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Unter Polizeischutz

Der 65. Jahrestag der Zerstörung Dresdens war Anlass für einen Neonazi-Aufmarsch iin der Stadt. Das Bündnis "Dresden Nazifrei" stellte sich gegen die Szene, die sich Sachsen Hauptstadt schön öfters als Treffpunkt ausgesucht hat.

Von Alexandra Gerlach, Annette Wilmes, Michael Watzke | 17.02.2011
    "Mein Name ist Juliane Schäfer, und ich bin hier aktiver Teil des Bündnisses, weil ich das wichtig finde, sich den Nazis in den Weg zu stellen, dass sich das nicht noch einmal wiederholt, was in der Deutschen Geschichte schon mal passiert ist mit den Nationalsozialisten.

    "Für uns ist es ganz klar eine politische und keine juristische Frage, wir wollen die Nazis blockieren, für uns ist das ein legitimes Mittel, die Blockade."

    Juliane Schäfer und Judith Förster - zwei Stimmen von vielen, die sich im Bündnis "Dresden Nazifrei" engagieren. Ein Bündnis aus einem breiten Spektrum aller Altersklassen, Berufsgruppen und zudem eher im linken Lager verankert. Wie schon vor der Neonazi-Demo in der vergangenen Woche hat die Gruppierung öffentlich dazu aufgerufen, sich auch an diesem Samstag dem Aufmarsch der Rechtsextremisten durch Dresden entgegen zu stellen. Dabei gehe es nicht um Randale, betont Juliane Schäfer:

    "Also, es gibt ja einen Aktionskonsens, der heißt, von uns wird keine Eskalation ausgehen. Und wie militant das Bündnis wird, das muss wahrscheinlich jeder und jede für sich selbst entscheiden, der worst case wird sein, wenn Nazis von der Polizei unbegleitet auf Blockadepunkte stoßen. Und wie reagiert man dann darauf, zieht man sich dann zurück, oder wenn man geschlagen wird, verteidigt man sich dann?"

    So weit kam es am vergangenen Wochenende glücklicherweise nicht, und auch nicht am 13. Februar 2010. Damals verhinderte das Aktionsbündnis einen Aufmarsch Rechtsextremer in der Elbestadt. Anlass für Demonstration und Gegendemonstration war der 65. Jahrestag der Zerstörung Dresdens durch britische und US-amerikanische Bomber in der Endphase des Zweiten Weltkrieges.

    Eine Stadt im Ausnahmezustand, Hubschrauber kreisen, Tausende Bereitschaftspolizisten aus ganz Deutschland haben strategisch wichtige Punkte auf beiden Seiten der Elbe bezogen, Straßensperren und Kontrollen sind eingerichtet. Rund 6.000 Neo-Nazis aus ganz Deutschland und zum Teil auch aus europäischen Nachbarstaaten sind angereist, um an einem angemeldeten sogenannten "Trauermarsch" durch Dresden teilzunehmen.

    Die Behörden haben den Rechtsextremisten die Neustädter Seite der Elbe zugewiesen. Auf der Altstädter Seite, dort wo Frauenkirche, Residenzschloss, Semperoper und andere wichtige Sehenswürdigkeiten der Stadt sind, soll sich fast zeitgleich eine Menschkette des bürgerlichen Spektrums bilden. Zum Schutz der Stadt vor neo-nazistischen Parolen sozusagen und vor Geschichtsverfälschung. Doch am Mittag droht die Situation auf der Neustädter Seite zu eskalieren.

    Die Rechtsextremisten können ihren Sammelpunkt am Neustädter Bahnhof nicht verlassen, da sich ihnen rund 10.000 Gegendemonstranten - darunter auch gewaltbereite Linksautonome - in den Weg stellen. Die Polizei unternimmt wenig, um die Blockaden aufzulösen. Sie stellt sich wie ein Puffer zwischen die verfeindeten Lager. Am Ende wird der behördlich genehmigte Neo-Nazi-Marsch durch die Polizei abgesagt:

    "Somit werden Sie aufgefordert, weiterhin auf dem Bahnhofsvorplatz zu verbleiben."

