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Unterhaltsvorschuss
"Wenn für den Betroffenen nichts rauskommt, ist es nicht sinnvoll"

Der Städte- und Gemeindebund kritisiert die zusätzlichen Kosten für Kommunen und Länder bei der Erweiterung des Anspruchs von Alleinerziehenden auf Unterhaltsvorschuss. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte im DLF, die meisten Betroffenen bezögen auch Hartz IV und müssten das Geld ohnehin damit verrechnen.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.12.2016
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Landsberg sprach sich für den Vorschlag von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) aus, den Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Lebensjahr zu bezahlen. "Es ist nicht einzusehen, dass er wie bisher nur bis zum zwölften Lebensjahr bezahlt wird", sagte Landsberg. Doch es werde verkannt, dass viele Mütter nichts von dem Geld hätten. 87 Prozent derer, die den Unterhaltsvorschuss bekämen, würden auch Hartz-IV-Leistungen beziehen und müssten dieses Geld verrechnen. Für diese Frauen würde es "keine Besserstellung" geben. Und das sei kein Einzelfall. Dafür würde aber dennoch ein "Riesenorganisationsaufwand" betrieben werden müssen. "Wenn für den Betroffenen nichts rauskommt, ist es nicht sinnvoll", betonte Landsberg.
    400.000 Anträge zusätzlich?
    Dem hält wiederum der Bund entgegen, dass ein Drittel der Hartz-IV-Bezieherinnen berufstätig ist. Dieser Gruppe von Aufstockerinnen werde mehr Unterhaltsvorschuss helfen, aus dem Hartz-IV-Bezug herauszukommen. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums erhalten gegenwärtig 440.000 von insgesamt 1,6 Millionen Alleinerziehenden einen Unterhaltsvorschuss für ihre Kinder. Von der Reform würden 260.000 Kinder profitieren.
    Das beschreibt Landsberg als nicht überzeugend. "Denn dann bekommen die Kinder keine Leistungen aus dem Bildungspaket mehr. Es würden keine Klassenfahrten, keine Schulausrüstung oder Beiträge für den Sportverein dann mehr bezahlt." Das bedeute dann sogar eine Schlechterstellung.
    Vor diesem Hintergrund wolle er die finanzielle und personelle Belastung der Länder und der Kommunen nicht hinnehmen und forderte bei einer Ausweitung des Unterhaltsvorschuss entsprechende Zuwendungen vom Bund. Er geht von 400.000 Anträge zusätzlich aus, "die den Betroffenen kaum etwas bringen".
    Das Kabinett hat den Gesetzentwurf von Familienministerin Schwesig zum Unterhaltsvorschuss bereits beschlossen. Er soll ausgezahlt werden, wenn ein Elternteil den Unterhalt für das gemeinsame Kind verweigert. Die Begrenzung der Bezugsdauer von bislang sechs Jahren soll entfallen und die Altersgrenze der Kinder von zwölf auf 18 Jahre angehoben werden. Über die Finanzierung soll am Donnerstag beim Bund-Länder-Treffen entschieden werden.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig möchte Alleinerziehenden das Leben etwas erleichtern und den Unterhaltsvorschuss ausweiten. Bislang ist der stark begrenzt. Wenn das andere Elternteil keinen Unterhalt zahlt, dann springt der Staat für maximal sechs Jahre ein und auch nur maximal bis zum 12. Lebensjahr. Schwesig will, dass der Vorschuss unbegrenzt bis zum 18. Lebensjahr gezahlt wird. Gelten soll das ihrem Willen nach schon ab Januar, aber da die Finanzierung weiterhin unklar ist, blockieren insbesondere die Länder, die Mehrkosten fürchten. Heute soll eine Einigung her im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen.
    Kritik kommt auch von den Kommunen und darüber möchte ich mit Gerd Landsberg sprechen, Vorsitzender des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen, Herr Landsberg.
    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Landsberg, mehr soziale Gerechtigkeit für Alleinerziehende - was ist daran falsch?
    Landsberg: Das ist völlig richtig, das ist gut gemeint, aber leider schlecht gemacht. Es ist natürlich nicht einzusehen, dass man den Unterhaltsvorschuss nur bis zum 12. Lebensjahr bekommt, denn dann werden die Kinder teuer, sie kommen in die Pubertät, sie wachsen. Da unterstütze ich die Ministerin voll.
    Aber - und jetzt kommt das große Aber: Es wird etwas verkannt. Man kann das, ehrlich gesagt, nur an einem Beispiel festmachen. Nehmen wir an, die alleinerziehende Krankenschwester verdient 2500 Euro und der Vater zahlt nicht. Dann geht sie zum Jugendamt, die stellen den Tatbestand fest, okay, sie bekommt Geld, das geht bis 194 Euro vom 6. bis zum 11. Lebensjahr. Alles gut, finden wir richtig, finden wir auch über das 12. Lebensjahr hinaus richtig.
