Donnerstag, 28. März 2024

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Unterhaltsvorschuss
"Wir könnten 100.000 Kindern helfen"

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hält an der Ausweitung des staatlichen Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende fest. Sie sei optimistisch, dass ein Kompromiss zur Finanzierung gefunden werde, sagte Schwesig im DLF. Dem Städte- und Gemeindebund warf sie eine Kampagne gegen die im Grundsatz längst beschlossene Leistung vor.

14.12.2016
    Schwesig steht im weißen Sakko an einem weißen Pult vor einem hellblauen Hintergrund und redet vor einem Mikrofon. Sie gestikuliert mit beiden Händen.
    Manuela Schwesig bei einer Veranstaltung im September in Berlin. (Britta Pedersen / dpa)
    Von der Leistung seien insgesamt rund 100.000 Kinder betroffen, so Schwesig. "Ich kenne keine andere Maßnahme, die auf einen Schlag so vielen Kindern, die bei Alleinerziehenden leben, helfen könnte. Dass das kleingeredet wird, das verstehe ich nicht." Insbesondere müsse man berufstätigen Alleinerziehenden helfen, die allein wegen des fehlenden Unterhalts auf ergänzende Hartz-Vier-Leistungen angewiesen seien. "Wir müssen Kinderarmut bekämpfen, das kann nicht nur in Sonntagsreden stattfinden. Das darf nicht am Geld und an der Verwaltung scheitern."
    Kritik an kommunalen Spitzenverbänden
    Wann die Maßnahme für die Alleinerziehenden spürbar werden wird, könne sie noch nicht sagen, so Schwesig. Zunächst sei wichtig, dass sie überhaupt umgesetzt würde - das hätten der Städte- und Gemeindebund beinahe verhindert: "Die Kampagne, die losgetreten wurde, insbesondere von Herrn Landsberg von den kommunalen Spitzenverbänden, hat dazu geführt, dass diese Maßnahme an sich infrage gestellt worden ist. Das finde ich schwierig," so die Ministerin.
    Streit verzögert Starttermin
    Mit dem Unterhaltsvorschuss springt der Staat ein, wenn ein Elternteil nicht für seine Kinder aufkommt. Die Leistung ist bisher auf eine Dauer von höchstens sechs Jahren befristet, zudem wird sie höchstens bis zum 12. Lebensjahr des Kindes gezahlt. Geplant ist, den Anspruch bis zum 18. Geburtstag auszuweiten. Als Starttermin war der 1. Januar vorgesehen. Nach Aussage Schwesigs sind die Länder aber wegen des Streits um die Finanzierung von diesem Datum inzwischen abgerückt. Die Kosten werden bisher zu einem Drittel vom Bund und zwei Dritteln von den Ländern getragen.

    Ann-Kathrin Büüsker: Alleinerziehende haben nicht nur eine ganze Menge um die Ohren, sie stehen auch finanziell oft besonders schwer da. Das Armutsrisiko ist für sie besonders hoch. Richtig fies wird es, wenn das andere Elternteil seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommt, also keinen Unterhalt zahlt, was leider häufiger passiert, als man denken würde. Die Bundesfamilienministerin will da helfen und den sogenannten Unterhaltsvorschuss ausweiten. Eigentlich sollte das Projekt bereits zum 1. Januar 2017 beginnen, aber die Finanzierung ist nach wie vor unklar, weil die Länder Einspruch eingelegt haben. Heute wird das Thema im Kabinett sein, die Suche nach einer Einigung.
    Wie könnte eine Einigung nun aussehen? Darüber konnte ich vor einer guten Stunde mit Manuela Schwesig sprechen und ich habe sie erst einmal gefragt, warum sie dieses Gesetz überhaupt verabschieden möchte, wenn doch 87 Prozent der betroffenen Alleinerziehenden gar nicht davon profitieren, weil sie Hartz IV beziehen.
    Manuela Schwesig: Weil das nicht stimmt. Wir haben 260.000 Kinder, die derzeit keinen Unterhaltsvorschuss bekommen, und davon sind 34.000 Kinder bei Müttern oder bei Vätern, die arbeiten gehen und wo sich der Unterhaltsvorschuss direkt auswirken würde. Und bei den anderen ist es so, dass gerade dort viele Frauen sind, die arbeiten gehen, aber in Hartz IV sind, weil sie keinen Unterhalt sehen vom Partner oder der Partnerin. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch für die was tun. Insgesamt könnten 100.000 Kinder profitieren und ich muss ehrlich sagen, ich habe kein Verständnis dafür, eine solche Maßnahme zur Bekämpfung von Kinderarmut kleinzureden.
    Büüsker: Aber dennoch sprechen wir hier von zahlreichen vor allem Frauen, die in Hartz IV sind und auch mit dieser neuen Leistung nicht da rauskommen werden. Sehen Sie da keinen Nachbesserungsbedarf?