    Aus Sicherheitsgründen habe man sich dazu entschließen müssen, heißt es später. Die rechtsradikale Junge Landsmannschaft Ostpreußen, die den Marsch angemeldet hatte, wollte das nicht hinnehmen und klagte. Mit Erfolg. Das Verwaltungsgericht Dresden hat im Januar entschieden, dass die Polizei den Rechtsextremisten den genehmigten Umzug hätte ermöglichen müssen. Und so fand dann auch am vergangenen Sonntag der angemeldete rechte Aufmarsch sozusagen unter Polizeischutz statt.

    Die Einsatzkräfte schirmten die Demonstration mit einem Großaufgebot ab. Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge standen bereit. Die zahlreichen Gegendemonstranten wurden trotz Verbots geduldet, solange sie auf Abstand blieben. Das Konzept, beide Lager voneinander fernzuhalten, ging auf. Dresdens Polizeichef Dieter Hanitsch ist zufrieden und stellt klar, dass die Sicherheitskräfte an diesem Wochenende genauso verfahren werden:

    "Alle friedlichen Versammlungsteilnehmer können sich dabei auf das Recht der Versammlungsfreiheit berufen, und wir werden diesem Grundrecht zur Geltung verhelfen. Protest und Gegendemonstration sind legitim. Nicht legitim sind Blockaden, deren Ziel die Verhinderung nicht verbotener Versammlungen ist."

    Seit Jahren missbrauchen rechtsgerichtete Vereinigungen den Jahrestag der Dresdner Bombennacht für ihre Propaganda. Mit ihrem sogenannten Trauermarsch für die - Zitat - "Opfer des alliierten Bombenterrors" verleugnen sie die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg. Nach der Blockade ihres Aufzugs im vergangenen Jahr haben die Rechtsextremisten diesmal gleich zwei Versammlungen angemeldet, die zweite also am Samstag. Mehrere tausend Teilnehmer werden erwartet und über 10.000 Gegendemonstranten. Auch die Einwohner der sächsischen Landeshauptstadt wehren sich gegen diese Instrumentalisierung des Gedenktages:

    "Es ist doch so, dass das Dinge sind, die ins Innere gehen. Was hat das mit solchen äußeren Parteikämpfen zu tun? Und mit welchem Recht vor allem gehen die Rechtsgerichteten, mit welchen Recht gehen die hier? Ich meine, wir haben ja auch bombardiert, wir Deutschen haben ja auch Städte zerstört."

    Das bürgerliche Lager hat wie im vergangenen Jahr eine Menschenkette organisiert - als eindrucksvolle Erinnerung an "alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft". Diesmal kamen 17.000 Menschen. Die Kette wurde drei Kilometer lang. Im vergangenen Jahr zeigten 10.000 Bürger Gesicht. Der Aufruf zur Teilnahme kam auch 2011 von Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz:

    "Es geht darum, dass die Neo-Nazis festgestellt haben, dass sie eben keinen Fuß mehr in die Tür bekommen, dass sie Schwierigkeiten haben, symbolträchtige Institutionen wie die Frauenkirche, den Altmarkt oder das Rathaus als Hintergrund zu vereinnahmen und damit ihre Geschichtsklitterung auch zu platzieren."

    Ausdrücklich appelliert die CDU-Politikerin an die Bürger, sich friedlichen Protestaktionen gegen Rechtsextremismus und Rassismus anzuschließen. An diesem Wochenende sind fast 50 Mahnwachen an Kirchen und Gemeindezentren in Dresden geplant. Eine Blockade der rechten Demo lehnt Oberbürgermeisterin Orosz ab, ebenso wie Bundesinnenminister Thomas de Mazière, der sich am Sonntag an der Menschenkette beteiligte:

    "Nun, es gibt das Demonstrationsrecht. Dafür stehen wir alle ein, ich als Verfassungsminister sowieso. Aber das Demonstrationsrecht muss so vonstatten gehen, dass es friedlich geht, dass nicht Polizisten dazwischen geraten. Und ich bin ganz froh, dass im Ergebnis die Rechtssprechung das auch so sieht."

