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Unter Schafen

Wer an die Färöer-Inseln denkt, dem kommen Schafe und Länderspiele gegen die Fußball-Zwerge in den Sinn. Doch die Inselgruppe mit knapp 50.000 Bewohnern im Nordatlantik bietet auch eine spannende Musikszene.

Von Dennis Kastrup |
    "Das Singen und Tanzen in der sogenannten Kette ist hier eine Tradition aus dem Mittelalter. Es wird "Kettentanz" genannt. Eigentlich ist es aber eher ein Geschichtenerzählen als ein Tanz. Der Tanz hat eine sehr lange Geschichte und stammt aus dem 14. Jahrhundert. Diese ganze Tradition hat insgesamt 75 000 Verse vorzuweisen."

    Kristian Blak ist so etwas wie eine Ikone der Färöer Inseln. Der geborene Däne lebt nun schon seit mehreren Jahrzehnten mitten im Atlantischen Ozean und kennt die Geschichte der Färöer. Er hat sie miterlebt und sogar mitgestaltet. Der Musiker und Komponist gründete 1977 das größte Label. "Tutl" heißt es. Er veröffentlicht traditionsreiche Folklorestücke und -tänze genauso wie neueren Jazz, Rock, Pop, Elektro oder auch Metal. Unter seiner Obhut mischen sich nicht nur die Genres, sondern auch die färöische und englische Sprache.

    " Viele färöische Texte handeln von der Natur und dem Geist. Der Geist ist mit der Natur verbunden. Wenn Kári Sverrisson zum Beispiel die Texte vom Dichter Jóanes Nielsen singt, dann beschreibt er, wie die Berge in der Nacht draußen sind und in der Kälte stehen. Das sind absurde Texte, aber wir alle verstehen es, wenn die Berge sagen, dass sie frieren. Das sind ja auch eigentlich nicht die Berge, sondern wir selber."

    Wer einmal über die Inseln mit ihren imposanten grünen Bergen gefahren ist, wird die Verbundenheit zur Natur verstehen. Alle paar Meter stürzen Wasserfälle in das angrenzende Meer. Die Szenerie erinnert an das magische Land der Hobbits im Herr der Ringe Film. Auch die bekannte färöische Sängerin Eivor kann im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied davon singen.

    "Wenn man nah am Meer und von Bergen umgeben aufwächst, dann wird das für den Rest deines Lebens ein großer Teil von dir sein. Jedes Mal, wenn du im Ausland das Meer oder einen Berg siehst, wirst du sentimental. So läuft das nun mal, wenn du von einer Insel stammst."

    Auch Eivor hat auf dem Tutl Label veröffentlicht. Acht Alben sind es bereits. Darunter vieles auf Englisch. Anfangs sang sie noch ausschließlich auf Färöisch. Die Melodien stammen zum Teil aus der Tradition der Chöre, die die Geschichten weiter erzählten. Im Gegensatz zu großen Teilen Europas wurde auf den Färöer Inseln zuerst nicht das europäische System mit chromatischen Tönen benutzt. Dieses änderte sich erst mit der Ankunft einer Kirchenorgel im 19. Jahrhundert. Das ist der Grund dafür, warum manche Stücke in Färöisch einen leicht arabischen Klang haben.

    "Man betont die Noten an anderen Stellen als beim Singen in Englisch. Die Wörter können auch sehr gedehnt werden. Es ist sehr verbreitet, dass viele Noten auf einem Wort gesungen werden. Wenn ich auf Färöisch singe, mache ich das ganz selbstverständlich. In Englisch würde ich das total anders machen. Färöisch klingt vielleicht ein bisschen altnordisch, also sehr dramatisch."

    Der Klang der Inseln kann sich aber auch ganz anders anhören. Die Band Orka hat sich auf fünf Berge gestellt. Die beiden Mitglieder warfen große Steine auf die Felsen und schlugen mit einem Hammer auf den Steinboden. Die Vibrationen wurden von einer seismischen Messstation im Tal aufgenommen und dann mithilfe des Computers in Töne umgewandelt. Normalerweise misst die Station Bewegungen wie Erdbeben. Aus den Klängen formten sie dann ein Musikstück, das in einer Kunstinstallation über fünf Lautsprecher in einem Raum zu hören ist.

    "Auf den Inseln finden sich drei wichtige Lavaschichten wieder. Es gibt nur Lava und vulkanisches Material auf den Färöer Inseln. Die seismischen Wellen wandern unterschiedlich und in verschiedenen Mustern durch die Schichten. Man kann den Unterschied also tatsächlich hören, wenn man ganz oben auf der Lava steht oder zum Beispiel ganz unten in der Stadt Suyoroy."

    Viele Konzerte auf den Färöern finden in freier Natur statt. Es gibt sogenannte Concerto Grotto, die in Grotten gespielt werden, oder sogar kleine Festivals. Das größte ist das G!-Festival. Einmal im Jahr treffen in pittoresker Natur direkt am Strand gelegen einheimische auf ausländische Bands. Mitinitiator Jon Tyril stammt aus dem kleinen Dorf Göta, dem Austragungsort des Festivals. Auch hier schwingt die Geschichte mit.

    "Das ist einer der ältesten Siedlerorte der Färöer Inseln. Es ist ein sehr geschichtsträchtiger Ort. Einige der wichtigsten Familien haben in diesem Ort gelebt. In unserer Geschichte spielt er eine große Rolle. Wenn hier Bauarbeiten sind und man einen Meter tief gräbt, findet man Kunstgegenstände, Knochen von Leuten oder auch Werkzeuge. Dieser Ort ist also voller Geschichte. Unter einer Straße liegt ein Friedhof. In Geschichtsbüchern wurde der Ort sehr oft genannt."

    Beim Besuch des G!-Festival wird deutlich, an welchem Punkt sich die Färöer Inseln gerade befinden: Neben neuer Indiemusik kommen immer auch alte Traditionen zum Vorschein. Vor der Bühne werden bekannte Folkoresongs von der Jugend mitgesungen und zu später Stunde packen sich alle in einer Fischräucherhütte an den Händen an, um im Kreis zu alten Versen zu tanzen. Die Frage ist: wie lange noch? Wird die globalisierte Welt bald auch die abgelegenen Inseln im Nordatlantik einnehmen? Diese Angst teilt Eivor aber nicht.

    " Hier auf den Färöer Inseln wurden Musiker sehr von der Tradition unserer Musik inspiriert. Ich glaube, dass es eine gute Sache ist, alte Sachen wieder neu zu gestalten, indem man sie in eine neue Umgebung steckt. Das haucht dem Ganzen neues Leben ein. So hat man keine Angst davor, Dinge zu verändern. Das ist wohl gut so. Folkloremusik und Tradition werden überleben, aber sie verändern sich eben."