    Schwesig: Wir müssen gerade auf die Frauen schauen, die jeden Tag arbeiten gehen, aber mit ihren Kindern trotzdem in Hartz IV sind. Und da gibt es Frauen, die sind deshalb in Hartz IV, obwohl sie arbeiten, weil sie keinen Unterhalt vom Partner oder der Partnerin bekommen. Und gerade um die geht es. Denen muss man helfen. Und man kann jetzt nicht sagen, weil es noch andere gibt, die nicht arbeiten gehen, wo sich das vielleicht nicht lohnt, bekommen diejenigen, die arbeiten gehen, nichts.
    "Wir müssen uns auf diejenigen konzentrieren, die jeden Tag arbeiten gehen"
    Büüsker: Verstehe ich Sie dann aber richtig, dass diejenigen, die Hartz IV bekommen, dann leer ausgehen sollen?
    Schwesig: Nein! Es ist ganz unterschiedlich. Es sind ganz unterschiedliche Personen, die Hartz IV beziehen. Es sind viele Frauen, ungefähr 70.000, die ungefähr 70.000 Kinder haben, wo die Mütter vor allem - es betrifft auch manchmal alleinerziehende Väter - arbeiten gehen, aber am Ende trotzdem in Hartz IV sind. Und es geht gerade darum, denjenigen zu sagen, wir helfen euch mit dem Unterhaltsvorschuss, ganz rauszukommen, oder in die Nähe.
    Schauen Sie, ein Beispiel: Wenn ich jetzt noch um 100 Euro aufstocken muss, weil mein Lohn nicht reicht für mich und mein Kind, dann ist es eine Riesenhilfe, wenn ich auf einmal 270 Euro Unterhaltsvorschuss bekomme. Dann komme ich nämlich raus. Und selbst diejenigen, die jetzt vielleicht noch 400 Euro aufstocken, hätten nur noch 130 Euro aufzustocken. Also es würde sich auch lohnen, vielleicht die eine oder andere Stunde mehr zu arbeiten.Wir müssen uns doch auf diejenigen konzentrieren, die jeden Tag arbeiten gehen und trotzdem in Hartz IV sind, und ich habe wirklich kein Verständnis dafür, dass ausgerechnet diese Maßnahme jetzt so negativ geredet wird.
    "Das darf nicht am Geld und nicht an der Verwaltung scheitern"
    Büüsker: Aber wir reden hier von 35 Prozent, die sogenannten Aufstocker. Das ist auch nicht viel.
    Schwesig: Insgesamt könnten wir mit dieser Maßnahme 100.000 Kindern helfen. Ich kenne derzeit keine andere Maßnahme, die auf einen Schlag so viel Kindern, die bei Alleinerziehenden leben, die wirklich nicht viel Geld haben - auch die, die arbeiten gehen, haben durchschnittlich 1300 Euro netto; das ist nicht viel -, so vielen Kindern könnten wir helfen. Und dass das kleingeredet wird, das verstehe ich nicht. Wir müssen Kinderarmut bekämpfen. Das kann nicht nur in Sonntagsreden stattfinden, sondern müssen wir auch konkret machen. Das darf nicht am Geld und auch nicht an der Verwaltung scheitern.
    Büüsker: Dennoch tut es das ja gerade. Es gibt einen Streit darum, wer es finanzieren soll. Im Moment ist es so, dass ein Drittel der Bund übernimmt, zwei Drittel Kommunen und Länder. Warum zahlt nicht gleich direkt der Bund alles?
    Schwesig: Es ist so seit Jahren, dass wir uns diese Kosten teilen, ein Drittel der Bund, zwei Drittel die Länder. Und wir haben ja diese Maßnahme beraten in einem Gesamtpaket Bund-Länder-Finanzen. Was steckt dahinter? - Dahinter steckt, dass der Bund ab 2020 den Ländern ungefähr 10 Milliarden Euro gibt, und da sagt der Bund, im Rahmen dieser Gesamtsumme muss es uns doch möglich sein, ein paar hundert Millionen Euro locker zu machen, um Kinderarmut zu bekämpfen.
    Büüsker: Ja! Und warum tut das nicht der Bund?
    Schwesig: Der Bund tut das ja auch. Der Bund zahlt ja mit. Und die Linie, die die Bundesregierung gesagt hat am 14. Oktober bei der Einigung, dass dieser Unterhaltszuschuss kommt, ist, dass wir das, was wir bei Sozialleistungen einsparen, weil wir auch Müttern und ihren Kindern helfen, aus Sozialtransfers rauszukommen, dass wir das auch an die Länder weitergeben.
    Büüsker: Aber wie stellen Sie sich denn jetzt eine Einigung mit den Ländern vor, wenn gerade die Finanzierung der Knackpunkt ist?
