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Unterhaltsamer Untergang

Fernsehdramen wie über den Untergang der "Gustloff" oder "Die Flucht" erreichen ein Millionenpublikum. Während die Fernsehmacher das historische Geschehen mit Liebesgeschichten würzen und für die Zuschauer mundgerecht zubereiten, befürchten Historiker, dass die Filme die Geschichtswahrnehmung verfälschen werden.

Von Walter Kittel |
    Dramatische Augenblicke im deutschen Fernsehen: Die "Gustloff" sinkt, getroffen von russischen Torpedos. Der Zuschauer erlebt einen Ausschnitt inszenierter Geschichte. Es ist nicht lange her, da erregte noch der Film "Die Flucht" großes Aufsehen, mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle. Etwas hat sich geändert im deutschen Fernsehen, glaubt auch die Schauspielerin. Geschichte, besonders Deutsche Geschichte, im Spielfilmformat ist geradezu "in".

    "Das hat mit einer veränderten Fernsehkultur zu tun. Und was die jüngere deutsche Geschichte angeht auch mit einer andere Möglichkeit von uns Deutschen, sich damit jetzt auseinanderzusetzen, die nicht mehr nur dominiert ist von sozusagen dem Ausland, was sagt, so habt ihr Deutschen euch wahrzunehmen. Sondern wir dürfen jetzt auch die Geschichte anfangen zu erzählen; differenziert und möglichst aufrichtig natürlich."

    Der Blick auf die Geschichte ist unbefangener geworden, heißt es. Besonders jüngere Fernsehmacher hätten einen unverkrampfteren Zugriff auf historische Themen. Und so erfinden zahlreiche Regisseure wie Nico Hofmann, Jo Baier oder Hartmut Schoen emotionsgeladene Bilder und zeigen Figuren, in die man sich einfühlen kann. Hartmut Schoen:

    "Und es ist ein Genuss, muss ich sagen, dieses Deutungsmonopol der Wissenschaftler aufzubrechen - der Fachleute, die sich seit Jahrzehnten damit beschäftigt haben. Man nähert sich dem an, hört sich alles an, liest alles und man kriegt ein eigenes Bild, einen eigenen Zugriff. Und das ist wunderbar."

    Ein Millionenpublikum wird so erreicht, das für Geschichtsbücher und neueste Forschungsergebnisse vielleicht gar nicht zu begeistern wäre. Filme erschaffen ihre eigene historische Wirklichkeit und Wahrheit. Von Kritikern wird das als problematisch empfunden, so der Historiker Rainer Wirtz.

    "Diese Filme kreieren neue Geschichtsmythen. Man kann nicht nur kritisch den Kopf schütteln und drüber hinwegsehen, dazu ist der Einfluss solcher Filme doch ganz beachtlich. Sie bringen viele Zuschauer in die neue Augenzeugenschaft: Sie waren dabei, sie haben das gesehen. So war es. Genau diese Brechung, dass es so gewesen sein kann, aber nicht so gewesen sein muss, diese Brechung fehlt."

    Auch klassische Dokumentarfilme haben sich verändert. Es ist kein deutsches, sondern ein internationales Phänomen, dass Szenen immer häufiger nachgestellt werden, wenn authentisches Filmmaterial fehlt, sagt Stefan Brauburger, stellvertretender Leiter der Redaktion Zeitgeschichte des ZDF.

    "Wir haben auch dann irgendwann den Entschluss gefasst, Themen, die wir früher zurückgewiesen haben, zum Beispiel Eichmann, Mengele, zu denen es nicht viel optisches Material gibt, eben dann eines Tages in einer Reihe zu präsentieren. Und das ging eben nur mit szenischen Rekonstruktionen."

    Nicht immer wird die gewünschte Qualität in der Umsetzung historischer Themen erreicht, auch darüber wurde auf der Tutzinger Tagung gesprochen. Aber es gibt Vorbilder in der deutschen Film und Fernsehgeschichte. Im fiktionalen Bereich ist es etwa Wolfgang Petersens Welterfolg "Das Boot", mit Produzent Günter Rohrbach. Dies war der Beginn eines neuen, dramatischen Umgangs mit neuerer Geschichte, sagt Hans Janke, Hauptredaktionsleiter Fernsehspiel beim ZDF.

    "Rohrbach hat sich diesen Vorwurf zugezogen, der sozusagen politischen Inkorrektheit. Also so etwas zu erzählen, im Grunde: Die Deutschen marschieren noch mal in Paris ein und diese Rasanz, das war ja nicht 'Geschwister Oppermann', das kam nicht aus dem Repertoire des Brecht geschulten antifaschistischen Films, sondern das war Ramba Zamba."