    Jetzt nehmen wir das andere Beispiel: Eine Frau ist erwerbslos, sie ist mit dem Kind im Hartz-IV-Bezug. Sie bekommt für den Lebensunterhalt monatlich 500 Euro plus Miete plus Krankenkasse, das soll uns nicht interessieren. Auch da zahlt der Vater nicht. Nun geht diese Frau auch zum Jugendamt und sagt, der Vater zahlt nicht. Dann sagen die: Gut, Du bekommst auch die 194 Euro. Die werden aber vom Hartz-IV-Bezug abgezogen. Das heißt, unterm Strich hat die Frau keinen Euro mehr, aber sie hat einen Riesen-Organisationsaufwand ausgelöst. Deswegen wird es jetzt noch komplizierter. Denn diesen Unterhaltsvorschuss zahlt der Bund zu einem Drittel und zu zwei Dritteln Kommunen und Länder. Das heißt, das muss dann intern verrechnet werden, rückwirkend und Ähnliches.
    Nun könnten Sie sagen, das ist ein Einzelfall, aber ist es leider nicht. 87 Prozent aller Personen, die Unterhalts-Vorschussleistungen bekommen, sind im Hartz-IV-Bezug. Das heißt, für die ganz, ganz große Mehrheit der Betroffenen bringt dieses Gesetz jedenfalls keine Besserstellung.
    "Wir können nicht das Personal in den Jugendämtern verdoppeln, um letztlich ein Großteil von Anträgen zu bearbeiten, die den Betroffenen kaum was bringen."
    Büüsker: Aber, Herr Landsberg, hier argumentiert der Bund, dass gerade berufstätige Aufstocker durch den Unterhaltsvorschuss aus Hartz IV rauskommen.
    Landsberg: Aufstocker sind natürlich nur ein kleiner Teil und das ist die Frage, wie hoch sie aufstocken. Jetzt bringe ich Ihnen noch das dritte Beispiel und das ist, ehrlich gesagt, noch schlimmer. Jetzt nehmen wir wieder die Mutter - es sind ja meistens Mütter -, die hat jetzt nicht den vollen Hartz-IV-Bezug, sondern ist nur Aufstockerin. Nehmen wir an, sie stockt um genau 194 Euro auf. Jetzt geht die wieder zum Jugendamt. Dann sagen die: Gut, Du hast den Unterhaltsvorschuss-Anspruch, Du bekommst diese 194 Euro. Damit ist sie in der Tat aus Hartz IV raus, aber sie hat Nachteile, denn auf einmal bekommt das Kind keine Leistungen mehr nach dem Bildungspaket.
    Es bekommt die Klassenfahrt nicht bezahlt, es bekommt die Ausrüstung für die Schule nicht bezahlt, es bekommt den Sportverein nicht mehr bezahlt. Das heißt, im Einzelfall - ich gebe allerdings zu, das ist ein Einzelfall - ist dann sogar eine Schlechterstellung mit dem insgesamt aber gut gemeinten Ziel erreicht, und deswegen glauben wir, kann die Konstruktion nicht so funktionieren.
    Man muss auch ehrlich sein: Wir liegen jetzt bei Kosten pro Jahr von rund 800 Millionen. Das wird sich verdoppeln. Wenn der Bund so was machen will, dann soll er auch die Kosten tragen, und zwar auch unsere Personalkosten. Wir können nicht, wenn das Gesetz jetzt im Dezember in Kraft tritt, mal eben überall das Personal in den Jugendämtern verdoppeln, um letztlich ein Großteil von Anträgen zu bearbeiten, die den Betroffenen kaum was bringen.
    Büüsker: Das sagen Sie, dass es den Betroffenen kaum etwas bringt. Aber ist es nicht auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, dass wir gerade die Menschen, die besonders wenig haben, auch unterstützen, gerade auch in Zeiten von schwarzer Null im Haushalt und Millionen Steuerüberschüssen?
    Landsberg: Da haben Sie mich falsch verstanden. Ich bin ja dafür, dass es ausgeweitet wird. Ich bin nur nicht dafür, dass es bei denen angewandt wird, die sowieso nichts davon haben.
    "Das ist keine Diskriminierung von Hartz-IV-Empfängern"
    Büüsker: Also Hartz-IV-Empfänger rausnehmen?
    Landsberg: Der normale Bezieher, der soll das bekommen, das ist in Ordnung. Aber der Hartz-IV-Bezieher, da muss es doch angerechnet werden. Wenn der Vater seiner Unterhaltspflicht nachkommt, dann ist der Hartz-IV-Betrag geringer. Das ist ja auch ganz logisch. Niemand behauptet, dass das nicht angerechnet werden soll. Es wird nur nicht so formuliert.
    Büüsker: Verstehe ich Sie dann richtig, dass Sie Hartz-IV-Empfänger vom Unterhaltsvorschuss ausnehmen wollen?