    Linke und Grüne unterstützten gleichfalls die Menschenkette, für den kommenden Samstag setzen sie aber zugleich auf die rechtlich strittigen Blockaden gegen Neonazis. Für Juristen ist die Situation dagegen eindeutig:

    "Eine Versammlung, die nicht verboten ist, genießt natürlich den Schutz der Grundrechte, das ist vor allem die Meinungsäußerungsfreiheit und des Versammlungsgrundrechtes. Und hat dann Anspruch auf Schutz, wenn sie gefährdet ist. Das kennzeichnet ja unsere Verfassung. Es kommt nicht darauf an, ob einem die Richtung gefällt, sondern der Schutz ist abhängig von der berechtigten Ausübung des Grundrechts."

    Kurt Graulich ist Richter am Bundesverwaltungsgericht, dort unter anderem mit Fragen des Polizei- und Ordnungsrechts befasst. Die Versammlungsfreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung gelten in Dresden wie andernorts, auch wenn Rechtsextreme oder Neonazis sie für sich in Anspruch nehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen der Meinungsäußerungsfreiheit einen weiten Spielraum gegeben.

    "Das heißt also, es sind nicht nur die sogenannten herrschenden Meinungen zugelassen, sondern es sind auch extremistische Anschauungen zugelassen. Das Bundesverfassungsgericht geht sogar so weit, grundsätzlich Äußerungen über den Nationalsozialismus, die positiv sind, nicht zu sanktionieren, sondern die auch für zulässig zu erachten."

    Das hat jedoch Grenzen. So wurde 2009 vom Bundesverfassungsgericht im Nachhinein das Verbot einer im August 2005 angemeldeten Rudolf-Heß-Gedenkkundgebung im bayerischen Wunsiedel bestätigt.

    "Diese Entscheidung in Sachen Wunsiedel oder Heß, die hat deshalb sehr grundsätzliche Bedeutung, weil, wenn ich es mal vereinfache, sie gesagt haben: Wir haben einen Aspekt, der sozusagen zu den Fundamenten unserer Verfassung und Gesellschaft gehört, und das ist die Position gegen Gewaltherrschaft und Willkürherrschaft des Nationalsozialismus. Und wer an dieser Position rückt, der kann nicht damit rechnen, dass ihm ein Recht zugestanden wird. Und sie haben sogar gesagt, es gebe eine immanente Schranke im Artikel 5, also im Meinungsäußerungsfreiheitsgrundrecht, die dazu führe, dass solche Positionen nicht vertreten werden dürften."

    Schaut man sich die Entscheidung im Einzelnen an, so hat das Bundesverfassungsgericht zwar im Nachhinein die Rudolf-Heß-Kundgebung verboten, aber in demselben Beschluss eine Lanze für die Meinungsäußerungsfreiheit gebrochen - Zitat:

    Das Grundgesetz rechtfertigt kein allgemeines Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat.

    Eine Grenze für die Meinungsäußerungsfreiheit sah das Bundesverfassungsgericht in dem "Gedenken an Rudolf Heß" und dessen rückhaltloser Glorifizierung. Das sei nichts anderes als die uneingeschränkte Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft.

    Das Verbot von 2009 war also ausdrücklich auf die Wunsiedeler Situation zugeschnitten und auf Rudolf Heß als Symbolfigur für die Herrschaft des Nationalsozialismus. Auf die Dresdener Situation kann es nicht übertragen werden. Das sieht auch der emeritierte Strafrechtsprofessor Ingo Müller so:

    "Es ist nicht zu sehen, dass ein Zweck wäre oder eine Art der Durchführung, die ein Verbot rechtfertigen würde. Denn das Demonstrationsrecht als Grundrecht, Ausfluss der Meinungsfreiheit, wird vom Bundesverfassungsgericht sehr hoch gehalten und sehr weit interpretiert."

    Die grundlegende Entscheidung in Sachen Demonstrationsfreiheit war der Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985.

    "Und der erging ja bekannterweise zu Gunsten von Atomkraftgegnern, die man da auch irgendwie eingeschränkt hatte. Und das hat das Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig, verfassungswidrig bezeichnet. Aber es stellte natürlich allgemeine Grundsätze auf dabei und die gelten für rechts wie für links."

    Seit der Brokdorf-Entscheidung gelten also besonders strenge Maßstäbe für Eingriffe in die Demonstrationsfreiheit. Sogar wenn mit Ausschreitungen durch einzelne oder durch eine Minderheit zu rechnen ist, darf die Demonstration nicht verboten werden. Nur wenn Gesetze übertreten werden, kommt ein Verbot eventuell in Frage.

