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Unter Tage gehen die Lichter aus

Das Grubenunglück in der rumänischen Kleinstadt Anina war nicht nur das schwerste Bergwerksunglück in Rumänien seit über 20 Jahren. Es lenkte auch schlaglichtartig die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der rumänischen Bergwerksindustrie, die eine jahrhundertealte Tradition nachweisen kann. Denn in den kommenden Jahren muss Rumänien die meisten Gruben schließen - so will es die Europäische Union.

Von Thomas Wagner | 10.02.2006
    Nur vereinzelt holpern Autos über den löchrigen Asphalt der rumänischen Bergbau-Stadt Anina. Links und rechts der Hauptstraße alte, verfallene Fabrikgebäude. Hoch droben, auf dem bewaldeten Hang am Rande der Stadt, erkennt man zwei riesige, übereinander gekreuzte Hämmer - das Symbol der rumänischen Bergleute. Doch die verrosteten Räder auf den Fördertürmen unten, im Tal, stehen still - seit Ende Januar, dem Tag der Katastrophe.

    " Ich hatte Spätschicht. Die beginnt um 19 Uhr und endet um Mitternacht. Dann bin ich nachhause gegangen, habe noch geduscht und mich schlafen gelegt. Am nächsten Morgen gegen 7 Uhr weckt mich meine Frau: In der Grube hat sich eine Katastrophe ereignet, hat sie ganz aufgeregt gesagt. Und ich ganz benommen: Was ist passiert? "

    Der Grubenelektriker Vasile Becia konnte es anfangs kaum glauben: Zunächst war von zehn, später von sieben Toten als Folge einer Methanexplosion in 800 Metern Tiefe die Rede. Betroffen waren diejenigen, die genau nach seiner Schicht unter Tage fuhren. Die zweite Katastrophe folgte auf dem Fuße. Unmittelbar nach dem Unglück gab der Direktor der Mine bekannt: Das Bergwerk, das ohnehin nach dem EU-Beitritt im kommenden Jahr geschlossen werden sollte, nimmt seinen Betrieb nicht mehr auf. Für über 550 Bergleute bedeutet das: Sie sind ab sofort ohne Job - darunter auch Vasile Becia:

    "Anina wird jetzt eine tote Stadt sein - eine Stadt, von der niemand mehr etwas wissen will. "

    Denn das Bergwerk war der größte Arbeitgeber weit und breit. Die alte Schraubenfabrik in der Nähe der Ortsmitte hat längst die Fertigung eingestellt. Über das benachbarte Sägewerk munkeln die Bewohner, dass die Geschäfte nur noch schleppend gehen. Sonst gibt es keine größeren Unternehmen in der 8000-Einwohner-Stadt, in der vor rund 10 Jahren noch fast doppelt so viele Menschen lebten. Zwar bekommen die Bergleute, die nun entlassen werden, eine für rumänische Verhältnisse stattliche Abfindung von über 200 Millionen rumänischer Lei; das sind rund 5500 Euro. Außerdem garantiert ihnen die staatliche Betreibergesellschaft die Fortzahlung ihres regulären Lohnes über zwei Jahre hinweg. Doch für den Aufbau einer neuen Existenz reicht das nicht aus. Es fehlt an Arbeitsplätzen in der Region, weiß Dan Stroescu, technischer Direktor des Bergwerkes Anina:

    " Für die Jüngeren unter den Bergleuten ist das keine wirkliche Lösung. Das Geld ist relativ schnell verbraucht. Das wissen wir von anderen Bergbau-Regionen im Land, wo Minen geschlossen wurden. Die Leute stehen häufig nach zwei Jahren vor dem Nichts."

    Das allerdings möchte Georgu Neicu verhindern. Der stämmige Mann, Mitte 50, ist Bürgermeister in Anina, ein "Macher-Typ." Gleich nach der Katastrophe, als die Schließung des Bergwerkes feststand, hat er den Gemeinderat einberufen.

    " Unser Gemeinderat hat beschlossen, einen eigenen Mitarbeiter, einen Rumänen deutscher Herkunft, einzustellen. Der soll versuchen, Fördergelder aus den diversen EU-Töpfen für Anina zu beantragen."

    Doch dabei will es der Bürgermeister nicht belassen: Er träumt von der Ansiedlung ausländischer Investoren. Kontakte zu einem österreichischen Holzverarbeiter und einem deutschen Keramik-Hersteller hat die Gemeinde bereits geknüpft. Allerdings: großflächige, unbebaute Grundstücke sind rar in Anina, das in einem engen Talkessel liegt. Zudem ist die Verkehrsanbindung über eine serpentinenförmige Zugangsstraße für den Güterverkehr kritisch. Deshalb haben die meisten der entlassenen Bergleute kein Vertrauen mehr in die Zukunft Aninas. Sowohl Grubenelektriker Vasila Becia als auch Bergmann Marian Viorico zeigen sich skeptisch:

    " Im Moment bin ich zuhause bei meinen zwei Kindern. Meine Frau arbeitet. Und in Zukunft ? Ich weiß nicht, was ich machen soll. Vielleicht gehe ich aufs Land, versuche es mit dem Aufbau eines kleinen Bauernhofes. Aber von Null anfangen - das ist sehr schwer."

    " Ich versuche, mich als Tagelöhner mit Gelegenheitsarbeiten durchzuschlagen. Ich habe ja auch zwei Kinder, 15 und 17 Jahre alt. Aber das ist sehr, sehr schwierig. "

    Gleichwohl wächst in Anina auch die Zahl der Bergleute, die froh sind, dass die Mine geschlossen bleibt , obwohl sie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Denn bei den Ermittlungen nach der Katastrophe hat die Staatsanwaltschaft festgestellt: die staatliche Betreibergesellschaft investierte in den letzten Jahren kaum etwas in die Sicherheitstechnik. Nach dem Untersuchungsergebnis haben die Messgeräte für Methangas nicht funktioniert. Nur deshalb konnte es zur tödlichen Explosion kommen. Für die beiden Bergleute Vasile Becia und Marian Vinorico ist das keine Überraschung:

    " Neulich hatte unser Schichtführer nicht einmal mehr Isolierband übrig. Auch in unserem Lager hatten wir nichts mehr. Dann hat er mir ein bisschen Geld in die Hand gedrückt und gesagt: Geh in den Laden, kauf es dort , wir haben im Bergwerk absolut nichts mehr übrig. Das hört sich wie ein schlechter Witz an, ist aber zum Heulen, ehrlich."

    " Viele Leute hier sind nicht einverstanden mit den Regeln der Europäischen Union. Deshalb müssen wir ja das Bergwerk schließen. Ich persönlich muss aber sagen: Ich bin froh, dass es diese Regeln gibt. Stellen Sie sich vor, wir haben ja noch wie im Mittelalter gearbeitet, mit Schaufeln und Spitzhacken viele Hundert Meter unter Tage. Also schlimmer kann es für uns nach einem EU-Beitritt auch nicht werden."