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Unter Strom

Sport.- Stromstöße können die Fitness von Menschen steigern. Wie die neueste Generation von Muskelstimulatoren das Training sinnvoll ergänzen kann, untersucht ein Forscherteam an der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Von Jean Pierre Bassenge | 25.10.2010
    "Okay, jetzt geht's los, ok, das reicht auf den Beinen, ja."

    Nicolas Wirtz steht im Fitnessraum der Deutschen Sporthochschule in Köln. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter trägt eine kurze Hose und ein T-Shirt. Die Sachen hat er zuvor angefeuchtet; darüber sitzt eine Spezial-Weste, in die großflächige Elektroden eingenäht sind. Von den Elektroden laufen Kabel zu einem Muskelstimulator, der ähnlich funktioniert wie ein Reizstromgerät beim Orthopäden. Nicolas Wirtz' Chef, Heinz Kleinöder, stellt an dem Gerät die Intensität der Stromstöße ein.

    "Gut, oberer Rücken?

    "Ja, da kann noch ein bisschen mehr. Ok, Brust reicht auch."

    "Ok, Arme?"

    " Und auch die Arme reichen, ja. Kannst du die Arme noch ein bisschen runter drehen, bitte?"

    Nicolas Wirtz verzieht das Gesicht, die Belastung ist ihm anzusehen. Die Stromstöße aus dem Stimulator gelangen über seine Haut ins periphere Nervensystem und regen so seine Muskeln zu Kontraktionen an.

    "Im ganzen Körper, komplett, die ganze Muskulatur ist angespannt, in der Muskelkette, Bauch ist aktiviert, der Rücken, die Beine, Arme, Brust. Ja da kommt dann eins zum andern und diese gesamte Körperspannung macht eigentlich die große Anstrengung aus."

    "Ganzkörper-Elektro-Muskel-Stimulation", kurz: "Ganzkörper-EMS",
    heißt diese Trainings-Methode, deren Wirksamkeit die Kölner Wissenschaftler untersuchen. Anders als bei der Reizstrom-Therapie muss der Trainierende dabei selbst aktiv werden. Dazu absolviert Nicolas Wirtz ein Zirkeltraining mit Kniebeugen, Ausfallschritten und Übungen für Rücken und Arme. Die Stromstöße erreichen auch die sonst kaum beanspruchten, tief liegenden Muskelfasern und verstärken auf die Weise seine Bewegungen.

    "Von der Frequenz ist das jetzt hier fest, das wäre ein Schnellkraft-Programm, 85 Hertz, mit einer Impulsbreite von 350 Mikrosekunden, heißt das geht relativ tief ins Gewebe hinein. Und darum sehen wir jetzt wie er da so richtig arbeiten muss und Krafttraining durchführen muss."

    Da unterschiedliche Muskelgruppen gleichzeitig beansprucht werden, lassen sich komplette, Sportart-typische Bewegungsabläufe trainieren. Einige Vereine der Fußball-Bundesliga lassen ihre Spieler bereits am Ganzkörper-EMS schwitzen. Auch im Boxen und beim Rodeln kommt es zum Einsatz. Um herauszufinden, wie lange ein optimales EMS-Training dauern sollte, haben die Kölner Sportwissenschaftler Belastungstests durchgeführt. Als Indikator für die Ermüdung der Muskeln nutzten sie die Konzentration des Enzyms Kreatinkinase: Je stärker die Muskulatur beansprucht wird, desto größere Mengen des Enzyms gelangen ins Blut.

    "Wir haben da Studien gemacht beispielsweise mit der Wasserball-Junioren-Nationalmannschaft. Das war eine Studie, die mit einer Dreiviertelstunde Training angefangen hat. Wir haben dann festgestellt, dass wir Kreatinkinase-Werte hatten, die extrem hoch waren in den ersten zwei Wochen. Wir haben dann das Ganze reduziert und angepasst, und hatten dann im Endeffekt sehr positive Ergebnisse, was die Rumpfmuskulatur betroffen hat, aber auch die Beinmuskulatur und gerade für das, was für den Wasserball wichtig ist: den Wurfarm."

    Nicht länger als 20 Minuten sollte das Training dauern, sagt Heinz Kleinöder. Sonst seien Regenerationszeiten von mehreren Tagen nötig.

    "Was nicht möglich ist, beziehungsweise,. was man normalerweise nicht macht, ist ein Training mit hohen mechanischen Gewichten, also mit großen Massen, also eine Kniebeuge mit beispielsweise 100 oder 150 Kilogramm."

    Für den gezielten Muskelaufbau sei hingegen ein Mix aus klassischem Gerätetraining und Ganzkörper-EMS optimal. Den nachhaltigsten Effekt hat die Muskel-Stimulation offenbar beim Training der Schnellkraft. Nach vier Wochen EMS-Training der Beinmuskulatur schaffte eine Gruppe von Sportstudenten um bis zu 30 Prozent schnellere Sprints als zu Beginn des Tests. Die Erklärung liegt Kleinöder zufolge in der Stimulation der tiefliegenden, kurzen Muskelfasern, die für die Geschwindigkeit sorgen.