    "Zunächst mal, es gibt ja das Versammlungsgesetz selber, das einige Verbote enthält. Zum Beispiel Uniformierungsverbot, Bewaffnungsverbot. Wenn zu erwarten ist, dass von der Veranstaltung Straftaten ausgehen."

    Volksverhetzung, Beleidigung, Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener oder die Leugnung des Holocausts sind Straftatbestände, die immer wieder von Rechtsextremen begangen werden. Was passiert, wenn es während des Gedenkmarsches in Dresden zu solchen oder ähnlichen Gesetzesübertretungen kommt?

    "Erstmal kann man diejenigen Personen, die solche Taten begehen, rausgreifen, dingfest machen, Personalien aufnehmen und später anklagen. Wenn das ein Massenphänomen wird, kann die Demonstration auch abgebrochen, also kann auch im Verlaufe verboten werden. Und dann ist alles, was die dann noch machen, von vorneherein illegal."

    Aber solange die Demonstration keiner Einschränkung unterliegt, muss die Polizei dafür sorgen, dass sie ungestört stattfinden kann. Das habe sie im vergangenen Jahr unterlassen, stellte jetzt das Dresdener Verwaltungsgericht im Nachhinein fest. Die Polizei hätte effektiver gegen Gegendemonstranten vorgehen müssen. An diesem Wochenende werden die Beamten sich wieder zwischen beide Lager stellen. Mit der Situation angemessen umzugehen, wird keine leichte Aufgabe, meint Ingo Müller, der bis zu seiner Pensionierung die Hamburger Polizeihochschule geleitet hat.

    "Die Polizei sitzt tatsächlich, wie die Polizeigewerkschaft auch behauptet, zwischen Baum und Borke. Einerseits ist die Polizei von heute nicht mehr verdächtig, zu sympathisieren mit den Rechtsradikalen, sondern die haben eine vernünftige Ausbildung, und Nazis sind ihnen zuwider. Sie müssen aber trotzdem diesen Umzug von Neonazis schützen. Das gebietet halt der Respekt unserer Rechtsordnung."

    Auch Berlin war immer wieder Schauplatz von Demonstrationen von Rechts und Gegendemonstrationen mit Blockaden. Ehrhart Körting, seit vielen Jahren Innensenator und damit oberster Dienstherr der Berliner Polizei, hat einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit rechtsextremen Demonstrationen. Wenn er sie nicht verbieten kann, weil die Gefahrenlage nicht eindeutig ist, ...

    " ... dann kann ich mit Auflagen arbeiten, das tut Berlin immer. Wir machen immer Beschränkungen, was die Art und Weise des Auftretens betrifft, wir achten darauf, dass keine paramilitärische Erscheinungsform gegeben ist, wir verbieten den Gebrauch von Fackeln oder etwas ähnlichem, weil das dann bestimmte Anklänge an den 30. Januar 1933 hat. Wir haben auch schon mit Erfolg das Auftreten bestimmter Personen verhindert, bei denen wir davon ausgehen konnten, wenn die als Redner auftreten, dass sie dann strafrechtlich relevantes sagen. Ein Totalverbot kommt aber in seltenen Fällen in Frage."

    Wer nach Dresden geht, um gegen die Neo-Nazis zu demonstrieren, hat das Recht ebenfalls auf seiner Seite. Denn auch eine Gegendemonstration muss von der Polizei geschützt und ermöglicht werden. Wer jedoch blockiert oder mit anderen Mitteln versucht, den Gedenkmarsch der Rechtsextremen aufzuhalten, muss mit Strafen rechnen.

    Aber was löst solch ein Hin und Her von Demonstrationen und Gegendemonstrationen in einer Stadt aus?

    Wunsiedel in Bayern war wegen rechter Aufmärsche Jahre lang im Blick der Öffentlichkeit. Bürger gründeten die Initiative "Wunsiedel ist bunt, nicht braun". Deren Sprecher, Karl Rost, führt uns zur Ursache des Ärgers, zur Ruhestätte von Hitlers Stellvertreter:

    "Wir gehen jetzt auf den Wunsiedeler Friedhof, wo Heß 1987 begraben wurde."

