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Unter die Haut geschaut

Robotik. - Laufen können Roboter mittlerweile ganz gut. Thüringer Wissenschaftler wollen ihnen jetzt auch das Klettern beibringen. Inspirieren lassen sie sich dabei von Bewegungen im Tierreich: von Ratte, Faultier oder Chamäleon. Um den Kletterkünstlern unter die Haut zu schauen, wurde dazu jetzt in Jena eine weltweit einzigartige Röntgenvideoanlage in Betrieb genommen.

Von Hartmut Schade |
    Hinz und Kunz kommen leider zu spät, um Anna Amalia zu helfen. Doch Brandkatastrophen wie die der Weimarer Anna Amalia Bibliothek sollen künftig dank Hinz und Kunz verhindert werden, sagt der Ilmenauer Biomechatronik-Professor Hartmut Witte.

    " Bisschen getrieben ist das von den Brandereignissen in der Anna Amalia Bibliothek. So was wollen wir nicht noch mal erleben. "

    Seine Vision: Kletterroboter sollen künftig Kabelschächte inspizieren, um defekte rechtzeitig zu finden. Und deshalb klettern die beiden Ratten Hinz und Kunz sowie Chamäleon Leon ein daumendickes Seil hoch und runter. Beobachtet von vier Röntgen- und zwei Videokameras. 1000 Bilder pro Sekunde nimmt jede der Röntgenkameras auf. Diese nehmen den Kletterer von allen Seiten ins Visier.

    " Kletterbewegungen sind dreidimensionale Bewegungen, anders als Laufbewegungen. Das heißt, sie müssen aus den Raumrichtungen aufzeichnen, um diese Bewegungen nachvollziehen zu können, "

    erklärt der Jenaer Zoologe Professor Martin S. Fischer. Durch die Röntgenkameras können die Wissenschaftlern Ratte, Chamäleon, Faultier oder Hörnchen unter die Haut blicken, sehen wie sich ihre Knochen, Bänder, Sehnen bewegen. Angst vor einer tödlichen Strahlendosis müssen die Tiere nicht haben. Zum einen dauert die Aufnahme einer Kletteraktion nur drei, vier Sekunden. Zum zweiten ist die Strahlung relativ schwach.

    " Natürlich können wir auch auf reinen Knochenbetrieb, wenn man so will, stellen. So wie man das aus dem Röntgen kennt, dass man die Knochen sieht. Sehr harte Strahlung. Aber bei weicher Strahlung können wir tatsächlich auch zum Beispiel die Achillessehne eindeutig darstellen. Wir können die Verkürzung und Verlängerung der Achillessehne zeigen. Das in dieser hohen Frequenz zeigen, ist auch einmalig. "

    Und nötig. Die kleinen Kletterkünstler bewegen ihre Füße bis zu achtmal in der Sekunde. Die einzelnen Bewegungen beim Klettern dauern oft nur Millisekunden. Um das Zusammenspiel von Zehen, Fuß, Gelenkstellung bis hin zu den Bewegungen der Wirbelsäule herauszufinden, bleibt den Forschern nur der Blick unter die Haut, um hinter die Geheimnisse des perfekten Kletterns zukommen. Und das ist nicht bei Projektnamensgeber Ratte, sondern auch beim Chamäleon so.

    " Das Chamäleon hat an Händen und Füßen wirklich Greifzangen. Zwei Zehen auf der einen Seite, drei auf der anderen Seite. Damit kann das Chamäleon sogar rechtwinklig zum Ast sich stellen. Zweiter wichtiger Punkt: Sie können auf einem Ast schnell rennen. Drittens: Sie können als Krallenkletterer an Oberflächen hoch, die wenigstens ein Minimum an Verankerungsmöglichkeiten bieten. "

    Ob nun die komplexen Greifstrategien des Chamäleons das Rennen machen oder die vergleichsweise simple Klammerkonstruktion des Faultiers oder die Krallenkletterer wie Ratte und Hörnchen, ist offen und wird auch von den Einsatzbedingungen des Kletterroboters abhängen, sagt Hartmut Witte:

    " Wir haben zwei so genannte Applikationsszenarien in Gebäuden. Einmal ganz alte Gebäude, Schlösser, Burgen. Einmal ganz neue Gebäude, da haben wir den JenTower. "

    Egal ob eine der alten Saaleburgen oder das alte Uni-Gebäude, das zum Bürogebäude umgemodelt wurde - überall gibt es enge Schächte, in die kein Mensch mehr reinkommt. Und wenn in ihnen Elektrokabel vor sich hinrotten, dann kommt es mitunter zur Katastrophe wie bei der Anna-Amalia-Bibliothek. Doch die hofft Hartmut Witte künftig zu verhindern - danke der Kletterkünste von Hinz, Kunz und Leon.