in Nonos verästelte, hochästhetisierte Klangwelt. Umgeben von auf diversen Podien und dem Balkon positionierten, formidablen Musikern des Ensemble Modern Orchestra unter Ingo Metzmacher und Matilda Hofman, der Schola Heidelberg, einstudiert von Walter Nußbaum, fünf brillanten Sängern, zwei Sprechern und der von André Richard überwachten Elektronik des Freiburger SWR Experimentalstudios, erlebte man eine exemplarische Aufführung. Nono geht es um das Aufmerksamwerden für 'reine' Klänge, die einen Gegenpol zum uns ständig umgebenden Akustikmüll bieten. In der Tat sorgen viele schwebende Sopran-Kantilenen oder komplex mäandernde, aufgesplitterte Tonfolgen für frischen Wind im Gehörgang. Allerdings trägt Nonos musikalisches Material beileibe nicht über die reale Aufführungszeit von knapp zweieinhalb Stunden.

    Das ist das Eine, das Andere ist die hinter oder in der Musik steckende Bedeutungshuberei. Denn Nono geht es um nichts weniger denn die großen existentiellen Fragen. Deklamatorisch wird das Schicksal des Menschen im Allgemeinen und Speziellen beschworen, wobei der Komponist und sein Librettist Massimo Cacciari gern auf Hölderlin, Nietzsche, Euripides, Sophokles oder Äschylos zurückgreifen. Eine deutliche Prise Spätmarxismus kommt auch noch hinzu. Das alles ist sehr verkopft und war zur Uraufführung des Prometeo im Jahr 1985 vielleicht noch halbwegs auf der Höhe des damaligen Zeitgeist-Diskurses, heute wirkt es nur noch verzopft.

    Man wird den Eindruck nicht los, dass Nonos 'Tragödie des Hörens' mit seiner kunstreligiösen Botschaft auf eine bedingungslose Jüngerschaft setzt – unter dem Mäntelchen neuer Hörerfahrungen wird letztlich vor allem viel geraunt. Die musikalischen Analysen einiger Nono-Exegeten lassen das Werk noch weiter ins Sektiererische abgleiten, da stehen dann gern mal leere Quinten fürs menschliche Schicksal ...

    Auch Salvatore Sciarrinos Musiktheater "Macbeth" ist nicht frei von bedeutungsschwangerem Textmaterial. Doch die 'drei namenlosen Akte' sind auf sämtlichen Ebenen wunderbar fein auskomponiert. Sciarrino verdichtet die Vorlage auf ein Minimum, in höchster Konzentration und äußerst komprimiert durchlebt man den Verfall des machtgierigen Titelhelden nebst seiner blutrünstigen Gattin. Wie von Sciarrino gewohnt, gibt es brillante orchestrale Miniaturen, abgehackt-verhetzten Gesang und nur wenige lautere Stellen. Wenn das Klangforum Wien unter dem exzellenten Dirigenten Evan Christ aber mal kurzzeitig aufdrehen darf, entsteht ein wahres Feuerwerk an schroffen, zugleich sehr farbigen Effekten. Mit Otto Katzameier und Anna Radziejewska ist das Hauptpaar exzellent besetzt, auch die übrigen Solisten und das von Colin Mason einstudierte Vokalensemble NOVA macht diese konzertant aufgeführte Oper zu einem absoluten Höhepunkt der Festspiele.