    Doch dann, wenige Meter vor dem Grab des verurteilten Kriegsverbrechers Rudolf Heß, biegt der pensionierte Hauptschullehrer scharf nach links ab.

    "Wir gehen jetzt zu einem Grabmal von 30 KZ-Opfern, die auf einem Todesmarsch von Buchenwald nach Flossenburg am 15. April zu Tode kamen. Sie wurden nördlich von Wunsiedel in einem Waldstück neben der Straße verscharrt. Die waren erschossen worden oder waren zusammengebrochen."

    KZ-Häftlinge, deren Leichen nur ein paar Schritte entfernt von der des Rudolf Heß liegen. Täter und Opfer des Nationalsozialismus nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Auch deshalb waren die jährlichen Nazi-Kundgebungen in Wunsiedel so schwer zu ertragen. Etwa im Jahr 2004, erinnert sich Karl Rost.

    "Von Norden herunter kamen viereinhalb tausend Nazis. Also, der Zug war schon so lang, dass er fast die Innenstadt eingekesselt hat, kann man sagen. Hier an der Stelle, an der Straße vorm Landratsamt hat diese berühmte Sitzblockade stattgefunden, die den Zug der Nazis zumindest einmal zum Stehen gebracht hat."

    Eigentlich hat Wunsiedel wenig mit Rudolf Heß zu tun. Der Nazi-Führer hat nie hier gelebt. Aber 1987, kurz vor seinem Tod im Kriegsverbrecher-Gefängnis Berlin-Spandau, äußerte Heß den Wunsch, im Grab seiner Eltern auf dem evangelischen Friedhof in Wunsiedel bestattet zu werden.

    "Man hat dann eben aus christlicher Einstellung heraus gesagt, wir wollen nicht über den Tod hinaus richten, sondern er soll seinen Wunsch erfüllt bekommen. Und dann hat man eben ihn hier beerdigt."

    Die Bürger Wunsiedels ahnten nicht, dass das Grab zu einer rechtsradikalen Pilgerstätte werden würde. Zwischen 1988 und 1990 hielten Neonazis hier Heß-Kundgebungen ab, genehmigt vom Verwaltungsgericht Bayreuth. Zwischen 2001 und 2004 erlaubte gar das Bundesverfassungsgericht die Heß-Gedenkmärsche. Grundlage war eine Änderung des Versammlungsrechts, bedauert Karl Rost:

    "Und das andere ist natürlich dann der Ruf der Stadt nach außen: Wunsiedel erscheint dann immer im Zusammenhang mit Nazis, obwohl die Wunsiedeler selber, bis auf die, die es überall gibt, mit dieser Ideologie wirklich nichts mehr am Hut haben."

    Die Zeit der großen Nazi-Kundgebungen allerdings ist vorbei in Wunsiedel. Im Jahr 2005 überarbeitete der Deutsche Bundestag das Strafgesetzbuch. Nun ist es verboten, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu billigen, zu rechtfertigen oder zu verherrlichen. Und das neue Gesetz hielt dem Bundesverfassungsgericht stand. Die Neonazi-Szene hält seitdem in Wunsiedel nur noch Schweigemärsche ab. Mit wenigen Teilnehmern. Auf Nebenstraßen.

    Karl Rost steht vor dem Rudolf-Heß-Grab. Am granitfarbenen Stein lehnt ein verwelkter Kranz unter dem Schnee. Im kommenden Jahr läuft der Pachtvertrag für die Ruhestätte ab - was dann wird, ist offen. Aber Karl Rost ist es eigentlich egal.

    "Im Grunde, muss man sagen, war es gar nicht so schlecht für Wunsiedel, diese Provokation, diese Herausforderung. Denn es hat sich ja dann doch gegen Rechts Erhebliches getan. Wir haben jetzt die letzten Jahre mit diesem Grab alles überstanden, was es an Konsequenzen nach sich zog und gehen eigentlich zivilgesellschaftlich gestärkt daraus hervor. Was juckt's uns, ob der da weiter liegt."

    Das wichtigere Grab liege ohnehin rund einhundert Meter weiter nördlich. Jenes der 30 KZ-Häftlinge. Dort, so hofft Rost, werden sich auch in künftigen Jahrzehnten noch Wunsiedeler versammeln. Wenn das Heß-Grab schon längst verschwunden ist.