    Landsberg: Nein, natürlich nicht, weil ich das Geld von den Vätern ja haben will. Ich will nur sagen: Der Hartz-IV-Empfänger, der muss gar nicht erst zum Jugendamt gehen. Das Amt selber, in dem Fall das Jobcenter versucht, den Anspruch gegenüber dem Vater durchzusetzen, und wenn das gelingt, dann ist es gut. In den meisten Fällen gelingt es nicht. Aber diese Doppelbürokratie, die wir haben, mit der Verrechnung, die nützt den Betroffenen in dem Fall - ich habe die Fälle ja genannt - nichts.
    Das ist keine Diskriminierung von Hartz-IV-Empfängern. Ich glaube auch, ehrlich gesagt, dass der Masse der Menschen es ziemlich egal ist, wenn ich 500 Euro kriege. Letztlich ist ja auch der Unterhaltsvorschuss eine Sozialleistung. Der Staat greift ein, weil der Betroffene, in dem Fall der Vater nicht das tut, was er eigentlich tun müsste. Diese feingliedrige Differenzierung, dass man da Hartz-IV-Empfänger benachteiligt, die kann ich nicht erkennen.
    Büüsker: Okay. - Das heißt, Sie würden aber, würde der Bund das Ganze straffen, organisatorisch auf bessere Füße stellen und auch mehr Geld zugeben, dann wären Sie zufrieden?
    Landsberg: Dann wäre ich nicht glücklich, aber dann wäre ich zufrieden. Wenn der Bund sagt, wir wollen das und wir zahlen den Kommunen auch das Personal. Aber ich sage ganz deutlich: Bis zum 1. Januar schaffen wir das mit dem Personal nicht. Das sind zig Stellen. Ich will mal eine Zahl nennen. Wir gehen davon aus, der Bund sagt, es sind etwa 260.000 zusätzliche Anträge. Wir gehen von über 400.000 aus.
    Das ist natürlich bedauerlich, dass so viele Eltern oder Elternteile ihren Unterhaltspflichten nicht nachkommen. Aber ich kann es nicht ändern und wenn jetzt diese Riesen-Verwaltungsaufgabe auf den Weg gebracht wird, dann brauchen wir dafür Zeit, und ich denke, es ist jetzt auch nicht entscheidend, ob das am 1. Januar oder am 1. Juli in Kraft tritt.
    "Wenn der Bund diese soziale Gerechtigkeit schaffen will, dann ist es auch seine Pflicht, es zu finanzieren"
    Büüsker: Na ja, für die Betroffenen dürfte es schon entscheidend sein, ob sie für ein paar Monate mehr Geld bekommen oder eben nicht.
    Landsberg: Ja. Aber ich habe Ihnen ja versucht, klar zu machen, dass 87 Prozent der Betroffenen ohnehin nicht mehr kriegen.
    Büüsker: Macht immerhin noch ein paar Prozent, die etwas mehr bekommen.
    Landsberg: Das ist richtig. Auch das würde ich mitmachen, wenn man sagen würde, okay, zum 1. Januar nur die, die wirklich was davon haben. Das würden wir auch verwaltungsmäßig schaffen. Aber die Bereitschaft sehe ich da, ehrlich gesagt, nicht.
    Büüsker: Ministerin Schwesig hat ja auch einen anderen Kompromiss angeboten, nämlich das Ganze später einzuführen, aber dann rückwirkend zu bezahlen. Wäre das ein guter Kompromiss?
    Landsberg: Das ist natürlich schon eine gewisse Erleichterung, aber Sie wissen auch, was das bedeutet. Dann stehen die Leute im April Schlange und wir müssen es rückwirkend berechnen. Das ist immer besser, als wenn alles am 1. Januar in Kraft tritt, aber es ist eigentlich auch nur eine Krücke, wenn man ehrlich ist.
    Büüsker: Aber es wäre immerhin etwas, damit die Leute ihr Geld bekommen.
    Landsberg: Es wäre etwas, damit die Leute ihr Geld bekommen.
    Büüsker: Und letztlich reden wir über soziale Gerechtigkeit und wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, ob das nicht ein Aufwand ist, den wir auf uns nehmen müssen.
    Landsberg: Ja, das ist schon richtig. Ich bin ja wie gesagt auch dafür. Aber wenn unterm Strich für den Betroffenen nichts rauskommt, dann ist es eigentlich nicht so richtig sinnvoll aus meiner Sicht. Und wenn der Bund diese soziale Gerechtigkeit schaffen will, dann ist es doch wohl auch seine Pflicht, es zu finanzieren und es nicht den Kommunen und den Ländern zu überlassen.
    Büüsker: … sagt Gerd Landsberg, Vorsitzender des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg, vielen Dank für das Gespräch.
    Landsberg: Bitte schön, Frau Büüsker!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.