    Schwesig: Ich gehe davon aus, dass alle ihren Beschluss vom 14. Oktober ernst meinen. Dort haben 16 Ministerpräsidentinnen und Präsidenten und die Bundesregierung gemeinsam beschlossen, jetzt in 2017 den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. Und deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir im Rahmen dieser Finanzdiskussion, die ja auch noch andere Themen beinhaltet, dort auch eine Einigung erzielen.
    "Jetzt einen Kompromiss im Sinne der Kinder ausloten"
    Büüsker: Das heißt, Sie hoffen, wenn Sie Ihre Forderung wiederholen, dass die Länder Okay sagen?
    Schwesig: Wir haben ja ein Spitzentreffen zwischen Bundesregierung und einigen Ministerpräsidenten und ich gehe davon aus, dass wir im Rahmen dieses Spitzentreffens gemeinsam einen Kompromiss im Sinne der Kinder ausloten.
    Büüsker: Wie kann dieser Kompromiss aussehen?
    Schwesig: Sie müssen dafür Verständnis haben, dass ich erst mal dieses Gespräch führen muss, um natürlich in diesem Gespräch mal einen Kompromiss auszuloten. Aber ich will sagen, dass wir bereits schon in der letzten Woche angeboten haben, gerade was die Kritik der schnellen Umsetzung angeht, dass die Bundesregierung sich zunächst ein halbes Jahr selbst um die Fälle kümmert, die jetzt noch Hartz IV beziehen, und dass die Kommunen sich zunächst konzentrieren auf die anderen Fälle. Das ist genau die Forderung, die Herr Landsberg bei Ihnen vor einer Woche im Deutschlandfunk aufgemacht hat. Und ich hoffe, dass sich jetzt mit diesem Vorschlag, der erst mal ein halbes Jahr lang für Erleichterung in der Verwaltung sorgen würde, und darum geht es ja auch in der Diskussion, dass man sich jetzt mit diesem Vorschlag ernsthaft auseinandersetzt.
    Büüsker: Und ab wann würden die Betroffenen dann mehr Geld erhalten?
    Schwesig: Am 14. Oktober ist beschlossen worden, dass zu 2017 die Leistung kommen soll. Ich bedauere es sehr, dass die Länder jetzt offensichtlich vom 1. 1. 2017 abgerückt sind. Ich sage aber: Wir hatten einen gemeinsamen Beschluss und wir müssen jetzt schnellstmöglich eine Lösung finden. Denn noch mal: Es geht um Bekämpfung von Kinderarmut und deshalb ist es wichtig, dass die Leistung so schnell wie möglich kommt. Ich habe Verständnis dafür, dass Verwaltung auch für die Umsetzung Zeit braucht. Dafür haben wir einen klugen Vorschlag gemacht. Und wenn wirklich alle wollen und es nicht nur bei Sonntagsreden bleibt, dann ist auch eine Lösung möglich.
    "Die Länder sind von dem Termin ab 1. Januar 2017 abgerückt"
    Büüsker: Ja, Frau Schwesig. Ich verstehe, dass Sie immer wieder auf den Beschluss vom 14. Oktober anspielen und die Bekämpfung von Kinderarmut. Aber meine Frage war ja: Ab wann bekommen die Betroffenen Geld? Was halten Sie für realistisch?
    Schwesig: Das müssen wir jetzt mit den Ländern ausloten. Ich habe auf diesen Beschluss vom 14. Oktober vertraut, weil es immerhin ein Beschluss der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung ist - das ist ja nicht ohne -, und habe in dieser Runde erleben müssen, dass nicht mehr alle diesen 1. 1. 2017 als so wichtig ansehen, und wir müssen jetzt ausloten miteinander, ab wann diese Leistung kommt. Für mich ist wichtig, dass sie überhaupt kommt, denn die Kampagne, die losgetreten worden ist, insbesondere von Herrn Landsberg von den kommunalen Spitzenverbänden, hat ja dazu geführt, dass diese Maßnahme an sich infrage gestellt worden ist, und das finde ich schwierig. Wir schaffen es doch auch in anderen Fällen, Leistungen umzusetzen und uns auch bei Finanzierungsfragen zu einigen. Dann muss das auch hier möglich sein, wenn es um die Alleinerziehenden und vor allem ihre Kinder geht.
    Büüsker: Frau Schwesig, es ist ja für die Betroffenen viel Geld. Deshalb noch mal meine Frage: Ab wann wollen Sie denn, dass die ihr Geld bekommen?
    Schwesig: Ich möchte so schnell wie möglich.
    Büüsker: Das heißt 1. Januar?
    Schwesig: Von diesem Termin sind die Länder abgerückt und wir müssen darüber verhandeln, was sie sich jetzt vorstellen.
    Büüsker: … sagt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Das Interview haben wir vor einer Stunde aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.